
Eine Szene aus der Ausstellung „Stadt für alle“ im DAM
Kirsten Bucher
Ob Oswald Mathias Ungers die wilde Stadt-Collage in seinem sakralsten Ausstellungsraum, dem Haus im Haus unterm Dach des Architekturmuseums, gefallen hätte? Jedenfalls mischt das tschechische Trio aus den Stadtplanern und Künstlern Osamu Okamura, David Böhm und Jirí Franta das frisch renovierte Haus damit ganz schön auf.
Wild und subjektiv: Stadt für alle
Die Ausstellung „Stadt für alle. Stadtplanung zum Anfassen“ ging aus dem 2022 vom DAM als Best Architectural Book ausgezeichneten gleichnamigen Buch hervor, das ein Handbuch für angehende Stadtplanerinnen und Stadtplaner sein will, aber auch für Laien gut verständlich ist.
Ein Großteil der an den übrigen Wänden des dritten Obergeschosses gezeigten Tafeln sind indes die lediglich vergrößerten Buchseiten – und damit viel Lesestoff, wenngleich treffend illustriert, teils karikiert. Es ist diese etwas wilde Leichtigkeit und Subjektivität, die dem ach so komplexen Sujet Stadt recht nahe kommt, will man dies überhaupt in den white cube eines Museums bannen. Denn dass Stadt nicht ganz planbar, sondern stets zugleich ein kreatives Chaos enthält, verdeutlicht die Präsentation.
Vielschichtigkeit von Stadtplanung
Hier wird die Vielschichtigkeit von Stadtplanung lebendig erklärt und, vielleicht etwas plakativ, aber professionell vor Augen geführt. Das zugrundeliegende Buch geht darin noch einiges weiter und gibt viele Anregungen, wie sich Städte konkret verbessern lassen, auch „von unten“. Es ist als dickes Paperback im Karl Rauch Verlag erschienen und für 25 Euro im Museum zu erwerben.

Wie plant man heute eine Stadt, ein Quartier oder eine Siedlung?
VERY, Frankfurt
Brav und ordentlich: Stadt bauen heute?
Das Fragezeichen im Titel der zweiten Schau ist berechtigt. „Stadt bauen heute? Herausforderungen neuer Quartiere in Deutschland“ ist im 1. Stock des DAM zu sehen. Ganz im Gegensatz zum Ungestüm der Tschechen kommt diese Ausstellung eher verzagt daher. Fast fühlt man sich in die Diplom-Präsentation eines Hochschuljahrgangs versetzt, so brav hängen hier neun Beispiele jüngerer Stadtviertel auf Tafeln an den Wänden.
Tatsächlich beruht die Auswahl auf einem städtebaulichen Seminar der FH Frankfurt. Schade, dass das Architekturmuseum offenbar nicht die Mittel hat, dieses so wichtige Thema vertiefter und mehrdimensionaler anzupacken. Man vergleiche den Aufwand etwa mit dem International Highrise Award, der regelmäßig hoch gesponsert städtebaulich oftmals fragwürdige Megastrukturen würdigt.
Stadt oder Siedlung?
Die Frage „Stadt oder Siedlung?“ wird leider nicht vertieft. Immerhin geht es nicht mehr um trostlose Satellitenstädte wie noch in der Nachkriegszeit. Weil die Schau im Kontext des Neuen Frankfurt-Jubiläums steht, zeigt man als Einstieg nochmal Ernst Mays Römerstadt von 1927/29, um darauf hinzuweisen, dass dies ja „keine Stadt“ ist, sondern eine Siedlung.
„Stadt kann man nicht bauen, sie kann nur werden“ hat ein kluger Stadttheoretiker mal gesagt. Es ginge also darum, gute Regeln aufzustellen, damit private Initiative in richtige Bahnen gelenkt wird. In den gezeigten acht Beispiel-Vierteln ist man in dieser Hinsicht schon deutlich weiter gekommen als in den Retortenstädten der Jahrzehnte zuvor, die heute als Inbegriff von Ödnis gelten.

Neckarbogen, Heilbronn (ab 2009)
Moritz Bernoully
Die Mühen der Stadplanung mit der Mischung
So machte man sich etwa im Neckarbogen in Heilbronn die Mühe, für jede einzelne ausgewiesene Parzelle des neuen Stadtteils Konzeptverfahren durchzuführen, um so eine relativ bunte Mischung in sozialer wie ästhetischer Hinsicht zu bekommen. In München-Neuriem und der HafenCity Hamburg lernten die Planer das erst im Laufe der Zeit, weshalb große Teile davon recht steril wirken, Bauträger-Architektur eben. Geld allein macht Städte nicht glücklich, auch beim Verkauf von Grundstücken zwecks Refinanzierung teurer Infrastruktur sollte es um weit mehr gehen als um Gewinnmaximierung.
In der Schau nimmt der frühere Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter rückblickend Stellung zu diesem Lernprozess: Er betont aber vor allem die Ästhetik. Demgegenüber erklärt Elisabeth Merk, Münchens derzeitige Planungsdezernentin, noch einmal das Münchener Modell einer sozial gerechten Bodenordnung, die auch auf dem ehemaligen Flugfeld Riem schlimmste Ausreißer verhindert hat. Als langweilig gilt die Satellitenstadt trotzdem bis heute, ähnlich wie die Bahnstadt Heidelberg, die hier vor allem als Passivhaus-Stadtteil dargestellt wird.
Stadtplanung für Developer
Es sind zweifelsohne die großen, developerfreundlichen Tranchen und der Verwertungsdruck in Zeiten knapper Kassen, die neue Stadtteile heute bei allem Bemühen so steril wirken lassen – gerade im Vergleich mit den weit kleinteiliger entwickelten Quartieren der Gründerzeit. Der Neckarbogen Heilbronn hat immerhin versucht, diese Kleinteiligkeit aufzugreifen. In einem Interview geht Planerin Barbara Brakenhoff allerdings auf die anderen Zwänge des stadtentwicklungspolitischen Sonderformats Bauausstellung ein (hier im Zusammenhang mit der Bundesgartenschau).
Brave Tafeln wie beim Uni-Abschluss
In den braven Tafeln der DAM-Ausstellung thematisiert werden solche Zusammenhänge nicht. Bei der Führung durch die Schau erwähnt Kurator Yorck Förster zwar immer wieder manche Hintergründe. Und es werden auch mehrere gescheiterte Planungen gezeigt: die Berliner Werkbundstadt, durch Verwertungsinteressen gestoppt. Die Günthersburghöfe in Frankfurt, an lokalem Nimby-Widerstand und der lahmenden Baukonjunktur verendet.
Die Tafeln selbst geben neben Schwarz- und Landschaftsplan und Foto-Impressionen von Highlights nur mehr oder weniger offizielle Statements wieder (allerdings keinerlei Nennung von Planern oder Architekten!), obwohl die beteiligten Studierenden-Teams alle vor Ort waren und sich sicher eine Meinung gebildet haben. Gewissermaßen beschränkt sich die Schau auf die Stadt „von oben“.
Stadtplanung besser aus dem Bestand entwickeln!
Auf dem zentralen Büchertisch gleich obenauf liegt Jan Gehls Klassiker „Leben zwischen Häusern“. Hätten die Macher doch seinen Rat beherzigt, auch auf das Dazwischen zu achten, das Leben in den Stadträumen. Sicher, es kann dauern, bis ein Quartier lebendig wird. Dass es hier hilfreich ist, wenn neue Stadtteile in vorhandene Strukturen integriert werden und alte, abgeschriebene Bausubstanz für Verortung (und bezahlbare Mieten) sorgt, hat schon die Stadtforscherin Jane Jacobs vor sechzig Jahren gewusst.
Warum wählte man dann fast ausschließlich komplett neue Viertel auf der grünen Wiese aus? War man da zu Zeiten der IBA Berlin 1987 nicht schon weiter? Warum etwa wird die Polarität von Partizipation und architektonischer Setzung in der Stadtplanung nicht thematisiert? Sind vielleicht weder Bürgergesellschaft noch starke Bilder produzierende Gestalter heute in der Lage, sich auf langfristige Ziele und vor allem die Wege dorthin zu einigen? Die Fragezeichen im Titel sind berechtigt. Einen Katalog, der hierzu Hintergründe bieten könnte, gibt es nicht. Insofern wirkt die Schau leider wie ein Schnellschuss.
Dennoch: Gut, dass mal darüber geredet wird, wie Städte heute wachsen, wo vor lauter Bau-Turbo mal wieder die Qualität auf der Strecke zu bleiben droht. Dem DAM wäre zu wünschen, dass man sich kuratorisch mehr zu werten traut. Wie in der parallelen Ausstellung „Architecture and Energy“ (Rezension folgt hier in Kürze) und vielen Architekturmedien nimmt ein Verlautbarungsstil überhand, der nahe an der PR ist. Und auch das Magazin, in dem diese Kritik erscheint, wird es so im nächsten Jahr vielleicht nicht mehr geben.
Stadt für alle. Stadtplanung zum Anfassen
bis 7. September 2025
Stadt bauen heute? Herausforderungen neuer Quartiere in Deutschland
bis 2. November 2025
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