
„Opern Air“ in Wien: Manchmal sind Musik und Architektur völlig unbewusst nah beieinander.
Johanna Lentzkow
Die Architektur ist mein Beruf, die Musik mein Hobby. Tagtäglich bin ich mit beidem konfrontiert, oft sogar gleichzeitig: Sei es, dass ich während des Entwerfens im Büro Musik höre, aus der Tram nach draußen auf die Stadt sehe und dabei Kopfhörer in den Ohren habe oder sie mir ganz bewusst live in einem Konzerthaus anhöre.
„Architektur ist erstarrte Musik.“ Kürzlich bin ich auf dieses Zitat des deutschen Philosophen Friedrich Schelling aus dem Jahr 1859 gestoßen – auch Arthur Schopenhauer spricht von Architektur als gefrorene Musik –, was mich dazu bewegt hat, ihren wechselseitigen Bezug genauer zu betrachten.
Zwei Künste mit gemeinsamen Prinzipien
Ich kann mich erinnern, schon damals im Bachelor begeistert zugehört zu haben, als mein Professor uns seine Verbesserungsvorschläge für unsere Entwürfe anhand von musikalischen Prinzipien veranschaulichte und erklärte.
Denn obwohl beide Künste, die Architektur und die Musik, ihre eigene Fachsprache besitzen, ist es doch auffällig, wie viele Begriffe sie gemeinsam haben: Wiederkehrende Motive wie in einer Regelmäßigkeit positionierte Stützen schaffen Rhythmus, Vor- und Rücksprünge oder organisch fließende Formen zeichnen Dynamik in der Architektur. Eine gute Proportionierung baulicher Elemente zueinander strahlt Harmonie aus. Rhythmus, Dynamik, Harmonie, Kontrast, Repetition, Farbe, Laustärke, Komposition …

Die Berliner Philharmonie ist eine Ikone der Architektur und der Musik.
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Musik und Architektur als Zeitkunst
Die Beziehung von Musik und Architektur ist fester Teil unserer Kulturgeschichte und war in der Antike sogar noch sehr viel enger als zum heutigen Zeitpunkt. Schon Vitruv sprach in seinen zehn Büchern über Architektur von der Wichtigkeit, als Architekturschaffende auch die Musiktheorie zu verstehen.
Die Proportionslehre in der Architektur bezieht sich direkt auf die Harmonielehre in der Musik. So überrascht es nicht, dass in der Renaissance zur Beurteilung von Entwürfen Musiktheoretiker oder Maler als Gutachter zu Rate gezogen wurden. Sie sollten gewährleisten, dass die Harmonie der Welt auch für das Auge erfahrbar wird.
Musik als globale Sprache besitzt nach wie vor eine bemerkenswerte Universalität, dient als sozialer Klebstoff, stärkt das Gruppengefühl, begeistert, berührt. Wir als Architekturschaffende verfolgen nicht nur dieselben Ziele, sondern bedienen auch dieselbe Zielgruppe.

Die Therme Vals von Peter Zumthor: Klingt sie oder strahlt sie Ruhe aus?
7132 Hotel - Julien Balmer
In sich ruhen und schweigen
Der grundlegende Unterschied besteht darin, dass das eine visuell im Raum, das andere auditiv in der Zeit angesiedelt ist. „Die Wirklichkeit der Architektur ist das Konkrete, das Form-, Masse- und Raumgewordene, ihr Körper“, schreibt Peter Zumthor. An anderer Stelle spricht er von einem schönen Schweigen von Bauten. Dieses verbindet er mit Gelassenheit, Selbstverständlichkeit, Dauer, Präsenz und Integrität – aber auch mit Wärme und Sinnlichkeit. Seine in sich ruhenden Bauten verkörpern dieses Schweigen in Perfektion.
Kann Architektur sich also auch auditiv offenbaren und wahrgenommen werden? Ist es möglich, die visuellen, physischen, räumlichen Komponenten der Architektur in die auditiven, immateriellen, zeitbasierten Komponenten der Musik zu übersetzen? Ist Architektur erstarrte Musik?
Die Komposition
Musik und Architektur sind beide Kompositionen. Das Entwerfen von Gebäuden funktioniert auf ähnliche Art und Weise wie das Komponieren von Musik: Durch die geplante Anordnung von Teilen zu einem Ganzen, in einer Reihe von Schichten, die einer übergeordneten Struktur, einem Takt, einer Tonart unterliegen. Sie bedienen sich einer Vielzahl derselben Stilmittel.
Die Kombination beider Künste ist wohl am offensichtlichsten bei Gebäuden, die explizit für die Musik geplant sind wie Konzertsäle oder Opernhäuser. Mittlerweile werden bei der Planung solcher Gebäude Akustiker:innen herangezogen, um mithilfe von ausgeklügelten technischen Simulationen das bestmögliche Hörerlebnis für die Konzertbesucher:innen erzielen zu können.

Die „Weiße Haut“ der Elbphilharmonie besteht aus 10.000 individuell gefrästen Gipsfaserplatten und sorgt für optimalen Klang
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Klangraum Elbphilharmonie: Architektur trifft Musik
Für die Elbphilharmonie beispielsweise wurde der große Saal im Maßstab 1:10 nachgebaut, um das Klangverhalten des Raumes unter der Leitung des japanischen Akustikers Yasuhisa Toyota zu analysieren. Computerberechnungen dienten als Vorlage für die „Weiße Haut“ aus 10.000 individuell gefrästen Gipsfaserplatten, die den Schall streuen und nun für eine optimale Akustik auf jedem der 2.100 Plätze im Parkett und auf den terrassenförmig aufsteigenden Rängen sorgen.
Unsichtbare Poesie
Technische Hilfsmittel hin oder her – um erfolgreich einen (Klang)Raum zu schaffen, der Emotionen zulässt, dessen Komposition sichtbar beziehungsweise hörbar wird, können wir uns Prinzipien der Musiktheorie bedienen: den Raum komponieren, ihn stimmen anhand von Licht/Tonhöhen und -tiefen, Wegeführung/Tonabfolge, Materialität/instrumentalische Besetzung … Vielleicht ist das sensorische Erlebnis von Architektur der Grund dafür, dass es manchmal so schwierig scheint, den Kern unserer Profession zu erklären, da es eine unsichtbare Poesie gibt, die in ihrer Gesamtheit als Komposition erfahrbar wird, Stimmungen in uns erzeugt, gefühlt und im besten Fall verstanden wird.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.
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„Über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen“, soll mal ein ärgerlicher Musiker zu seinen Kritikern gesagt haben. In diesem Artikel ist es aber wundervoll gelungen, die Themen Musik und Architektur zusammen zu bringen. Danke dafür. Als baupraxis-orientiertem Architekt kommen mir beim Lesen viele Gedanken in die Quere: was ist mit der Bautechnik? Musik hat nicht so viele Gesetze und Normen zu beachten. Und dann denke ich an ein wundervolles Zitat aus einem Interview mit Volkwin Marg: „Architektur ist das Tanzen unter den Sachzwängen.“