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[ Interview ]

Mathias Wirths: wie man ein nachhaltiges Supermaterial findet

Wie kann der steigende Bedarf an nachwachsenden Baustoffen gedeckt werden, wo das Nachwachsen nun mal seine Zeit braucht? Vielleicht müssen wir einfach unsere Palette erweitern. Daran forscht Mathias Wirths. Mit ihm sprachen wir über kleine Bauten mit großer Wirkung und die schnell wachsenden Pflanzen Paulownia und Miscanthus

Bau der Workbox
Mathias Wirths: „Eine Fichte braucht ungefähr 60 Jahre, bis sie geschlagen wird. Das schafft die Paulownia in 15 Jahren“

Prof. Dr. Mathias Wirths ist Architekt und seit 2012 Professor für Bautechnologie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter.

Dieses Interview ist unter dem Titel „Der Chef im Schilf“ im Deutschen Architektenblatt 09.2021 erschienen.
Interview: Brigitte Schultz und Lars Klaaßen

Herr Wirths, Sie haben mit Ihren Studenten die „Workbox“ gebaut. Der Forschungsbau sieht aus wie ein klassisches kleines Holzhaus. Was ist das Spannende daran?

Die Workbox ist ein Demonstrationsgebäude für die Pflanzen Paulownia und Miscanthus, die sich beide hervorragend als Baustoffe eignen. Interessant an diesen Pflanzen ist, dass sie so schnell wachsen. Eine Fichte braucht etwa 60 Jahre, bis sie geschlagen wird. Das schafft die Paulownia in 15 Jahren. Miscanthus ist eine Art Schilfgewächs, das etwa so aussieht wie Bambus im Kleinen. Es wächst jährlich bis zu drei Metern, kann also jedes Jahr geerntet werden. Wir haben Paulownia und Miscanthus in einem Bau miteinander kombiniert. In den Innenräumen ist Miscanthus für die Wandoberfläche verwendet worden, außen für die Dacheindeckung und die Fassade. Der überwiegende Anteil der Konstruktion und der sichtbaren Holzoberflächen ist Paulownia.

Ist Paulownia ein heimisches Holz?

Die Paulownia ist in den ersten drei Jahren sehr frostempfindlich. Deswegen kommt sie momentan aus Spanien – oder eben, nicht ganz so nachhaltig, aus Asien. Die Kollegen der Uni Bonn forschen daran, wie man die Frostempfindlichkeit in den ersten Jahren verringern kann. Denn der Baum ist sehr interessant für den Umbau unserer Wälder. Wir wissen ja mittlerweile, dass die herkömmlichen Bauholzlieferanten ein Problem haben.

Prof. Dr. Mathias Wirth und Prof. Dr. Ralf Pude
Prof. Dr. Mathias Wirths (rechts) im Gespräch mit Prof. Dr. Ralf Pude von der Uni Bonn

Die Workbox steht im Unternehmerpark Kottenforst in Meckenheim. Warum da?

Das Gebäude ist Teil des dortigen NaWaRo-Kompetenzzentrums, das biobasierte Produkte fördert. Dafür werden Unternehmen, Kommunen und Wissenschaft miteinander vernetzt. Die Stadt Meckenheim hat uns dieses prominente Grundstück erst einmal für fünf Jahre zur Verfügung gestellt, um dort die Workbox zu bauen. Wir machen dort auch Freilandversuche mit weiteren Pflanzen, die schnell wachsen. Die Workbox dient als Lager für Werkzeug und als Umkleide. Sie ist in dem Forschungsprojekt „biobasierte Produkte“ entstanden, das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wurde. Wir haben das gemeinsam mit der Uni Bonn und der Hochschule Rhein-Sieg betreut.

Wie wurde das Projekt bisher ­aufgenommen?

Ich bin tatsächlich ein bisschen überrascht über die große Resonanz auf ein so kleines Gebäude. Der WDR war da, das Radio … Da sieht man mal wieder das Schöne an unserem Beruf als Architekt oder Architektin: das Sichtbarmachen von Dingen. Das können wir auch für die Forschung beitragen. Auch wenn es nur die Größe eines Gartenhäuschens hat: Es steht da. Das zu sehen, ist etwas anderes, als wenn ich ein paar Seiten über etwas lese.

Was war das Ziel des Projekts?

Neben dem kleinen Best-Practice-Beispiel zielt das Projekt auch darauf ab, holzwerkstoff­ähnliche Platten oder Stäbe aus Miscanthus zu entwickeln, vielleicht in Kombination mit der Paulownia. Miscanthus ist sehr fest, hat eine hohe Zugfestigkeit. Paulownia ist ein sehr leichtes Holz mit guten Wärmedämmeigenschaften – es hat nicht ganz die mechanische Leistungsfähigkeit einer Fichte, aber dafür, dass es nur die Hälfte des Gewichtes hat, sind die Werte noch recht gut. Wir hätten das Forschungsprojekt gern mit einem fertigen Werkstoff abgeschlossen, sind aber ein bisschen zurückgeworfen worden. Eine Idee war zum Beispiel, Fachwerkträger nur aus Miscanthusbündeln zu bauen. Doch dafür braucht es kraftschlüssige Verbindungen zwischen den Miscanthusstängeln, um die tragende Funktion zu verstärken. Miscanthus hat aber eine wachsartige Oberfläche, das ist für das Verleimen enorm schwierig.

Ist Leim nicht ohnehin problematisch für die Wiederverwendbarkeit?

Ja. Deswegen wollten wir die Halme nicht mit irgendeinem Kunstharz verkleben. Versuche mit natürlichem Leim blieben erfolglos. Wir sind dann darauf gekommen, dass man die Halme am besten mechanisch behandelt, also die Oberfläche anraut. Einer unserer Architekturstudenten – ein sehr kreativer Kopf, der dabei mal eben so einen Umweg über den „Maschinenbau“ gemacht hat – hat dafür den „Miscanthus-Biber“ entwickelt.

Innenraum der Workbox
Im Inneren wurde ein Dämmputz verwendet, der auch auf Miscanthus basiert.

Wie funktioniert Ihr mechanischer Biber?

Das Gerät ist etwa halb so groß wie ein Schreibtisch, hat drei Motoren und ein paar Steuereinheiten, mit denen man die Umdrehungen unterschiedlich einstellen kann. Vorn kann man die Miscanthus-Halme zuführen. Da sind Gummiwalzen, die langsamer laufen als die rotierenden Drahtbürsten oder Keramikschleifelemente, die hinten angelegt sind. So wird der Halm durchgezogen und die Oberfläche aufgeraut. Für die Fortsetzung des Forschungsprojektes habe ich einen Förderantrag bei „Zukunft Bau“ gestellt, in der Hoffnung, dass wir die angestrebten Werkstoffe und auch den Miscanthus-Biber weiterentwickeln können. Unsere Idee ist, damit rund 20 Zentimeter lange Miscanthus-Späne zu erzeugen, um so stabförmige Holzwerkstoffe – in Anführungszeichen, es ist ja Gras – herstellen zu können. Das ist dann ein nächstes Projekt.

Was fasziniert Sie an Miscanthus?

Diese Pflanze hat ein sehr hohes Potenzial. Ich habe das einmal so demonstriert, indem ich an zwei Stäbe – einen aus Fichte, einen aus Miscanthus – je eine Tasse Kaffee gehängt habe. Da kann man sehen, wie viel ein viel leichterer Miscanthusstab trägt, dass er sich eben nicht so leicht durchbiegt wie der Fichtenstab bei gleichem Durchmesser. Das Material hat eine höhere Zugfestigkeit. Es hat auch noch andere faszinierende Eigenschaften. Im Inneren ist ein Schaum, ähnlich wie Styropor. Daraus hat Professor Ralf Pude von der Uni Bonn vor einigen Jahren eine Art Dämmputz entwickelt, der auch in die Workbox eingearbeitet worden ist. Professor Pude ist Agrarwissenschaftler und sozusagen der „Miscanthus-Papst“.

Fassade der Workbox
Auch ästhetisch können sich die Materialen sehen lassen.

Was kann man als Architekt auf diesem biologischen Gebiet zur Forschung der Agrarwissenschaftler hinzufügen?

Wir können zum Beispiel für ein bisschen „Baustoffästhetik“ sorgen. Im Augenblick werden die Miscanthus-Fasern bei der Ernte meist klein gehäckselt. Die Platten daraus gleichen einer Spanplatte. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber für den Einsatz im Möbelbereich oder auch als sichtbare Oberfläche ist das nicht ganz so ansprechend. Nimmt man längere Fasern, bekommt das eine Optik wie eine Bambus-Platte – wir haben das mal händisch zusammengebaut. Damit kann man eine ganz andere Ästhetik erreichen. Ich denke, dass man mit langen Fasern auch bessere mechanische Eigenschaften hinbekommt – wenn wir das mit der Verleimung lösen können, was eben während des letzten Projektes schwierig war.

In den Jahren, in denen Sie nun schon forschen: Hatten Sie ein Lieblingsprojekt?

Besonders spannend sind immer Projekte, bei denen ich mit Studierenden Dinge auch umsetzen kann. Die Workbox beispielsweise ist eine Bachelorarbeit von zwei Studierenden der Alanus Hochschule, die ich mit einem Mitarbeiter betreut habe. Damit verbindet sich bestenfalls eine wissenschaftliche Erkenntnis, wie beispielsweise, als wir diesen Miscanthusträger gebaut haben.

Was ist für Ihre Studierenden wichtiger: Theorie oder Praxis?

Ich unterrichte auch Tragwerkslehre und konstruktives Entwerfen, und natürlich muss man diese Theorie vermitteln. Genauso wichtig ist aber das konkrete Bauen: Auch wenn es nur ein Gartenhaus ist, so ein Anschluss von Dach und Wand muss trotzdem dicht sein. Ich glaube, wenn die Studierenden das einmal gesehen und gebaut haben, ist das ein guter Wissenszuwachs. Ich will sie ja nicht zum Handwerker ausbilden, sie sollen trotzdem Planerinnen und Planer werden, aber ich denke, dass diese Projektarbeit mit Studierenden ein wichtiger Beitrag zur Architekturlehre ist.

Was reizt Sie an der Forschung im Gegensatz zum Architekturbüro?

Grundsätzlich etwas Neues zu entwickeln, ist unserem Berufsstand ja nicht so fremd. Von daher reizt mich an der Forschung das Gleiche wie im Architekturbüro: schöne Projekte umzusetzen. Gerade mit Blick auf die Mittlerfunktion zwischen verschiedenen Disziplinen finde ich sehr viele Parallelen im Bereich der Forschung und der Tätigkeit herkömmlicher Architekten und Architektinnen: dass wir etwa mit Fachplanern umgehen, die natürlich in ihrem Gebiet viel mehr wissen als wir selbst. Und dass wir uns auch bewusst zurücknehmen müssen im Sinne eines positiven Projektausgangs, das eine oder andere zusammenführen und koordinieren. Da sehe ich sehr viele Parallelen.

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Forschen.

3 Gedanken zu „Mathias Wirths: wie man ein nachhaltiges Supermaterial findet

  1. Wow, da hat man 40 Jahre nach Gernot Minke immer noch die gleichen Forschungsvorhaben auf dem Tableau. Inzwischen sind die einen mit dem smarthome und dem Plusenergiehaus unterwegs, da kommen andere mit alten Kamellen daher und verkaufen diese als Innovation und neuen Weg. Raumhöhen werden bei einem anderen Kollegen sogar wieder auf Althausstandard hochgesetzt, weil besser fürs Klima usw.
    Was ist eigentlich los in diesem Land, wo man hightec gegen Mittelalter stellt und die Wissenschaft sich mal so und mal so definiert.
    Es scheint wie bei der gesamten Ökologie, die einen wollen mit hightec das Ziel erreichen, die anderen mit Rückwärtsgang. Hoffentlich erlebe ich noch den vernünftigen Mittelweg und die Gesetzgeber einigen sich auf einen Weg, den man gehen kann, ohne dass man im Gefängins oder der Klapse landet.

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  2. genau so ist es….
    Wir bauen seit über 10 Jahren Wohnhäuser mit dem Rohstoff Miscanthus… siehe http://www.nawaro.ch )
    In der Praxis bewährt sich das Material mit dem entwickelten Baukonzept sehr gut.
    Auch die Isolationswerte erfüllen die EU-Anforderungen.
    Damit aber ein neuartiger Baustoff und sein Konzept eine Zulassung bekommt, müssen sehr viele Anforderungen erfüllt sein. ( Erdbebensicher, Feuerfest, Sturmsicher, Isolation, etc)
    All diese Auflagen müssen beim entsprechenden „Amtsschimmel“ geprüft, getestet und dokumentiert sein.
    Diese Palette kostete uns nun über 160000 Franken.

    Antworten
  3. Sehr schöne Idee, ich finde das Ergebnis sieht nicht nur gut aus sondern wirkt echt wohnlich. Ich unterrichte auch Tragwerkslehre und konstruktives Entwerfen, und natürlich muss man diese Theorie vermitteln. Genauso wichtig ist aber das konkrete Bauen: Auch wenn es nur ein Gartenhaus ist, so ein Anschluss von Dach und Wand muss trotzdem dicht sein. Ich glaube, wenn die Studierenden das einmal gesehen und gebaut haben, ist das ein guter Wissenszuwachs.

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