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Fertighaus oder Architektenhaus?

Fertighaus oder Architektenhaus lautet ein oft behaupteter Gegensatz, der so keiner ist. Architekten sind immer beteiligt – bei der individuellen Nutzerplanung für große Hersteller, bei der Entwicklung neuer Haustypen oder beim Bau des eigenen Traumhauses.

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Einzelstück: Die Schweizer Architektin Tamara Brügger realisierte ihren eigenen Entwurf in der Holzrahmenbauweise eines großen Herstellers. Bei Fassade und Innenleben behielt sie trotzdem Gestaltungsfreiheit.

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Das Architektenfertighaus“ im Deutschen Architektenblatt 10.2016 erschienen.

Von Heiko Haberle

Was als „Fertighaus“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit oft ein Massivhaus. Weil beide Branchen Haustypen für verschiedene Bedürfnisse und Geschmäcker anbieten, richtet sich die Kritik eher gegen das „Kataloghaus“ oder „Typenhaus“ oder gegen das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese generell. Am Endergebnis lässt sich dann auch selten die Bauweise ablesen: Fertighäuser und Massivhäuser können beide genauso langweilig wie individuell sein. Aber egal wie sie heißen und wie die Modelle für Vertrieb und Umsetzung sind: Architekten sind immer dabei.

Das „echte“ Fertighaus besteht aus Holzrahmen, in die alle wesentlichen Bestandteile der Wände bereits in der Fabrik integriert werden. Auf der Baustelle muss das Haus nur noch zusammengesetzt werden. Diese Bauweise macht beim Ein- und Zweifamilienhausbau in Deutschland etwa 17 Prozent aus. In Baden-Württemberg liegt er sogar bei knapp 30 Prozent. Hier sind auch viele Hersteller ansässig, die oft aus der Holzwirtschaft stammen. Man ist bemüht, keine Entwicklung zu verpassen: Pauschale DGNB-Zertifikate, Plus-Energie- oder Minergie-Häuser gibt es ebenso wie Smart-Homes, Minihäuser oder barrierefreie Bungalows. Fast alle Anbieter haben auch „Bauhäuser“ nach Dessauer Art im Portfolio. Viele Hersteller drängen sogar mit Konzepten für den Geschosswohnungsbau in die Städte, weil Vorfertigung als Holzbau, wie man es seit Jahrzehnten praktiziert, plötzlich als das Zukunftsthema schlechthin diskutiert wird. Doch trotzdem kämpft das Holzfertighaus noch immer mit dem Ruf der instabilen und hellhörigen Pappschachtel, während das Massivhaus, auch wenn es aus dem Katalog stammt, als solide und seriös gilt.

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Fertighochhaus: Viele Hersteller aus der Holzfertighaus-Branche drängen in den Geschossbau. Die Firma Kampa errichtete nach einem Entwurf des Münchener Architekten Florian Nagler die eigene Zentrale in Aalen als Kombination aus Holztafeln und massiven Holzelementen. Hierher kommen auch die Kunden zur Bemusterung ihrer eigenen Häuser.

So sind denn die Massivhäuser in Deutschland deutlich in der Überzahl. Sie werden meist von regionalen Bauträgern errichtet oder stammen von großen Typenhaus-Anbietern. Marktführer dabei ist die Firma Town & Country Haus, deren preisgünstige Häuser oft für Diskussionsstoff sorgen (mehr zum Thema hier). Hier vergibt man nach dem Franchise-Prinzip Lizenzen an regionale Bauträger, die wiederum mit lokalen Handwerkern arbeiten, was ein wichtiger Aspekt im Marketing ist.

Kaum erwähnt wird, dass auch regionale Architekten im Spiel sind. Eine von ihnen ist Maja Klinzer aus Ettlenschieß bei Ulm. Sie arbeitet genauso an eigenen Projekten wie für zwei regionale Lizenznehmer von Town & Country Haus. Obwohl kein direkter Vertrag mit den Bauherren besteht, hat Klinzer klassische Architektenaufgaben: Die Gegebenheiten des Grundstücks müssen untersucht, Dachformen entsprechend den Bebauungsplänen angepasst und natürlich die Kundenwünsche erfüllt werden. Entsprechend wird dann der Standardplan des gewählten Hausmodells modifiziert. Schließlich beteiligt Klinzer die Fachplaner und stellt den Bauantrag. Ab der Leistungsphase 5 übernimmt der Bauträger.

Immer die gleichen Wohnwünsche

Dass sich viele Häuser ähneln, führt Klinzer weniger auf die Typenhäuser an sich zurück als auf die Wünsche der Bewohner, die vermutlich durch die Medien beeinflusst seien: „Plötzlich wollen alle das Gleiche: einen offenen Wohnraum mit Kochinsel, eine bodengleiche Dusche, Ankleideräume und anthrazitfarbene Fensterrahmen. Niemand will vom Mainstream abweichen.“ Und sie fügt hinzu: „Die Küche nimmt oft einen erschreckend großen Stellenwert ein, ebenso die Bäder und vor allem die Garage, von der man trockenen Fußes ins Haus gelangen soll.“ Klinzer hinterfragt durchaus diese Idealbilder und versucht die Bauherren auch von nicht ganz perfekten Situationen zu überzeugen, weil diese mehr Freiheit und Kreativität ermöglichten. Aber vielen Bauherren fehle der Bezug zum eigenen Haus.

Eine generelle Überfülle an Wahlmöglichkeiten führe dazu, dass bekannte Lösungen gesucht werden. „Aber ein Hausbau funktioniert nicht wie ein Einkauf bei Ikea“, gibt Klinzer zu bedenken. Letztendlich wolle sie aber vor allem, dass die Bauherrenfamilien glücklich sind und intakt bleiben – und das blieben sie nicht zuletzt dank erschwinglicher Eigenheime. Die funktionieren übrigens auch als Integrationsmotoren, wie Klinzer beobachtet: Viele Russlanddeutsche seien nicht zuletzt durch ihr Haus Teil der Gesellschaft geworden. Das System von Town & Country Haus findet die Architektin daher prinzipiell gut, weil es gegenüber einer freien Planung aus ihrer Hand deutlich preisgünstiger sei – vor allem, da die Gewerke wegen vieler Folgeaufträge günstig anbieten.

Dennoch sieht Klinzer ein Versagen des eigenen Berufsstands und der Bildung, denn niemand beauftrage mehr von sich aus einen Architekten. „Viele wissen gar nicht, was ein Architekt macht. Die Bauträger haben uns da in gewisser Weise den Rang abgelaufen.“ Josef Haas, Geschäftsführer von Kampa, einem Hersteller von Häusern in Holzrahmenbauweise, gesteht das durchaus ein: „Das Argument, der Fertigbau nehme Architekten Aufgaben weg, ist teilweise richtig. Aber gleichzeitig wird es möglich, auch Familien, die sich sonst keinen Architekten leisten würden, individuelle Häuser anzubieten.“ Kampa fungiert, wie in der Holzfertighausbranche üblich, nicht bloß als Lizenzgeber, sondern direkt als Bauträger, der mit regionalen Architekten zusammenarbeitet. Diese sind für die Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten, für Entwurf und Bauantrag zuständig.

Alles Weitere erfolgt beim Hersteller, wobei wegen der standardisierten Produktionsweisen kaum von klassischer Architektenarbeit bei Ausführungsplanung, Ausschreibung und Vergabe die Rede sein könne, wie Haas erklärt. Die Werkplanung machen überwiegend Bautechniker und Bauingenieure, die Bauleitung oft auch Zimmerleute. Architekten seien aber neben der individuellen ­Nutzerplanung auch in der Grundlagenarbeit tätig, etwa dann, wenn neue Haustypen entworfen werden oder Prestigeprojekte wie die eigene Firmenzentrale anstehen.

Architekten bis zur Leistungsphase 4

Das Thema Vorfertigung sei so wichtig, weil die Komplexität der Häuser, insbesondere bei der Haus- und Energietechnik, gestiegen sei, so Haas. „Mit einer gewerkeübergreifenden, integralen Planung hätten freie Architekten Probleme bei der Gewährleistung. Wir können hingegen Gesamtlösungen mit einer Gesamtgarantie anbieten.“ Diesen Vorteil und die Notwendigkeit, sich zu spezialisieren, sieht auch der freie Architekt Mario Boss aus Laupheim bei Biberach. Sein Büro arbeitet nur bis zur Leistungsphase 4 und übergibt die Planungen dann an einen Generalunternehmer.

In den meisten Fällen ist das der Hersteller Schwörer, für den Boss jährlich etwa 120 Holzfertighäuser plant, was seinem Büro ein kontinuierliches Einkommen sichert. Anders als Maja Klinzer hat Mario Boss direkte Planungsverträge mit den Bauherren. Seine Aufgaben sind aber ähnlich: das Grundstück anschauen, Vermesser und Bodengutachten bestellen, das Baurecht im Blick behalten und Kundenwünsche einarbeiten. Nach der Genehmigungsplanung erfolgt die Abgabe an Schwörer, wo der Entwurf in die Konstruktionsplanung überführt wird.

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Verkleinert: Das Holzfertighaus, das die Firma Schwörer zusammen mit der Zeitschrift „Schöner Wohnen“ entwickelt hatte, war zu groß und zu teuer für eine junge Familie. Architekt Mario Boss verkleinerte den Entwurf und passte den Grundriss individuell an die Nutzerwünsche an. Die Bauherrin zog dafür extra um, weil ihr Heimatort Flachdächer verbietet.

Natürlich führt auch Boss Planungsgespräche, zu denen manche Kunden mit genauen Ideen kommen, andere nur eine Wunschgröße und ein Raumprogramm mitbringen, wie der Architekt erzählt. „Den klassischen Typenhauskunden, der ein Modell aus dem Katalog plus eine extra Gaube haben will, gibt es nur noch selten.“ Üblich seien heute zwei Vollgeschosse, wobei sich das Raumprogramm (unten Wohnen und Kochen, oben Schlafen, Kinder, Bad) kaum unterscheide. 80 Prozent bevorzugten ein Sattel- oder Walmdach. „Wir fragen aber nach, was der Bauherr wirklich braucht und was er bloß will, weil er es im Musterhaus gesehen hat.“

Dass Fertighäuser gleichförmig seien, empfindet Mario Boss nicht, denn Kundenwünsche könne er direkt an den Hersteller herantragen und so Einfluss auf die Gestaltung der Häuser nehmen. „Manchmal zeichnen wir einfach einen Kundenwunsch in den Plan ein, den der Hersteller gar nicht vorsieht, der dann meistens aber doch realisiert werden kann.“ Als Holzfassaden immer beliebter wurden, habe man diese einfach selbst entwickelt. Vieles findet dann auch irgendwann den Weg ins Standardprogramm – so wie mehrere Haustypen, mit denen Boss einen Architekturwettbewerb des Herstellers gewann.

Beim Fertighausbau könne er ganz frei planen, solange er das dahinterstehende System mitdenke. So habe er schon Villen mit Tiefgarage, Schwimmbad und Aufzug geplant, deren Eigentümer aber nicht gerne zugeben, ein Fertighaus gebaut zu haben. „Bei vielen ist noch das Denken aus einer Zeit verankert, als man höchstens den Standardgrundriss drehen oder spiegeln konnte. Heute kauft man eigentlich nur noch eine Hülle von einer bestimmten Größe. Der Rest ist flexibel.“

Jedes Fertighaus ist anders

Da wundert es nicht, dass auch Josef Haas behauptet, sein Unternehmen Kampa biete gar keine Typenhäuser an: „Unser Katalog zeigt nur Entwurfsideen. Die Musterhäuser werden in der Realität nie genau so gebaut.“ Das Gleiche gilt auch in der Massivhausbranche, etwa beim Anbieter Kern-Haus. „Den Kunden wird kein Haus vorgelegt, sondern sie haben Bilder im Kopf. Wir suchen dann dazu das geeignete Modell und passen es an“, erklärt Martina Kern, freie Architektin aus Niederelbert im Westerwald. Sie arbeitet, anders als Mario Boss, im Team mit angestellten Architekten der Firma. Diese führen die Planungsgespräche, machen Ausführungsplanung und Bauleitung. Sie selbst ist für Entwurfs- und Genehmigungsplanung zuständig – und zwar für Häuser in halb Deutschland: „Ich muss also sämtliche Bauordnungen kennen“, sagt Kern.

Die Bauherren, die nur einen Vertrag mit dem Bauträger Kern-Haus und nicht mit der Architektin haben, kommen nach einer ersten Entwurfsberatung mit den regionalen Vertriebspartnern in die Firmenzentrale zum Planungsgespräch. „Der direkte Kontakt mit einem Architekten ist wichtig. Erst dann fühlen sich die Kunden richtig beraten und haben das Gefühl, dass ihre Ideen umgesetzt werden“, findet Kern. Sie beobachtet vor allem, dass die Häuser größer werden und statt 110 heute 150 Quadratmeter haben sollen. Es kämen übrigens auch Bauherren zu ihr, die eine ganz individuelle Planung wünschen, aber trotzdem die Verlässlichkeit beim Preis schätzen, für die Kern-Haus dann wie ein Generealunternehmer garantiere. Die Architektin ist außerdem in die Planung neuer Haustypen involviert, die bis zu einem Jahr dauert, weil von der Statik über das Energiekonzept bis zu den Renderings alles bis ins Detail durchgeplant sein muss und es schließlich auch dem Anspruch der Architektin genügen sollte. Die findet nämlich ein Haus erst dann gut, wenn sie auch selbst gerne darin wohnen würde.

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Stein auf Stein: Das Massivhaus des Anbieters Kern-Haus wurde von der Architektin Martina Kern individuell geplant und ist so in keinem Katalog zu finden.

Das Fertighaus als neue Spielwiese für Architekten

Kataloge, Websites und Musterhausparks sind also nur als Anregungen zu verstehen. Dachneigungen verändern, Wände versetzen und Fensterpositionen variieren, gehe immer, betont man bei Schwörer. Wichtig für den Hersteller sei, welche Bauteile man anbieten könne. Das können neben den Wänden in Holzrahmenbauweise auch Spannbetondecken oder Fertigbäder sein. Wie das Ergebnis aussehe, sei Aufgabe von Architekten.

Und so kommen Planer bereits immer öfter mit eigenen Entwürfen auf Hersteller zu. Die angestellte Architektin Tamara Brügger aus Dittingen in der Schweiz hatte bereits den Entwurf für ihr eigenes Haus in der Tasche, konnte sich aus Zeitgründen aber nicht um die Umsetzung kümmern, weshalb sie einen Generalunternehmer suchte. Ein „Fertighaus“ zu bauen, sei ihr wegen der negativen Assoziationen gedanklich schwergefallen, ein „vorgefertigtes“ Haus jedoch nicht, erzählt Brügger.

Auf das schmale Grundstück passte ein Schwörer-Entwurf für eine Doppelhaushälfte, den die Architektin mit ihrer gewünschten Raumaufteilung und Fensteranordnung versehen konnte (siehe Startbild). Sie übernahm selbst die übliche Rolle der Architektin vor Ort, die sich um die Baugenehmigung kümmert und die Ausschreibung für Aushub und Bodenplatte macht. Die Detailplanung und die Bauleitung lagen dann beim Hersteller, der letztendlich nur die Hülle im Wunschmaß lieferte. Den Innenausbau ließ Brügger von Schweizer Unternehmen machen. Und weil ihr die angebotenen Fassaden nicht gefielen, wurde auch die Holzlattung erst vor Ort angebracht, wie Brügger berichtet und ergänzt: „Ich sage immer, dass ich ein Holzhaus habe und kein Fertighaus.“

In diesem Zwischenbereich von „Typenhaus“ und „Architektenhaus“ liegt wohl das größte Potenzial. Architekten können auf vorhandene Vertriebswege und Bausysteme zurückgreifen, ohne ihren Entwurf zu schwächen. Hersteller sollten sich der Gestaltungsfähigkeiten und nicht nur der Bauvorlageberechtigungen von Architekten bedienen. Dafür gilt es, auf beiden Seiten Hemmschwellen abzubauen, damit es keinen Gegensatz mehr gibt, sondern alle Typenhäuser zu Architektenhäusern werden.

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