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Gesetzes-Flucht nach vorn

Flüchtlingsunterkünfte können jetzt oft auch dort entstehen, wo das Bauplanungsrecht dies bisher nicht zuließ

Text: Florian Hartmann

Am 24. Oktober ist das sogenannte Asylverfahrens-Beschleunigungsgesetz in Kraft getreten. Es bringt auch Änderungen im Bauplanungsrecht mit sich. Die Änderungen sollen laut Gesetzesbegründung die Unterbringung von Flüchtlingen in winterfesten Quartieren beschleunigen und den Ländern und Kommunen Gestaltungsmöglichkeiten geben, um zeitnah Umnutzungs- und Neubaumaßnahmen zu planen, zu genehmigen und durchzuführen.

Für sämtliche Gebietsarten des BauGB – Bebauungsplangebiete, Innenbereiche und Außenbereiche – sieht der jüngst neu gefasste § 246 BauGB erhebliche Erleichterungen bei der Genehmigung von Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende vor. Von der Überschrift des § 246 BauGB, der unter anderem mit den Worten „Sonderregelungen für einzelne Länder“ überschrieben ist, sollte man sich dabei nicht irreführen lassen. Der Paragraf gilt selbstverständlich in sämtlichen Bundesländern. Die Änderungen sind zum 31.12. 2019 befristet.

Der neu formulierte § 246 Abs. 8 BauGB erleichtert die Nutzungsänderung von bestehenden baulichen Anlagen im unbeplanten Innenbereich, aber auch deren Erweiterung, Änderung oder Erneuerung für Flüchtlinge oder Asylbegehrende. Für diese Anlagen kann unter bestimmten Voraussetzungen, die in § 34 Abs. 3 a Satz 1 BauGB genannt werden, auf das Erfordernis des Einfügens, § 34 Abs. 1 BauGB, verzichtet werden.

Gänzlich neu geschaffen wurden die Absätze 11 bis 17 des § 246 BauGB. Die Vorschrift des § 246 Abs. 11 BauGB beschäftigt sich mit der Fallgestaltung, dass in den in den §§ 2 bis 7 genannten Baugebieten der Baunutzungsverordnung (BauNVO) Flüchtlingsunterkünfte – dort als „Anlagen für soziale Zwecke“ bezeichnet – häufig nur ausnahmsweise zulässig sind. Die Gewährung einer solchen Ausnahme, etwa in einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO, steht im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde. Nach dem neuen § 246 Abs. 11 BauGB ist die Behörde gehalten, entsprechende „Ausnahmeanträge“ regelmäßig positiv zu bescheiden (sogenanntes „intendiertes Ermessen“).

Großer Spielraum für Befreiungen

Nach dem neu gefassten § 246 Abs. 12 BauGB sind für die Errichtung von mobilen Unterkünften wie Containern und Zelten für Flüchtlinge oder Asylbegehrende Befreiungen von Festsetzungen in Bebauungsplänen auch dann möglich, wenn dadurch die Grundzüge der Planung berührt werden. Damit kann es zum Beispiel zulässig sein, auf einer festgesetzten Fläche für Stellplätze oder Kinderspielplätze (Gemeinschaftsanlagen nach § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB) Container für Flüchtlinge zu errichten.

Entsprechendes gilt für die Nutzungsänderung von zulässigerweise errichteten baulichen Anlagen in Gewerbegebieten, Industriegebieten oder Sondergebieten. Auch in diesen Gebieten kann beispielsweise der Umnutzung einer Gewerbehalle in eine Flüchtlingsunterkunft nicht mehr entgegengehalten werden, dass die Grundzüge der Planung berührt würden. Die Gesetzesbegründung stellt jedoch ausdrücklich klar, dass die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar sein muss. Der Gesetzgeber weist jedoch auch auf eine aktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg hin, wonach angesichts der nationalen und drängenden Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung Nachbarn vorübergehend ein Mehr an Beeinträchtigungen zuzumuten sei (OVG Hamburg, Beschluss vom 12.01.2015, Az.: 2 Bs 247/14).

Mit dem neuen § 246 Abs. 13 BauGB wird die Errichtung von Containern und Zelten im Außenbereich ermöglicht. Dort bereits bestehende bauliche Anlagen können, auch wenn deren Nutzung zwischenzeitlich aufgegeben worden war, in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende umgenutzt werden. Anders als § 246 Abs. 9 BauGB verlangt Abs. 13 keine räumliche Nähe zu beplanten oder unbeplanten Innenbereichen; Flüchtlingsunterkünfte können künftig also auch „fernab“ bestehender Siedlungskerne eingerichtet werden.

Wie ernst die Lage mittlerweile ist, führt § 246 Abs. 14 BauGB vor Augen. Sollten auch die weitreichenden Neuerungen der vorangegangenen Absätze nicht ausreichen, um zeitnah Unterkünfte bereitzustellen, kann die höhere Verwaltungsbehörde weitere Abweichungen zulassen. Eine ähnliche Vorschrift fand sich bereits in § 37 BauGB. Sie konnte jedoch nur auf Vorhaben des Bundes und der Länder angewendet werden. § 246 Abs. 14 BauGB ermöglicht nunmehr auch Abweichungen, wenn Einrichtungen von Gemeinden, Landkreisen oder Privaten betrieben werden sollen.

Die neu eingefügten Vorschriften des § 246 Abs. 15 und Abs. 16 BauGB sollen Verfahren zur Genehmigung von baulichen Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden beschleunigen. Hier gilt das gemeindliche Einvernehmen als erteilt, wenn es nicht innerhalb eines Monats verweigert wird (§ 246 Abs. 15 BauGB). Bei Vorhaben im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich kann die Baugenehmigungsbehörde nach neuem Recht davon ausgehen, dass Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht berührt werden, wenn sich die zuständige Fachbehörde nicht binnen eines Monats äußert (§ 246 Abs. 16 BauGB).

Wie bereits ausgeführt, sind sämtliche vorgenannten Erleichterungen bis zum 31.12.2019 befristet. Dabei stellt § 246 Abs. 17 BauGB klar, wie diese Befristung zu verstehen ist. Sie bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer der Baugenehmigung, sondern auf den Zeitraum, in dem von den dargestellten Erleichterungen Gebrauch gemacht werden kann.

Ausnahmerechte nicht fürs ­Dauer-Wohnen

Der Bund hatte bereits im Jahr 2014 auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagiert und das Baugesetzbuch angepasst (siehe DAB 4/2015, Seite 21). Mit den neuerlichen, weitreichenden Änderungen steht nun grundsätzlich das bauplanungsrechtliche Instrumentarium zur Verfügung, um Geflüchtete zügig unterbringen zu können. Abzuwarten bleibt allerdings, ob und wie die Praxis von den neuen Möglichkeiten Gebrauch macht. Festzuhalten ist jedoch auch, dass die Länder – jedenfalls soweit ersichtlich – bisher keinen dem Bund vergleichbaren gesetzgeberischen Eifer an den Tag legen, was die Ausrichtung ihrer Landesbauordnungen auf die neuen Herausforderungen angeht.

Anzumerken bleibt schließlich, dass es dem Bundesgesetzgeber im vorliegenden Gesetzentwurf allein um schnelle bauplanungsrechtliche Lösungen zur (Erst-)Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden gegangen ist. Wenn sich – ebenfalls relativ zeitnah – die Frage stellen wird, wo und wie wir für die Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben werden, Wohnungen zur Verfügung stellen, kann es kein „Bauplanungsrecht light“ geben, das auf zentrale Elemente wie den Schutz bestehender Quartiere (Stichworte: „Einfügen“, Befreiungsmöglichkeiten etc.) und den Schutz des Außenbereichs verzichtet.

Dr. Florian Hartmann ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Geschäftsführer der Architektenkammer NRW.

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