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[ Wettbewerb ]

Das Frankfurter Modell

Beim bezahlbaren Wohnen bleibt es viel zu oft bei guten Ideen. Doch in Frankfurt sollen die Ergebnisse eines Wettbewerbs schon bald umgesetzt werden – in einem Baugebiet, das eigentlich schon beplant war. Dabei behält die Stadt dank Erbpacht die Kontrolle über ihren Boden

Von Karen Jung

Frankfurt am Main ist einer der deutschen Hotspots überproportional stark steigender Immobilienpreise und Mieten. Freifinanzierter neuer Wohnraum wird häufig zu Preisen angeboten, die selbst für die Mittelschicht nur noch schwer bezahlbar sind. Der über zwei Jahrzehnte angestaute Mangel bzw. Verlust an geförderten Wohnungen ist hier besonders sichtbar. Erst seit wenigen Jahren gelingt es der Stadt wieder, moderate Neubauzahlen im geförderten und preisgedämpften Segment des Wohnungsbaus zu verzeichnen – aber eben noch nicht im ausreichenden Maße.

Dass es bei dieser Aufgabe nicht allein um Fertigstellungszahlen, sondern auch um die Architektur- und Wohnqualität gehen sollte, ist die Initialidee des Wettbewerbs WOHNEN FÜR ALLE. Das zweistufige kooperative Wettbewerbsverfahren wurde vom Dezernat für Planen und Wohnen der Stadt Frankfurt am Main, dem Deutschen Architekturmuseum und der ABG Frankfurt Holding als Bauherr erstmals 2018/19 durchgeführt.

In einer ersten Phase folgten dem Aufruf über 100 europäische Architekturbüros und reichten mehr als 130 realisierte Projekte zum bezahlbaren Wohnungsbau ein. Die Entwerfer zehn ausgezeichneter Projekte qualifizierten sich für die zweite Phase, das als kooperatives Wettbewerbsfahren nach RPW 2013 durchgeführt wurde. Das Ergebnis waren zehn Konzepte für Frankfurt – vier davon wurden von der Fachjury ausgewählt, um für die weitere Planung beauftragt zu werden. Ab 2020 sollen damit rund 200 Wohneinheiten auf dem Bauareal im Hilgenfeld – einem ca. 17 Hektar großen und kommunalen Stadtentwicklungsgebiet im Frankfurter Norden – entstehen. 40 Prozent der Wohnungen werden davon im geförderten Wohnungsbau errichtet. Die freifinanzierten Wohnungen sollen zudem zu preisgedämpften Mieten angeboten werden. Ergänzend sind 15 Prozent des Gesamtareals für gemeinschaftliche und genossenschaftliche Wohnprojekte reserviert. Damit soll langfristig auf mehreren Ebenen bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden.

Wichtiger als die quantitative Dimension, war den Auslobern die Qualität der Projekte: Die Beiträge der Architekten aus Wien, Zürich, Hamburg, Amsterdam, Köln und Berlin sollen der Diskussion um das preisgünstige Wohnen wichtige innovative Impulse geben – nicht nur in der Mainmetropole. Aber was waren die genauen Kernfragen des Verfahrens WOHNEN FÜR ALLE, mit denen Kosten und Qualitätsanspruch unter einen Nenner gebracht werden sollten?

Das Bauland

Wesentliche Grundlage um eine Bezahlbarkeit von Wohnraum zu gewährleisten, bildeten die Grundstücke verschiedener stadtnaher Stiftungen, welche im Erbbaurecht der ABG Frankfurt Holding zur Bebauung überlassen wurden. Damit geht Frankfurt an dieser Stelle deutlich weiter als viele Kommunen, die sich von der Höchstpreisvergabe ihrer Grundstücke hin zu einer Konzeptvergabe zu Festpreisen  entwickelt haben. Dieser Baustein, der die Bodenspekulation nachhaltig verhindert und letztlich die Planungshoheit der Städte für die nächsten Jahrzehnte erhält, ist – die Stadt Zürich beweist das seit den 1950er Jahren – die Basis, um bezahlbares Bauen auch in der Zukunft überhaupt zu ermöglichen.

Der Bebauungsplan

Eine große Chance war, dass der Bebauungsplan noch nicht rechtkräftigt war. Es gab einen städtebaulichen Rahmenplan, der wiederum aus einem städtebaulichen Wettbewerb einige Jahre zuvor hervorgegangen war und bereits im B-Plan Verfahren gemündet hatte. Letzteres war aber zum Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht abgeschlossen. So konnten kleinere Adaptionen vorgenommen werden, die aber die hier vorgestellten Lösungen erst erlaubten. Das ermöglichte nicht nur, bislang nicht vorgesehene, tiefere und kompaktere Baukörper am zukünftigen Quartierseingang, sondern auch neuartige Wohntypologien (z.B. Clusterwohnungen).

Die Grundrisse

Alle eingereichten Beiträge zeichnen sich durch eine Kompaktheit der Baukörper und neue Ansätze in der Grundrissorganisation aus. Im Wesentlichen wird versucht, Erschließungsflächen so effektiv wie möglich anzulegen und diesen Flächen hohe Aufenthaltsqualitäten zuzuschreiben. Auch der Verzicht auf Erschließungsräume innerhalb einer Wohnung erhöht die Effizienz der Wohnflächen bei hoher Wohnqualität und reduziert den Flächenverbrauch pro Person. Beide Ansätze machen zudem niedrigere Wohn-Nebenkosten möglich.

Der Standard

Bei Bauweise und Ausstattung orientieren sich alle Entwürfe an den ortsüblichen Standards, wobei im intensiven Austausch zwischen Bauaufsicht, Architekten und Bauherren durchaus Vorgaben hinterfragt und gemeinsame Lösungsansätze erarbeitet wurden. Alle Entwürfe erfüllen in vollem Umfang die baurechtlichen und energetischen Vorschriften, erreichen dies aber vor allem durch die Verwendung dauerhafter Materialien und einfacher Techniken. Die Bauten folgen also eher einem Low-Tech-Standard, um langfristig durch große Robustheit und Einfachheit einen kostengünstigen Unterhalt zu gewährleisten. Auf WDVS-Fassaden wird verzichtet. Bei der städtischen Stellplatzverordnung wurde die sogenannte „Innovationsklausel“ angewandt, um die Zahl der erforderlichen Parkplätze reduzieren zu können.

Resümee

Trotz einberufener Baukostenreduktions-Kommissionen steigen die Anforderungen und Kosten beim Bauen weiterhin rasant. Aber auch vermeintlich zwingende Vermarktungsvorstellungen machen eine vom Standard abweichende Architektur oft nur schwer umsetzbar. Das Verfahren WOHNEN FÜR ALLE hat durch eine gewisse Offenheit und Kompromissbereitschaft die tradierten Wege ein Stück weit verlassen können. So hat das Planen in Grundrissvarianten, dem Bauherren und der Stadt erst die Möglichkeit eröffnet, zwischen unterschiedlichen Konzepten zu wählen, sie nüchtern und offen zugleich gegeneinander abzuwägen, neue Wege zu beschreiten.

Mehr Mut sollte das Verfahren WOHNEN FÜR ALLE allen Kommunen machen, Areale anzugehen, die aus planerischer Sicht eine Herausforderung darstellen, weil sie schon anders, in Teilen vielleicht auch gar nicht mehr zeitgemäß überplant wurden. Auch wenn die Grundvoraussetzungen nicht immer perfekt sind, lohnt es sich doch in den Prozess einzusteigen und Potenziale für Planungsveränderungen auszuloten. Wem es gelingt, vielfältigen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der schafft auch eine Stadt, die allen gleich offensteht.

Dr. Karen Jung ist freie Kuratorin und Autorin am Deutschen Architekturmuseum und Mitgründerin des Projektbüros Jung & Andreas. Sie hat den Wettbewerb WOHNEN FÜR ALLE koordiniert.

 

Ausstellung

Die Ausstellung am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main zeigt die Arbeiten des Wettbewerbs unter dem Titel WOHNEN FÜR ALLE  ∕  Bauen 1 : 1 – 10 Konzepte für Frankfurt vom 13. April 2019 – 23. Juni 2019.
www.dam-online.de

Publikation

Paul Andreas, Karen Jung, Peter Cachola Schmal (Hg.)
Wohnen für Alle
BaDOM publishers, 2019
440 Seiten, 38 Euro

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