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[ Erfahrungsbericht ]

Wie geht guter Industriebau? Eine Bauaufgabe mit Zukunft

Warum sind Nutzbauten oft hässlich und Industriegebiete oft menschenleer? Und was kann man dagegen tun? Unsere Autorin sprach darüber mit drei ­Architekten, die es wissen müssen: Achim Gehbauer, Sven Bickel und Cem Arat.

Fahrzeughalle am Frankfurter Flughafen mit Schneepflügen
Abgezirkelt: Oft müssen die Architekten dem Bauherrn zunächst helfen, den Bedarf herauszufinden. Beim Neubau des Winterdienstes von Fraport am Flughafen Frankfurt war beispielsweise die benötigte Rangierfläche unbekannt. Also ließen GHB Architekten einen Teil des Flugfelds sperren, auf dem dann mit verschiedensten Fahrzeugen gekurvt und gemessen wurde. Die ermittelte optimale Rangierfläche war die Basis für die Gestaltung des Erdgeschosses. Eine Herausforderung war dabei der Grundstückszuschnitt von 55 x 400 Metern. Insgesamt beinhaltet das Gebäude diverse Nutzungen mit sehr unterschiedlichen Anforderungen an Fläche und Kubatur, wie eine frostfreie Fahrzeugabstellhalle, ein Granulatlager, Sozial- und Bereitschaftsräume für 400 Fahrerinnen und Fahrer, Büroräume und eine Einsatzzentrale.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Schmuggelware“ im Deutschen Architektenblatt 04.2024 erschienen.

Von Rosa Grewe

Industrie- und Logistikgebäude stehen oft auf riesigen, versiegelten und abgeschlossenen Grundstücken, geschützt von hohen Zäunen und jeder Menge Trapezblech. Entlang der Autobahnen sind fensterlose, in Metall gehüllte Kisten ein schnell vergessenes Hintergrundrauschen. Diese Nutzbauten sind ein großer Teil des Stadt- und Landschaftsbildes, dabei aber so profan, austauschbar, hässlich und häufig, dass sich selbst Architektinnen und Architekten an ihren Anblick gewöhnt haben.

Industriebau wird zu wenig beachtet

Das ärgert den Mainzer Architekten Achim Gehbauer. Seit über 35 Jahren baut er, zusammen mit seinen Büropartnern Gerhard Helten und Sven Bickel und einem auf Industriebau spezialisierten Team (GHB Architekten), Hallen und Betriebsgebäude für große Unternehmen wie Fraport, ThermoFisher oder Marabu.

Auf unsere Interviewanfrage reagiert Achim Gehbauer prompt, weil er findet, es werde viel zu wenig über den Industriebau geredet: „Es gibt kaum Literatur zum Thema, die Fachpresse vernachlässigt Industrieprojekte und auch in der Hochschule wird kaum Industriebau gelehrt.“

Prozesse verstehen und Bedarf ermitteln

Dabei hat die Bauaufgabe Zukunft und ist sehr anspruchsvoll, individuell und speziell, wie er erklärt: „Die ­Bedarfsabfrage spielt eine große Rolle, da kommen wir oft leider zu spät in den Planungsprozess hinein.“

Jede Firma, jedes Produkt habe eigene Prozesse, es sei jedes Mal wieder „eine unbekannte Welt“, in die sich das Team tief einarbeiten muss, um dann Flächen, Funktionen und Prozesse analytisch genau aufzugliedern. Das hilft bei der Einschätzung der vorhandenen und noch benötigten Volumen.

Industriegebäude hinter einem Weizenfeld
Wandelbar: Wenn Industriebau zu starr ist, verbraucht er mehr Fläche als nötig. GHB Architekten organisierten daher die Gebäude für ThermoFisher, einen Hersteller von Laborgeräten, als flexibles System, das einen häufigen Wandel der Nutzung ermöglicht. Die drei Hallenschiffe folgen einem Grundraster von zwölf Metern und werden von 36 Meter langen Stahlfachwerkbindern überspannt. Die Fassade aus Aluminiumprofilblech ist im Bereich der Binder perforiert, sodass natürlich belichtet und belüftet werden kann. Am einen Ende der Gebäudeabfolge sind eher gleichbleibende Nutzungsbereiche wie Technikzentrale und Warenein- und -ausgang untergebracht. Am anderen Ende liegen wachsende Produktionssegmente, die öfter angepasst werden müssen.

Verständnis für wirtschaftlichen Nutzen

Oft ist es für die Bau­herren das erste Mal, dass jemand eine Bestandsaufnahme von den riesigen Bauvolumen und den über Jahre gebauten Erweiterungen macht. Die Bauten gleicht das Team mit den aktuellen Prozessen im Innern ab und hinterfragt: Inwiefern braucht der Bauherr überhaupt neue Gebäude und wie lassen sich Erweiterungen mit der ursprünglichen Baugenehmigung vereinbaren oder Prozesse auf kleiner Fläche organisieren? Wie sehen Bauabschnitte und Nachnutzungen aus, sodass Gebäude flexibel auf Wirtschaftskrisen reagieren können? Ohne ein besonderes Verständnis für den wirtschaftlichen Nutzen gehe es nicht, sagen die Architekten.

Büropartner Sven Bickel hat nicht nur Architektur studiert, sondern auch Immobilienmanagement mit Schwerpunkt Industriegebäude. Er sagt: „Die wirtschaftlichen Anforderungen stehen im Vordergrund. Ohne entsprechende Rendite gäbe es vermutlich gar keinen Industriebau.“

Lagerhallen und Logistikhallen sind gefragt

Was sich nicht lohnt, wird also erst gar nicht gebaut. Das klingt nachhaltig. Trotzdem wächst der Flächenbedarf für Industrie und Logistik. Schon jetzt nutzen wir in Deutschland rund 6.300 Quadratkilometer nur für Industrie- und Gewerbegebiete, das entspricht circa siebenmal der Fläche Berlins.

Manche Standorte, wie die über sieben Quadratkilometer große Fläche von BASF in Ludwigshafen, sind größer als die Zentren der benachbarten Großstädte. Täglich kommt deutschlandweit neue Fläche hinzu, vor allem durch eine steigende Nachfrage nach Lager- und Logistikhallen.

Auch Online-Handel braucht gute Architektur

Sven Bickel erklärt: „Der Industriebau ist Ausdruck unserer Gesellschaft: Wir bestellen immer mehr Waren, die müssen produziert, gelagert und geliefert werden.“ Zum Schutz von Stadt und Landschaft bedarf es daher nicht nur einer besseren Ästhetik der Gebäude, sondern auch eines kleineren Fußabdruckes. Dafür braucht es Architektinnen und Architekten, die Flächen sinnvoll und nachhaltig organisieren.

Bau-Betriebshof mit Betonwänden und Holzfassade
Aufgewertet: Industriearchitektur hat das Potenzial, Randlagen aufzuwerten und als Puffer zu dienen. Im Fall des Betriebshofs Deckerstraße in Stuttgart setzten asp Architekten zwischen Bahnlinie und Wohngebiet einen Riegel, der den Lärm der Züge für die Anwohner abschirmt (links im Bild). Die Garagen und Werkstätten wurden aus Recyclingbeton ausgeführt. Sie bilden einen massiven Sockel für den darüberliegenden Holzbau, der hinter seiner Fassade aus Holzlamellen die Innenräume für die Angestellten aufnimmt.

Funktionstrennung aufheben

Die nachhaltige Flächennutzung ist auch für Cem Arat der wunde Punkt. Er ist Architekt, lehrte Stadt- und Regionalplanung und ist heute einer von fünf Geschäftsführenden bei asp Architekten. Deren Betriebshof in der Stuttgarter Deckerstraße schaffte es auf die Nominierungsliste für den Preis des Deutschen Architekturmuseums 2024 und war bereits der zweite für seine Architektur prämierte Betriebshof, den das Team für eine Kommune plante.

Die effiziente Organisation der Flächen und deren städtebauliche Integration sowie der Umgang mit dem Baumaterial Holz zeichnen beide Projekte aus. Beim Industriebau plädiert Cem Arat mit Nachdruck für ein Umdenken: „Für kurze Wege und für mehr Nachhaltigkeit müssen wir die Produktion zurück in die Stadt holen und die klassische Funktionstrennung aufheben.“

Industriebau wird an die Peripherie verdrängt

Dass monofunktionale Quartiere und Gebäude weniger robust, flexibel und dadurch krisenanfälliger sind und wir eine Nutzungsmischung im Urbanen brauchen, ist seit über zwei Jahrzehnten Konsens bei Stadtplanenden. Dabei bleibt aber der Industriebau bis heute meist ausgeklammert.

Er rückt im Gegenteil sogar mit zunehmender Automatisierung und der damit einhergehenden Entmenschlichung in seinem Innern weiter in die Peripherie; großvolumige und oft fensterlose Industriekisten erscheinen wenig integrationsfähig. Dabei gehe es nicht um die einzelne Kiste mit ihrer belanglosen Architektur, ärgert sich Cem Arat: „Die Häufung ist doch das Problem.“

So reiht sich in Industriearealen ein fensterloses Volumen an das nächste als Resultat einer konservativen Flächennutzungsplanung der Kommunen. Cem Arat meint: „Die Weichen werden im Städtebau gestellt, und hier sind es die Kommunen, die mit den Rahmenplänen Vorgaben machen.“

Lagerhalle für Streusalz mit Holzwänden und Holzdecke
Salz in Holz: Gut geplant und gestaltet können auch Nutzbauten sehenswerte Einblicke gewähren, so wie hier die Salzlagerhalle im Stuttgarter Betriebshof Vogelsang, gestaltet von asp Architekten.

Sind Industriegrundstücke zu günstig?

Doch Mischgebiete mit Industrie und anderen großvolumigen Nutzbauten sind schwierig. Dabei ergeben sich nicht nur Fragen der Maßstäblichkeit und der technischen Infrastruktur, sondern auch soziale und wirtschaftliche. So müssten Kommunen zum Beispiel ihre Bodenpreispolitik verändern, denn Industriegrundstücke sind deutlich günstiger als Flächen fürs Wohnen.

Darüber hinaus stoßen Einschränkungen der Industrie zugunsten einer verträglichen Nachbarschaft schnell auf Widerwillen der Unternehmen; jedes Zugeständnis an die Industrie ärgert dagegen die Nachbarschaft, die dort wohnt. Für die Kommunen geht es um die eigene Konkurrenzfähigkeit als Wohnort und als Industriestandort.

Industriebau versus Bebauungsplan

Achim Gehbauer weiß von seinen Kunden, dass kommunale Vorgaben, zum Beispiel bezüglich der Nachhaltigkeit oder der konkreten Baulinien, oft nicht zum Bedarf und zum Produktionsalltag seiner Bauherren passen. Sein Team sitzt dabei zwischen den Stühlen – der Nutzungsbedarf des Unternehmens hier, die kommunalen Ziele dort. Achim Gehbauer kritisiert: „Gerade in den mittelgroßen Städten fehlt in der Verwaltung oft die Fachkenntnis für den Industriebau. Wir brauchen mehr Qualität in den Bebauungsplänen.“

Kommunen haben hohe Ansprüche an sich selbst

Doch wenn eine Kommune selbst baut, sieht es oft anders aus, wie Cem Arat beobachtet: „Das Bewusstsein für nachhaltiges Bauen ist in den meisten Kommunen sehr hoch.“ Nachhaltige und soziale Aspekte sind bei kommunalen Bauten, auch bei Nutzbauten, eine festgeschriebene Anforderung.

Wettbewerbsverfahren machen zudem die architektonische Qualität zum Kriterium. Der ressourcenschonende Materialeinsatz, der ökologische Fußabdruck, aber auch die Qualität der Räume als Arbeitsorte sind heute Standard-Anforderungen für kommunale Nutzbauten.

Industriebau hatte einst soziale Ansprüche

Bei Bauherren aus der Industrie gestaltet sich das oft anders, wie Achim Gehbauer erklärt: „Architektur ist bei uns Schmuggelware.“ Er lacht, als er das sagt, kritisiert aber, dass die Qualität des Raumes als Arbeits- und Sozialraum für die Menschen, die dort arbeiten, für die Auftraggebenden oft keine Rolle spielt. „Alleine die Arbeitsstättenrichtlinien sind oft schwierig durchzusetzen“, bemängelt er.

Tageslicht, eine gute Aussicht oder eine ansprechende Gestaltung, darüber muss sein Team oft erst mit den Auftraggebenden verhandeln. Beide Büros verweisen auf die Zeit der Industrialisierung, als Fabriken und Werkswohnungen auf einer urbanen Fläche symbiotisch koexistierten und durchmischte, lebendige Nachbarschaften bildeten. Sie schwärmen von der beständigen Architekturqualität der Bauten und betonen den sozialen Anspruch, der heute zu oft fehle. Muss der Industriebau eine Rückwärtsrolle machen, um zukunftsfähig zu werden?

Die Zukunft der Produktion

Dazu wird es wohl eher nicht kommen, nach Einschätzung von Sven Bickel: „Die Automatisierung mit Robotern gleicht die Produktionsprozesse verschiedener Sparten aneinander an. Auch das Design nivelliert sich immer mehr.“ Weniger Menschen, mehr computergesteuerte Roboter, zunehmend gleiche Prozesse, für Bickel hat das Chancen: „Perspektivisch lassen sich Roboter auch auf kleinsten Volumen an einem beliebigen Ort aufstellen. Unsere Utopie ist eine weniger flächig, mehr vertikal organisierte und sehr platzsparende Fabrik“, sagt er.

Eine enge Fabrikstraße als tetrisförmiges Hochhaus oder eine ferngesteuerte, viel Solarstrom produzierende Fabrik in der Wüste, für Achim Gehbauer und Sven Bickel sind das durchaus Lösungen gegen den Flächenfraß. Die Wüste ist dagegen für Cem Arat keine Option, wegen der langen Transportwege.

Aber in neuen Produktionsprozessen sieht auch er Chancen: „In vielen zeitgemäßen Produktionen gibt es heute viel weniger Lärm oder Schadstoffemissionen, und ihre Ansiedlung auf innerstädtischen Brachen kann die Innenstädte neu beleben.“ Er setzt auf synergetische Nutzungsmischungen mit kleinen innerstädtischen Mobilitäts-, Produktions- oder Distributionszentralen und drängt auf die Öffnung abgeschlossener Firmenareale für die Öffentlichkeit.

Für Bauherren muss sich Industriebau lohnen

Dass sich der Nutzbau, vor allem die Industrie-, Lager- und Logistikgebäude, und die dazugehörigen Flächen verändern müssen, da sind sich beide Büros einig. Aber wie bringt man die Auftraggebenden dazu, mehr in Gestaltung, Nachhaltigkeit und soziale Belange zu investieren, wenn einzig die Rendite zählt?

Beide Büros verweisen auf den Fachkräftemangel. Cem Arat hofft: „Im Kampf um die besten Fachkräfte müssen die Unternehmen attraktiver werden und ihren Mitarbeitenden ein besseres Arbeitsumfeld bieten. Daher werden sie sich wandeln müssen.“

In Zukunft mehr Flexibilität und weniger Fläche

Außerdem könnten Bauherren von einer Veränderung beim Bauen durchaus mehrfach profitieren, ist Sven Bickel überzeugt: „Die zunehmende Gleichförmigkeit der Prozesse im Innern ermöglicht ein elementiertes Baukastensystem, das, einmal ausformuliert, eine höhere Baugeschwindigkeit, kleinere Flächenbedarfe, mehr Robustheit und Flexibilität bringt.

Es ermöglicht auch mehr Qualität bei Gestaltung und Material sowie eine nachhaltige Nachnutzung.“ Bis es aber so weit ist, müssen Architektinnen und Architekten die Qualität im Industriebau ganz besonders verteidigen. Damit der eben nicht mehr so aussieht, wie er viel zu oft aussieht.

Beleuchtetes Parkhaus mit grünen Fensterscheiben und diagonalem Tragwerk
Energetisch: Nutzbauten können einen ästhetischen Beitrag für eine nachhaltige Energieversorgung leisten. Beispielhaft dafür ist das Parkhaus mit integrierter Energiezentrale, das asp Architekten für das Quartier Neckarpark auf dem ehemaligen Güterbahnhof Stuttgart Bad Cannstatt realisiert haben. An der Nordfassade dient eine Schuppenhaut aus grünen Glasschindeln als Schall- und Blendschutz für die angrenzenden Wohnhäuser und sorgt für natürliche Belüftung. Die restlichen Fassaden werden berankt. Das Dach ist mit Photovoltaik belegt. Die Energiezentrale im Erd- und Untergeschoss sichert den Wärmebedarf von 850 Wohnungen, Gewerbe und einem Sportbad. Als regenerative Energiequelle für die Wärmepumpen und Blockheizkaftwerke inklusive zwei Pufferspeichern in der Energiezentrale dient ein großer Abwasserkanal. Von hier aus versorgen zwei Wärmenetze mit unterschiedlichen Temperaturniveaus das naheliegende Quartier: Mit bis zu 43°C sichert das Niedertemperaturnetz die Raumheizung und Trinkwasser-Vorerwärmung. Die höher temperierte Motor- und Abgaswärme der Blockheizkraftwerke sichert im zweiten Hochtemperatur-Wärmenetz mit bis zu 75°C die Nacherwärmung des Trinkwassers und verhindert die Legionellenbildung. Die Kombination der Netze spart pro Jahr etwa 1.650 Tonnen CO2-Emissionen gegenüber konventionellen Heizkonzepten ein.

Alle Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Nützlich

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