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Architektur muss politisch werden

Demografie, Klimawandel, Rechtsruck: In dieser Situation können sich die Architektenkammern nicht darauf zurückziehen, den Abbau von Baugesetzen und Verordnungen einzufordern. Architektur muss sich politisch einmischen.

Markus Müller Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg
Moniert unbewegliche Baupolitik in Deutschland: Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg.

Dieser Kommentar ist unter dem Titel „Architektur muss politisch werden“ im Deutschen Architektenblatt 03.2024 erschienen.

„Architecture is a political act, by nature.“ Der Satz des amerikanischen Architekten Lebbeus Woods ist aktuell wie nie. Die deutschlandweiten Proteste gegen Rechtsradikalismus scheinen fern unserer berufsständischen Themen. Sie sind es nicht. Tatsächlich hat sich in der Gesellschaft – in Teilen berechtigt – der Eindruck staatlicher Orientierungslosigkeit auch und gerade im Bereich des Wohnens und Bauens festgesetzt.

Wohnungsbauziele verfehlt

Eine Bundesbauministerin, angetreten mit verheißungsvoller Rhetorik, bezeichnet Statistiken zum sozialen Wohnungsbau als unseriös, weil nicht ausgesprochen werden soll, dass das verkündete Ziel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, grandios verfehlt wurde – mit allen sozialen Folgen. Auf Landesebene interpretiert das zuständige Ministerium als Erfolg, halb so viele Sozialwohnungen gefördert zu haben wie versprochen.

Ankündigungspolitik und Schlagworte

Wir erleben hektische Ankündigungspolitik mit teils grotesken Wort­erfindungen („Bau-Turbo“) und absurden Vorschlägen: vierzehn Trabantenstädte aus modularen Bausystemen oder Aussetzung der Regelungen des BauGB. Gleichzeitig wird Bauen noch immer als reine Marktangelegenheit betrachtet, Bodenpolitik als Sozialismus geschmäht und den René Benkos (Signa) dieser Welt werden wertvolle Immobilien hinterhergeworfen in der Hoffnung, es möge schon irgendetwas mit Wohnen herauskommen. Was ist los mit der Baupolitik in Deutschland? Die Bestandsaufnahme ist mehr als dürftig.

Beispielhafte Architektur wirkt politisch

Die Architektenkammern in Deutschland haben über Jahre ihren Auftrag als Körperschaften geräuschlos erledigt: konsequente Qualitätssicherung, Eintragung in Architektenlisten, Stellungnahmen, Wahlprüfsteine und Kooperationen in der Weiterbildung. Parallel dazu veränderte sich jedoch ihr Selbstverständnis. Nicht etwa aus Hybris, sondern aus der wachsenden Einsicht heraus, dass es nicht mehr genügt, die übertragenen Aufgaben abzuarbeiten und ansonsten das hohe Lied der Baukultur zu singen.

Wir analysieren Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen, machen die Innovationskraft von Architektur, Stadtplanung und Landschaftsarchitektur an konkreten Themen greifbar und führen die guten Ideen zu baubaren und bezahlbaren Konzepten zusammen. Wir übernehmen damit jene Verantwortung, die wir uns von der politischen Ebene wünschten.

Mit Förderung Einfluss nehmen

Staatliche Wohnbauförderung muss wirken, wo Markttätigkeit versagt. Ausreichend bezahlbaren Wohnraum vor allem für das untere Einkommensdrittel der Gesellschaft vorzuhalten, ist eine staatliche Aufgabe in der sozialen Marktwirtschaft. Auch wenn auf Länderebene manch vielversprechendes Format, etwa der Strategiedialog in Baden-Württemberg, aufgesetzt wurde: Die Politik in toto scheint den Kompass verloren zu haben, wo sie mit klarer Rahmensetzung und Förderung Einfluss nehmen muss – und wo nicht.

Sie verliert sich zu oft im Klein-Klein des Parteienstreits und verspielt so Chancen, die Herausforderungen durch Demografie oder Klimawandel zielführend angehen zu können. Nicht die Problemlagen als solche lassen immer mehr Menschen verzweifeln, sondern die Inkonsistenz, mit der Entscheidungen getroffen werden. 

Architektur muss sich politisch einmischen

In dieser Situation kann sich die berufsständische Vertretung nicht darauf zurückziehen, den Abbau von Baugesetzen, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen einzufordern. Auf Deutschland bezogen, wäre der Satz von Lebbeus Woods im Jahr 2024 deshalb getrost abzuwandeln: Architektur muss sich in Politik einmischen, es könnte notwendig sein!

Markus Müller, Präsident der Architek­tenkammer Baden-Württemberg

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2 Gedanken zu „Architektur muss politisch werden

  1. Vielen Dank für den erfrischenden Beitrag. Nur die letzten Worte „es könnte notwendig sein“ sind mir zu zaghaft. Es ist notwendig und ich habe den Eindruck die AKBW macht das auch.

    Antworten
  2. Der Aufruf „Architektur müsse politisch werden“, klingt zunächst gut, entpuppt sich aber in der Form als beliebig. Architektur ist durch ihre gebaute Realität (Eingriffe in die Umwelt, große gesetzliche Reglementierungen, wirtschaftliche u. gestalterische Bedeutung) immer gesellschaftlich äußerst relevant u. damit auch immer politisch. Das gilt auch wenn es keinen akuten Wohnungsmangel gibt.
    Es scheint wenig erfolgversprechend, dass Architekten sich besonders auszeichnen würden, in dieser Zeit ein politisches Signal gegen die Radikalisierung unserer Gesellschaft setzen zu können. Der Blick in die Baugeschichte oder auch auf die aktueller, besonders spektakulärer Bauaufgaben mit ihren antidemokratischen, autokratischen Bauherren, gerade durch die Ausgezeichnetsten unserer Zunft prägt vorrangig die politische öffentliche Wirkung von Architekten. Selbst einen politisch glaubwürdigen kritischen Diskurs hierzu sucht man vergeblich in Veröffentlichungen unserer Kammerorgane. Hier fokussiert man sich lieber nur auf die Architektur und hält sich mit politischer Kritik vornehm zurück.
    Was unseren Berufsstand aber auszeichnet und unsere besondere gesellschaftliche Stellung rechtfertigt, hörbar macht, ist unsere relativ breite Fachkompetenz. Hier liegt auch die Möglichkeit/Lösung, als Berufstand der „Architekten“ besonders indirekt politisch glaubwürdig wirkungsvoll agieren zu können um der wachsenden Radikalisierung unserer Gesellschaft entgegen zu wirken.
    Leider wurde dies wohl versäumt, weil eben falsch verstandener politischer Idealismus über technischen Sachverstand gestellt wurde. Längst hätte man sich nicht politisch, sondern fachlich einbringen müssen in den unzähligen TV-Diskussionen, in denen sich hauptsächlich radikal ideologische Laien unsachlich gestritten hatten. Schon im Vorfeld waren doch auch die gesellschaftlichen Folgen dieser unabgestimmten u. in vielerlei Hinsicht sachlich unqualifizierten GEG-Novelle absehbar. Die Novelle wurde schon mittels falscher Kostendarstellungen in der Gesetzesbegründung geplant (vorliegende DENA-Zahlen wurden scheinbar als vernachlässigbar betrachtet) und trotz vom Bundestag selbst beauftragter Sachverständigen-Stellungnahmen wurde unbeeindruckt die Novelle, die nur in ihrer Radikalität ideologisch begründbar war, beschlossen. Der Konsequenzen war aber gerade die von Heizungs-Gebäudesanierung betroffene, relativ große Bevölkerungsgruppe sich direkt bewusst. Erwähnt sei nur die diskriminierende geplante Altersgrenze von 80 Jahren oder nun entsprechende Einkommensnachbesserungs-versuche/Grenzen. Dies offenbart die einfach von der Regierung ignorierte oder unüberlegte, gesellschaftliche wirtschaftliche Überforderung durch die Novelle. Von fehlender Infrastruktur ganz zu schweigen. Einhellige Meinung von Praktikern bei Fortbildungsveranstaltungen dazu: „das funktioniert eh nicht“. Die Kammern müssen sich daher den Vorwurf gefallen lassen, dort ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht wahrgenommen zu haben durch begleitende fachkompetente konstruktive Kritik. Gelegenheiten gab es in den öffentlich-rechtlichen Medien wohl genug. Eine breit vermittelte Fachkompetenz durch Ingenieur- u. Architektenkammern in der politischen/medialen Diskussion hätte dieses katastrophale Gesetz wahrscheinlich verhindert und somit eine politische Radikalisierung verhindern geholfen. Zumindest hätte es die Glaubwürdigkeit von Demokratie bestärkt. Die Fehler bei der Novelle sind so gravierend, dass anders als im Artikel-Aufruf dargestellt, nicht das untere Drittel der Einkommensgrenze, sondern die Mittelschicht (besonders Rentner u. Rentnerinnen) besonders hart getroffen werden. Die immensen notwendigen staatlichen Förderungen, im Text als Lösung angesprochen, sind bei den radikalen, kurzen Zeitzielen nicht leistbar und auch für den Klimaschutz nicht sinnvoll umsetzbar. Zudem gefährdet man damit sogar den sozialen Zusammenhang unserer Demokratie, wie man jetzt sieht. Dies sagen u. beweisen die von der Ampelregierung selbst im Vorfeld berufenen Gutachter. Das planlose Tempo ist nur ideologisch begründbar und unterstützt unnötig eine Demokratie-Verdrossenheit und Radikalisierung unserer Gesellschaft. Der demokratischen Gesellschaft und der (gebauten) Umwelt wäre sicher mehr geholfen, wenn Architekten aufzeigen helfen was technisch realisierbar ist aber auch welche Kosten der Gesellschaft entstehen.

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