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[ Schwerpunkt: Quer ]

Zutrauen und zuhören

Kinder denken aus Erwachsenensicht unkonventionell. Damit unterstützen sie die Stadtplanung auf ihre ganz eigene Weise

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Die „Mikado-Brücke“ in Eberswalde wurde von Kindern mitgestaltet.

Text: Nils Hille

Gut zuhören, und das jedes Mal aufs Neue – das ist das, was Christina Peterburs und Nicola Wiener am besten können müssen. Die Stadtplanerin und die Landschaftsarchitektin vom Dortmunder Planungsbüro STADTKINDER „schaffen Lebensräume“, ganz so, wie auch der Werbespruch ihres Büros lautet. Doch das machen die beiden nur selten allein. Um die neuen Lebensräume für den Nachwuchs zu kreieren, bleiben sie nicht am Computer. Petersburs und Wiener sind stattdessen vor Ort und sprechen mit Kindern, die dabei herumtoben, Quatsch machen und doch auf ihre ganz eigene Art mitteilen, wie sie sich das kleine Stück Welt um sie herum eigentlich wünschen. Wiener berichtet: „Wir sind immer wieder überrascht und begeistert, was sich für Themen dabei ergeben.“

Und das, obwohl sich das Büro STADTKINDER schon seit über 15 Jahren mit den 12_Kinder_Artikel2Vorstellungen des Nachwuchses beschäftigt. Vorstellungen, wie ein Spielplatz umgebaut werden müsste, damit das Spielen darauf wirklich Spaß macht, oder wie ein Weg sein müsste, damit die Kinder sich auch abends in der Dämmerung darauf noch wohl- und sicher fühlen. Wer sich mit Peterburs und Wiener darüber unterhält, der hört pro Minute mindestens einmal den Begriff „Beteiligung“. Doch die beiden nutzen diesen nicht als schick klingendes Modewort, sondern mit Herz und Seele. Peterburs erklärt: „Die Kommunikation stimmt oft nicht, wenn bei Quartiersplanungen auch Kinder mitreden sollen. Oder sie ist nur halbherzig umgesetzt. Einfach nur einen Plan zu machen, den hinzuhängen und ‚Schön, ne!?‘ zu fragen, bringt kein gutes Ergebnis, sondern schädigt vielmehr den Ruf von Beteiligungsprozessen.“

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Wiedererkennungswert: Christina Peterburs (oben, links) lässt den Nachwuchs kreative Modelle bauen, die dieser in der Realisierung auch später erleben wird – wie hier bei der Mikadobrücke in Eberswalde vom Büro für Landschafts­planung Günther ­Schiemann aus Berlin.

So finden vom Büro STADTKINDER aus auch keine Beteiligungsveranstaltungen um 19 Uhr abends im Rathaus statt, sondern nachmittags im Stadtteiltreff. „Wir kommen mit den Kindern nicht nur im übertragenen Sinne auf Augenhöhe ins Gespräch, sondern wir nehmen auch ganz praktisch ihren Blickwinkel ein, der bei maximal 1,50 Meter liegt“, so Peterburs weiter. Mit viel Empathie und Begeisterung wollen die Stadtplanerin und die Landschaftsarchitektin erkennen, wie die Kinder ihre Umgebung wahrnehmen. So ziehen sie mit ihnen durch das Viertel und lassen sie in spielerischer Form als „Stadtteildetektive“ aktiv werden. Und da zeigt sich zum Beispiel, dass ein freier, aber etwas versteckt liegender Bereich mit Wiese und Bäumen oft viel attraktiver für sie ist als der in Zement gegossene, statische Spielplatz, den jeder Erwachsene von allen Seiten einsehen kann. Wiener: „Klassische Spielgeräte sind relativ schnell ‚abgespielt‘. Die Kinder wünschen sich etwas, womit sie immer wieder anders kreativ werden können. Ein simples Beispiel dafür ist das beliebte Sandburgenbauen.“

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Funktional: Für Erwachsene ist diese Entwicklung des Büros STADTKINDER eine Bank, für Kinder ein Spielgerät.

Um diese Wünsche möglichst konkret für die anschließende Planung fassen zu können, lassen die beiden die Kinder nach der Detektivtour mit vielen bunten, unterschiedlichen Materialien kreative Modelle bauen. „Das ist oft besser, als Malen, da viel mehr von den gewünschten Dimensionen deutlich wird“, sagt Wiener. Und es ist besser als einfach nur abzufragen – denn dann steht meist nicht mehr als Wippe, Rutsche, Schaukel auf den Zetteln, weil den Kindern für andere Spielgeräte einfach die Begriffe fehlen. Für Wiener und Kollegin Peterburs heißt es beim Modellbau: genau beobachten. Denn die Kinder arbeiten zusammen und diskutieren dabei wie von selbst – über Funktionen, Formen und Farben, die zum Beispiel die Spielgeräte haben sollen. Und wider alle Erwartungen der Eltern fällt es ihren Kleinen später gar nicht schwer, zu entscheiden, welche Modelle es auch in der Realität geben soll. Peterburs: „Wenn wir ihnen erklären, dass nur eine begrenzte Menge Geld zur Verfügung steht und wir daher nicht alles umsetzen können, zeigen sie sofort Verständnis und einigen sich auf ein paar ihrer Entwürfe.“ Diese dienen dem Büro STADTKINDER dann als Arbeitsgrundlage für seine Planung. Und hier zeigt sich, dass sich das genaue Zuhören rentiert. Peterburs: „Kinder wünschen sich zum Beispiel häufig ein Riesenrad, das aber schwer umzusetzen ist. Doch es geht ihnen gar nicht genau darum. Oft wollen sie einfach eine Plattform in der Höhe haben, um einen bestimmten Punkt zu sehen oder beobachten zu können. Sie sind auch mit einem Kletter- oder Aussichtsturm sehr zufrieden.“

Junges Leben statt altbekannte Ruhe

Zufrieden sind oft auch die Erwachsenen, wenn sie an dem Prozess mit beteiligt sind. Hörten die Planungsbüro-Mitarbeiterinnen in einem Fall am Anfang oft die Sorgen vor zu großem Lärm, da der neue Spielplatz an die Wohnungen angrenzt, sind die älteren Damen und Herren nachher begeistert von dem Klettergerüst unmittelbar neben der eigenen Terrasse. Denn sie haben die begeisterten Kinder erlebt und selbst mit entschieden. Wiener: „Wenn die Menschen aufeinander zugehen, gibt es gar nicht mehr so große Konflikte wie vorher befürchtet. Und es spüren alle auch später mehr Verantwortungsbewusstsein für die Anlage. So achten sie verstärkt darauf, dass sie sauber und gepflegt bleibt.“

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Bewegungsband: Auch in diesem Konzeptentwurf für die „Bespielbare Stadt“ in Mönchengladbach-Rheydt…

Verantwortung übernehmen aber auch Peterburs und Wiener mit ihrer Form der Beteiligung: Sie stehen bei einem ganzen Viertel im Wort, dass ihre Ideen nicht in den Ablagen im Rathaus verschimmeln. Daher versuchen sie im Vorfeld bestmöglich die Ernsthaftigkeit von Kommunen abzuklären, nicht nur ein Beteiligungsverfahren, sondern auch die Umsetzung durchzuführen. Erkennen sie kein ernsthaftes Interesse, lehnen sie ab. Auch um ihren guten Ruf nicht zu gefährden. „Wir sagen immer: Beteiligung verpflichtet. Das heißt: Sichtbare Ergebnisse sind enorm wichtig, um glaubwürdig zu bleiben“, sagt Peterburs. Das heißt im Gegenzug auch: Bei Städten, die wirklich etwas bewegen wollen, bleiben sie dran. So zum Beispiel in Bremerhaven. Hier konnte STADTKINDER die Spielleitplanung für Geestemünde übernehmen. 500 Kinder waren in dem bevölkerungsreichen Stadtteil daran beteiligt, ihre Spiel-, Erlebnis- und Aufenthaltsflächen zu sichern und weiterzuentwickeln. Daraus sind nicht nur sichtbare Ergebnisse entstanden, etwa ein Kletter-Vulkan, umgeben von gern genutzten Aufenthaltsbereichen, und ein aufgewerteter Bolzplatz. Das Büro konnte aufgrund der erfolgreichen Arbeit auch die Spielleitplanung für den Stadtteil Lehe übernehmen. „Wenn Kommunen einmal damit begonnen haben, kommen sie auf den Geschmack. Denn so können sie ihre Familienfreundlichkeit fördern“, sagt Peterburs. Ein Ziel, das immer mehr Städte auf der Prioritätenliste nach oben setzen, vor allem, um die jungen, steuerzahlenden und konsumierenden Eltern im eigenen Ort zu halten.

Fußgänger gehen vor

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…haben StadtKinder Kletter- und Balanciermöglichkeiten für Kinder mit Sitzbänken für Erwachsene vereint.

Von diesem Effekt profitiert auch Angelika Schlansky aus Bremen. Die Stadtplanerin hat sich mit ihrem Eine-Frau-Büro schon vor Jahrzehnten auf die Steigerung des Stellenwerts von Fußwegen spezialisiert. Sie sieht eine zu große Dominanz in den Verkehrsnetzen von Autos und Fahrrädern, was sie sogar zum Engagement im Bundesvorstand des FUSS e. V. Fachverbands Fußverkehr Deutschland brachte. Vor genau 20 Jahren bekam Schlansky ihren ersten Auftrag in ihrer Interessenrichtung in ihrer Heimatstadt. Sie sollte die Bedingungen für den Fußverkehr im Bremer Stadtteil Östliche Vorstadt untersuchen. Ein beliebtes und somit belebtes Viertel mit engen Straßen und hohem Parkdruck. Kinder waren ein entscheidender Aspekt von Schlanskys Studie. Und sie erkannte schnell, dass oft die Strecken so unsicher dafür waren, dass die Eltern ihren Nachwuchs nicht zu Fuß auf den Schulweg schicken mochten. Zudem waren die Parkmöglichkeiten vor den Schulen einfach zu gut, sodass sie direkt vor das Tor fuhren. Schlansky entwickelte zahlreiche Ideen für die Kinder, doch die Studie verschwand in der Schublade, da eine neue Stadtspitze kein Interesse mehr daran gehabt habe.

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Auf Augenhöhe: Stadtplanerin Christina Peterburs (li.) und Landschaftsarchitektin Nicola Wiener vom Dortmunder Büro StadtKinder nehmen gerne die Perspektive von Kindern ein.

Kiel dagegen war ihr wohlgesonnen. Hier wurde Schlansky 2005 eingeladen, einen Vortrag aus Sicht der Fußgänger zu halten. Drei Jahre später wurde im Rahmen der Stadtentwicklungsplanung beschlossen, den Fußverkehr besonders zu fördern. Schlansky erhielt den Auftrag, ein begrenztes Gebiet von vier mal vier Kilometern im Westen der Stadt zu untersuchen mit dem Ziel, dieses kinder- und familienfreundlicher zu gestalten. Dazu arbeitete sie mit dem örtlichen Kinder- und Jugendbüro zusammen. Sie wollte genau erfahren, wo Kinder langgehen und wie sie sich dabei fühlen. Dafür entwickelte sie ein Wegetagebuch, mit dem rund 250 Viertklässler durch ihr Viertel gingen. Auch Schlansky zog los und wertete die Routen aus, um schließlich aus beiden Quellen ein neues Fußwege-Achsen-Netz zu entwickeln.

Mittlerweile ist Schlansky mit dem dritten Kieler Stadtteil, dem Ostufer, beschäftigt. Auch hier sollen ein entsprechendes Achsen-Netz und ein Kinderwege-Konzept entstehen. Noch ein Ort, der auf den Geschmack gekommen ist.

Auszeichnung für Anlagen

Barrierefreie Spiel- und Bewegungsräume sucht die Jury des Deutschen Spielraum-Preises 2015. Wer in öffentlich zugänglichen Anlagen solche ­vorbildlichen Spielräume geschaffen hat, kann auf Sachpreise im Wert von insgesamt 21.000 Euro hoffen. Zugelassen zu dem Wettbewerb sind Anlagen, die 2007 oder später errichtet oder nach dem 1. Juli 2008 in wesentlichen ­Bereichen verändert, um- oder neu gestaltet wurden. Ausgelobt wird der Deutsche Spielraum-Preis von der STADT und RAUM Messe und Medien GmbH in Zusammenarbeit mit der GALK, der Ständigen Konferenz der Gartenamtsleiter beim Deutschen Städtetag, und dem Deutschen Olympischen Sportbund.

www.stadtundraum.de

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