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[ Bauen für Flüchtlinge ]

Flexibel bleiben

Wie Wohnprojekte für Flüchtlinge auch andere Gruppen integrieren können, lesen hier. Außerdem im Fokus der Architekten: Umnutzung.

Text: Frank Maier-Solgk

Die Flüchtlings-Ausnahmesituation in den Jahren 2015 und 2016 hat oft zu schnellen und preiswerten Unterbringungslösungen geführt – das war gewünscht und notwendig. Selten entstanden daraus jedoch dauerhafte, integrativ konzipierte, geschweige denn architektonisch interessante Wohngebäude. Nach den Turnhallen und Gemeinschaftsunterkünften kamen die Container-Behausungen, neuerdings die Bauten in Modulbauweise. Erst allmählich bilden sich neue durchdachtere Entwicklungen heraus, die die Erfahrungen aus den letzten Jahren berücksichtigen. Hier lohnt es sich, einige Einzelfälle unter die Lupe zu nehmen.

Wohnen über dem Parkplatz

Ein durchaus originelles Pilotprojekt der Landeshauptstadt München entstand im Rahmen des Programms „Wohnen für Alle“ und wurde im Dezember 2016 fertig gestellt. Über einem 4.200 Quadratmeter großen Parkplatz wurden 100 neue Wohnungen in einem viergeschossigen Wohnriegel in Holzsystembauweise (Gewofag Wohnungsbaugesellschaft, Architekt: Florian Nagler) errichtet, der auf einer Konstruktion aus Stahlbetonstützen und Unterzügen aufsitzt.

Der Zugang zu den 86 Einzimmerwohnungen und 14 Wohnungen mit 2,5 Zimmern erfolgt über Laubengänge, die sich gelegentlich zu geräumigeren Bereichen weiten. Gemeinschaftsräume und eine Dachterrasse mit Spielbereiche sowie Flächen für den Anbau von Gemüse und Kräutern bieten weitere Möglichkeiten der Gemeinschaftsbildung. Die Bauzeit betrug insgesamt sieben Monate. Das für die Belegung zuständige Amt für Wohnen und Migration achtet auf eine ausgewogene Vergabe der Wohnungen in Bezug sowohl auf Altersklassen als auch, was die Zahl an Migranten betrifft. 51 Prozent der Wohnungen werden an anerkannte Flüchtlinge und andere Wohnungslose mit Registrierbescheid vergeben. Die Nettokaltmiete beträgt 9,40 Euro. Die Nutzer sind in diesem Fall also vergleichsweise heterogen und baulich entpuppt sich der neue Wohnblock mit seiner abgerundeten Schmalseite sogar als eine Bereicherung der städtebaulichen Situation. Wie sich jedoch die Wohnsituation vor Ort entwickeln wird, ist damit freilich noch lange nicht entschieden.

Unterkunft für Geflüchtete, Bunsenstraße Kassel | foundation 5+, Baufrösche, HHS, Clemens Kober, Reichel Architekten und Spöth Architekten, Foto: Constantin Mayer-Köln.

Erst Flüchtlinge, dann Studenten

Ein anderes interessantes Beispiel steht in Kassel und sieht ein klein wenig nach einer Siedlung der 1950er-Jahre aus. Das Projekt besteht aus drei dreigeschossigen Baukörpern aus verputztem Porenbeton – einem Eingangsbau sowie zwei Gebäuden, die durch ein außenliegendes Treppen- und Spielhaus zu einer Hofanlage verbunden sind. Das Ensemble bietet Platz für aktuell 180 Flüchtlinge, die in 36 für jeweils zwei bis acht Personen ausgelegten Wohnungen leben. Von vorneherein wurde eine spätere Nutzung für Sozialwohnungen oder Studentenapartments vorgesehen. Es handelt sich also eher um klassischen Wohnungsbau, der besonders flexibel konzipiert wurde.

Die Umsetzung erfolgte auch in diesem Fall in nur sieben Monaten und wurde durch die enge Zusammenarbeit der sechs beteiligten Kasseler Planungsbüros, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (GWG) und der Baubehörde möglich. Teil des Projekts, das inzwischen durch die Landesinitiative Baukultur Hessen ausgezeichnet wurde, sind Räume für Sprachunterricht, ein Waschsalon mit angeschlossener Teeküche und eine Werkstatt. Wenn die Häuser nicht mehr zur Unterbringung für Flüchtlinge benötigt werden, sollen darin, wie es heißt, bezahlbare Apartments (mit Größen von 26 bis 76 Quadratmetern) entstehen.

Gesamtlage noch immer angespannt

Die beiden Beispiele finden sich auch in der Datenbank zu neueren Flüchtlings-Wohnprojekten www.makingheimat.de, die das Deutsche Architektur Museum (DAM) als Teil seines Biennale-Konzepts von 2016 aufgebaut hatte. Die entsprechende Ausstellung wurde erweitert und ist nun in Frankfurt zu sehen, begleitet von Fachsymposien rund um die Themen Migration und Integration. Die kontinuierlich aktualisierte Datenbank, eine Listung von Wohnprojekten unterschiedlicher Größe, mit unterschiedlichen Belegungsverhältnissen, unterschiedlicher Bauweise und mit den jeweiligen Kostenangaben, vermag sicherlich weiterhin Kommunen Entscheidungshilfen zu geben. Das Thema hat an Aktualität schließlich nichts verloren, auch wenn die Flüchtlingszahlen im Jahr 2016 von zuvor 900.000 auf 280.000 zurückgegangen sind. Nach wie vor nämlich leben laut DAM rund 300.000 Migranten in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Alleine in Nordrhein-Westfalen werden nach Angaben der NRW.BANK 120.000 Wohnungen für Flüchtlingshaushalte benötigt.

Trotz ihrer Aktualität mutet das Programm der Ausstellung in Frankfurt heute zum Teil überholt an. Die Thesen des kanadischen Autors Doug Saunders („Arrival City“), die für die Konzeption ursprünglich maßgebend waren, reflektieren eine stark positiv gekennzeichnete Ankunftssituation von Flüchtlingen. Eine aktualisierte Analyse der vielfältigen urbanen und gesellschaftlichen Bedingungen für zukünftige Integration müsste vermutlich aber die Verschärfung der Wohnsituation und nicht zuletzt auch die psychologischen Abwehrmechanismen innerhalb der Gesellschaft berücksichtigen. Vielleicht ist es für ein systematisches Resümee aber auch noch zu früh und vielleicht kann ein Ausstellungshaus wie das DAM dies auch nicht alleine leisten. Es gebe, so die Kuratorin der Frankfurter Ausstellung Anna Scheuermann, nicht die einzelne konkrete Lösung, die sich überall aufdränge; meist sei der Ort ausschlaggebend. Ein Fazit sei der Wunsch nach größerer Flexibilität und nach geringeren Bauauflagen hinsichtlich Barrierefreiheit oder Wärmedämmung; und schließlich würde die große Zahl an Holzmodulbauten diesen aktuellen Trend bestätigen. An sich aber wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, die Integrationsperspektiven, die sich aus den bisher realisierten Flüchtlingsunterkünften und Wohnprojekten hinsichtlich Standort, Größe, Bauweise, Nutzergruppen oder Umfeldverträglichkeit ergeben, zu analysieren und entsprechende Empfehlungen auszusprechen.

Foto: Constantin Mayer-Köln.

Monostrukturen überdenken

Wohin die Entwicklung geht, ist aber bei genauerer Durchsicht im Prinzip schon jetzt erkennbar: die Stichworte sind Ausweitung der Nutzergruppen und Standortanalyse. So hat die ehemalige Erstaufnahmeeinrichtung im rheinland-pfälzischen Lautzenhausen ihre neuen Mieter inzwischen gefunden. Hier wurde in den Monaten des größten Andrangs Mitte Oktober 2015 ein vorgefertigter dreistöckiger Holzbau in nur drei Monaten Bauzeit und vier Wochen Planung errichtet. Das Gebäude (33m lang, 15m breit, 9m hoch) wurde aus vorgefertigten Elementen in Holztafelbauweise (Raster Module 3x6m) errichtet, im Innen- und Außenbereich wurden heimische Hölzer eingesetzt. 200 Flüchtlinge fanden darin Unterkunft. Nach deren Auszug wurde der Bau Ende 2016 nun für eine neue Nutzergruppe umgerüstet. Ab sofort stehen die 126 Wohnungen nun den Studierenden der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz zur Verfügung.

In Berlin setzt man auf so genannte Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUFs). Rund 3.320 Wohnraumplätze werden in der Stadt derzeit durch die Wohnungsbaugesellschaften errichtet; 1603 Mietverträge mit Flüchtlingen wurden inzwischen abgeschlossen; alles noch vergleichsweise wenig im Vergleich zum Bedarf. Nach Berechnungen der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) suchen noch rund 40.000 Flüchtlinge eine Wohnung. Erst in letzter Zeit zeichnen sich grundsätzliche Veränderungen an den vielfach kritisierten MUFs ab.

So soll das jüngste, noch in Planung befindliche Projekt der WBM, ein zunächst für 500 Flüchtlinge ausgelegtes Projekt an der Quedlinburger Straße in Berlin-Charlottenburg nun im Hinblick auf seine Nutzung überdacht werden. Der Modulcharakter bleibt erhalten, bezieht sich jedoch (nur) auf zwei alternative Grundrisse und vorgefertigte Badzellen. Die Frage der Akzeptanz durch die Bevölkerung in der unmittelbaren Umgebung sowie die Nähe zur Universität, legen laut Steffi Pianka von der WBM ein Überdenken im Hinblick auf eine nachhaltigere Nutzung nahe. Nach Angaben des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten soll das Projekt nun „das erste Objekt werden, das eine Kombination aus einer Gemeinschaftsunterkunft und einem gemeinschaftlichem Wohnzentrum beinhaltet“.

Frank Maier-Solgk ist Publizist zu Architektur- und Kulturthemen in Düsseldorf.

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