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Zurück Nachwuchs-Kolumne #251

Ein Plädoyer für das neue Ornament

Vom Fluchtweg zum Sehnsuchtsort: Unser Kolumnist hat am Dortmunder Hauptbahnhof eine Entdeckung gemacht, die ihn mit dem Ornament anfreundete. Gibt es dank digitaler Fertigungsprozesse bald wieder mehr davon? Und wird Architektur deshalb wieder menschlicher?

Von: Fabian P. Dahinten
Fabian P. Dahinten schreibt über den Einstieg ins Berufsleben, über...

30.04.20254 Min. Kommentar schreiben
Das vom Kolumnisten entdeckte Geländer

Ornament am Dortmunder Hauptbahnhof: eine überraschende Entdeckung
Fabian P. Dahinten 

Neulich am Dortmunder Hauptbahnhof: Zwischen Pendlerhektik, Rollkoffergeklapper und Ansagen in Dauerschleife blieb mein Blick an einer Fluchttreppe auf dem Bahnsteig hängen. Genauer: an ihrer vergitterten Einhausung: CNC-gefräst, lasergeschnitten – und überraschend ornamentiert. Nicht bloß funktionsgerecht. Nicht bloß ein Gitter. Sondern ein Zitat aus einer anderen Zeit. Und plötzlich war da dieser Moment der Irritation, dann der Freude: Schönheit. Mitten im Alltag.

Ornament kein Verbrechen mehr

Lange war Ornament ein Schimpfwort in der Architektur – spätestens seit Adolf Loos es zum Verbrechen erklärt hatte. Dekor war überflüssig, teuer, sentimental. Das Dogma der Moderne lautete: Form folgt Funktion. Und das hieß: keine Schnörkel, keine Spielerei, kein überflüssiger Aufwand. Ornament wurde Rationalisierung geopfert, verdrängt von klaren Linien, seriellen Fügungen, wirtschaftlich optimierten Details. Aber jetzt scheint sich langsam etwas zu drehen.

Ornamente heute einfacher herzustellen

CNC-Fräsen, 3D-Druck, Robotik – die neuen Werkzeuge digitaler Fertigung eröffnen uns eine Welt, in der komplexe Geometrien und individuelle Muster nicht mehr unbezahlbar sind. Was früher Stunden, Tage, Wochen von Handarbeit bedeutete, können Maschinen heute in Minuten produzieren. Und plötzlich wird das Ornament wieder erschwinglich. Plötzlich ist es wieder denkbar, ja: wieder begehrenswert.

Ein Ornament erzählt Geschichten

Dabei geht es nicht um ein naives Zurück zu Historismus oder Kulissenschieberei. Sondern um die Erkenntnis, dass wir mehr brauchen als Funktion. Der Mensch will sich verorten. Wir suchen Atmosphäre, Bedeutung, Resonanz. Und ornamentale Elemente – sei es ein Fries, ein Muster, ein plastisch durchgearbeitetes Detail – können genau das leisten. Sie erzählen Geschichten, stiften Identität, laden zum Entdecken ein.

Außenansicht des Bahnhofsgebäudes

Dortmund Hauptbahnhof: bislang von klaren Linien geprägt
Deutsche Bahn AG / Michael Neuhaus

Individualität statt Raster

Wer durch eine Altbauwohnung streift, über die Kassetten der Türen streicht, die Stuckrosetten an der Decke mustert oder die schmiedeeisernen Balkone betrachtet, spürt oft intuitiv: Hier wurde nicht nur gebaut, hier wurde gestaltet. Mit Hingabe, mit einem Verständnis von Schönheit, das weit über reinen Nutzen hinausgeht.

Und mehr noch: Durch ornamentale Gestaltung entsteht auch wieder Individualität. Die uniforme Wiederholung der immergleichen Rasterfassaden, die in Berlin wie in Bielefeld, in München wie in Mannheim stehen könnten, führt zu Austauschbarkeit. Sie macht unsere Städte ärmer – an Ausdruck, an Atmosphäre, an Identität.

Das Ornament neu denken

Doch wo Architektur wieder mutig gestaltet wird, wo sie sich lokale Muster, kulturelle Codes und handwerkliche Details erlaubt, entstehen Unterschiede. Unverwechselbarkeiten. Wiedererkennbarkeit. Die Möglichkeit, einen Ort mit einem Gefühl zu verbinden. Mit Stolz vielleicht sogar. So wie es früher die Ziergiebel, die Stadtwappen, die Fassadenmalereien taten – aber jetzt eben neu gedacht, digital gefertigt, individuell codiert.

Heute, im Zeitalter der Rekonstruktion und Klimakrise, des 3D-Scans und der parametrischen Entwurfsmodelle, können wir das Ornament neu denken. Nicht als bloßen Schmuck, sondern als sinnstiftendes Gestaltungsmittel. Als Chance, unsere gebaute Umwelt wieder lesbarer, menschlicher, poetischer – und vor allem wieder einzigartiger zu machen.

Wenn selbst ein Fluchtweg schön sein darf …

Das Dortmunder Fluchttreppengeländer ist vielleicht nur ein kleines Detail. Aber es steht für etwas Größeres. Für die Rückkehr des Emotionalen in die Architektur. Für ein neues Selbstbewusstsein im Umgang mit Gestaltung. Und vielleicht steht das Ornament für eine neue Romantik. Eine, die sich nicht in nostalgischer Rückschau erschöpft, sondern unsere technischen Möglichkeiten nutzt, um wieder zu berühren.

Denn wenn selbst ein Fluchtweg schön sein darf – dann ist vielleicht auch unsere Baukultur auf dem Weg zurück zu sich selbst.


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

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