Für die EUmies Awards, den alle zwei Jahre vergebenen Architekturpreis der Europäischen Union wurden auch dieses Mal wieder mehrere deutsche Projekte nominiert. BAK-Vizepräsident Prof. Ralf Niebergall, BDB-Präsident Christoph Schild, BDA-Vizepräsident Thomas Kaup und VfA-Vizepräsident Hermann Thoma legten sich während der Jurysitzung am 26. Juni auf die sieben deutschen Projekte fest.
Sie zeigen eindrucksvoll die Bandbreite zeitgenössischer Architektur – von innovativer Wohnform über intelligente Umnutzung bis hin zu poetischem Sakralraum. Sieben Projekte, siebenmal präzise Baukunst mit gesellschaftlicher Relevanz.
Ein Hinterhaus, Karlsruhe: Amunt mit Martin Gjoleka und Aristid Chang
Urbanes Wohnen neu gedacht: In einem schmalen Karlsruher Hinterhof gelang Amunt gemeinsam mit Martin Gjoleka und Aristid Chang eine den knappen Raum optimal ausnutzende Bebauung. Drei Mini-Apartments und zwei größere Wohnungen wurden in einem kompakten Volumen untergebracht. Die Konstruktion aus Massivholz wirkt durch ihre Präzision und Materialität wohnlich und warm. Das Projekt ist ein gelungenes Beispiel für architektonische Qualität trotz Flächenknappheit.
Coppenrath Innovation Centre, Osnabrück: Kresings
Ein denkmalgeschützter Lokschuppen von 1913 wurde zum Innovationszentrum umgenutzt. Mit Fingerspitzengefühl ergänzten die Architekten von Kresings das bestehende Betonskelett durch präzise Holzkuben. Entstanden ist ein ökologisches Vorzeigeprojekt, das den historischen Charakter respektiert und gleichzeitig ein neues Kapitel städtischer Nutzung aufschlägt – ein Paradebeispiel für gelungene Konversion.
Luftschiffhangar WDL, Mülheim: Smyk Fischer Architekten
Eine Halle wie ein technisches Meisterstück: Der neue Hangar für den legendären Blimp „Theo“, entworfen von Smyk Fischer Architekten, besteht aus einer reinen Holzkonstruktion, die ohne Metallverbindungen auskommt. Die tonnenförmige Schale aus Leimbindern und Aluminiumdach fügt sich elegant ins Gelände ein und öffnet sich mit einem gläsernen Ende zum Flugfeld – zugleich funktional, skulptural und atmosphärisch.
Café Leo, Berlin: sophie & hans
Inmitten der urbanen Härte von Berlins Leopoldplatz steht dieser kleine Holzpavillon von Sophie & Hans wie ein zarter Tempel. Er vermittelt Aufenthaltsqualität durch präzise Detaillierung, maßvolle Gestaltung und bewusste Verletzlichkeit. Café Leo ist ein starkes Statement für sanfte, resiliente Stadtmöblierung mit gesellschaftlicher Wirkung.
Firmenzentrale Rosink, Nordhorn: Westphal Architekten
Die neue Firmenzentrale für einen Objekteinrichter setzt Maßstäbe für nachhaltige Gewerbebauten. Die von Westphal Architekten geplante Sheddachhalle mit Aluminiumverkleidung kombiniert Klarheit in der Gestaltung mit intelligenter Nutzung von Tageslicht und Photovoltaik. Ein Effizienzhaus, das zeigt, wie Baukultur auch im Produktionssektor erreicht werden kann.
Christuskirche, Neumarkt: Brückner & Brückner Architekten
Ein stilles Meisterwerk des Weiterbauens von Brückner & Brückner Architekten: Die Neugestaltung der barocken Kapuzinerkirche verzichtet auf aufwendige Ausstattung und setzt stattdessen auf Licht, Materialität und Raumkontinuität. Eine lehmverputzte Holzschale verbindet Chor und Langhaus zu einem lichterfüllten, zeitgenössischen Kirchenraum, der vielfältige Nutzungen zulässt.
Clusterwohnen Wabenhaus, München: Peter Haimerl Architektur
Mit seinem radikalen Bruch zu konventionellen Wohnformen setzt das Wabenhaus von Peter Haimerl ein Zeichen. Die gestapelten, hexagonalen Röhren erlauben neue räumliche Beziehungen, fördern Gemeinschaft und stellen etablierte Wohnvorstellungen infrage. Trotz offener Fragen zur Alltagstauglichkeit bleibt das Projekt ein zukunftsweisendes Modell für genossenschaftliches Wohnen und experimentelle Wohnformen im urbanen Kontext.
Ausblick und Rückblick
Die Auswahl der nominierten Projekte für den EU Mies Award 2026 demonstriert, dass deutsche Architektur mehr ist als die möglichst funktionale Lösung einer Bauaufgabe. Vom Kirchenraum bis zum Gewerbebau, vom Hinterhof bis zum Luftschiffhangar: Diese sieben Beiträge zeigen Haltung, Mut zum Experiment und einen Sinn für Transformation. Sie verdeutlichen, wie Baukunst gesellschaftlich wirken kann – präzise, poetisch und politisch zugleich.
Der mit 60.000 Euro dotierte Architekturpreis ging in der letzten Ausgabe 2024 an das „Studierendenhaus der TU Braunschweig“ von Gustav Düsing und Max Hacke. Die erst kürzlich vergebenen EU Mies Young Talent Awards erhielten unter anderem das Projekt „Hotel Interim“ des Weimarer Architekturabsolventen Andreas Stanzel sowie der Beitrag „Forest & Phoenix“ von Vera Kellmann und Carolina von Hammerstein von der TU Berlin (die Entwürfe stellen wir in unserer Nachwuchs-Kolumne vor). Wer zu den EU Mies-Award-Preisträger:innen der Ausgabe 2026 gehören wird, entscheidet sich im Frühjahr kommenden Jahres in Barcelona.
Frederic Tenberge ist Referent für Kommunikation im EU-Verbindungsbüro der Bundesarchitektenkammer in Brüssel
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