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[ Schwerpunkt: Neu ]

Altneu

Bauen hat nicht nur die Wahl zwischen Moderne und Tradition. Ein Buch zeigt den dritten Weg

Text: Cornelia Dörries

Es ist immer noch die Gewissensfrage der zeitgenössischen Architektur: Moderne oder Tradition? An ihr scheiden sich die Geister, Denkschulen und Weltbilder – in Zeitgenössische und Avantgardisten einerseits und Traditionalisten und Konservative andererseits. Schon zu Beginn dieses Konflikts vor gut 100 Jahren wurde der Blick von tatsächlichen Qualitäten lieber auf die ideologisch gesicherten Hoheitszeichen des einen oder des anderen Lagers gerichtet. Was dem einen das Satteldach, war dem anderen das Fensterband. Doch im Hinterland des akuten Frontlinienverlaufs entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Reformarchitektur, die, anders als die Avantgarde, nicht mit den Traditionen der Disziplin brach, sondern diesen reichen Bestand kontinuierlich anreicherte und weiterentwickelte, ohne dabei die technischen Fortschritte in Bezug auf Konstruktion oder Material aus den Augen zu verlieren.

Der Schweizer Miroslav Šik gehört zu jenen Architekten, die sich auch außerhalb des akademischen Luftraums für die Qualitäten dieser vergessenen Reformarchitektur interessierten und daraus Lösungen für die Aufgaben des zeitgenössischen Bauens entwickelten. Er prägte den Begriff „altneu“: typologisch an Traditionen orientiert, doch technisch und konstruktiv auf der Höhe der Zeit.

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Lukas Imhof/ Miroslav Šik
Midcomfort.
Wohnkomfort und die Architektur der Mitte.
Ambra Verlag, Wien, 39,95 Euro

Šiks Schüler Lukas Imhof hat diesen besonderen Umgang mit der Architektur, der das Neue nicht als Bruch, sondern als kontinuierliche Weiterentwicklung versteht, nun auf einen Begriff gebracht. „Midcomfort“ ist der Versuch, den Gedanken des „altneu“ aus einer kultur- und bauhistorischen Perspektive zu begründen und als Form der Zeitgenossenschaft zu rehabilitieren – jenseits des Schismas zwischen Moderne und Tradition. Es geht sozusagen um eine Architektur ohne Bekenntniszwang, die traditionelle Bezüge ebenso prüft wie die Errungenschaften der inzwischen selbst historischen Moderne.

Der erste Teil des Buches widmet sich der ideengeschichtlichen Herleitung des titelgebenden Konzepts, der zweite Teil gehört der Darstellung der praktischen Umsetzung in verschiedenen Kontexten und im dritten Teil werden Reformansätze am historischen Beispiel, bei Umbauten und Neubauten diskutiert. Dass Imhof in seiner Einleitung ausgerechnet die Analogie von Sprache und Architektur bemüht, hat angesichts der durchgängig wunderbar lesbaren Ausführungen seine Berechtigung. Doch auch darüber hinaus, denn wer Architektur als Sprache des menschlichen Behaust-Seins versteht, wird dieses Buch wie ein grammatisches Nachschlagewerk der Baukunst nutzen können.


„Midcomfort bedeutet ja nicht Mittelmäßigkeit“ – Fragen an Lukas Imhof

Sie sind mit Anfang 40 noch ein recht junger Architekt. Was hat Sie zu einem Buch bewogen, das sich mit Althergebrachtem beschäftigt?

Das Buch ist eigentlich aus einer Forschungsarbeit heraus entstanden, die ich am Lehrstuhl von Miroslav Šik an der ETH Zürich durchgeführt habe. Es sind auch viele seiner Ideen eingeflossen, die er in eher losen Zusammenhängen formuliert hatte und die ich in dem Buch nun systematisch darstellen konnte.

Ein Architekt, der schreiben kann: Lukas Imhof, Jahrgang 1974, studierte an der ETH Zürich und arbeitete mehrere Jahre als Forschungsassistent. Seit 2004 führt er ein eigenes Büro und verknüpft in seiner Arbeit Autorschaft und Entwurfshaltung, wie er sagt, „nicht aus dem Wunsch nach einer Kohärenz von Theorie und Leben, sondern weil sowohl meine Architektur als auch mein Schreiben Ausdruck derselben Geisteshaltung sind.“

Fühlen Sie sich mit Ihrer kritischen Haltung zur klassischen Moderne als Einzelgänger?

In Deutschland würde es mir möglicherweise so gehen, doch hier in der Schweiz gibt es eine recht breite Bewegung innerhalb der Architektur, die sich mit den Qualitäten der Reformarchitektur auseinandersetzt. Sicher hat es auch damit zu tun, dass die ideologischen Lager bei uns nicht so ausgeprägt sind. Es gab hier nicht dieses historisch bedingte Freund-Feind-Denken, dem traditionelle Architektur als grundsätzlich reaktionär galt, während alles, was modern und aus Glas war, eine demokratische Gesinnung bewies. Doch auch in Deutschland gibt es inzwischen viele Architekten, die mit Traditionen etwas anfangen können.

Hatten Sie diese Vorliebe für traditionelle Architektur schon immer?

Ich glaube, jeder Student ist am Anfang fasziniert von der klaren, strengen Moderne und dem Konzept des Tabula rasa. Bei manchen ist dann eben auch Schluss, bei anderen entwickeln sich Vorlieben mit zunehmendem Wissen und der Erfahrung. Als ich das Buch geschrieben habe, war mir natürlich klar, dass die Gefahr besteht, persönliche Vorlieben zur allgemeinen Richtlinie zu erklären. Darum versuche ich auch immer, die Architektur der letzten 200 Jahre mit einem Blick von außen zu betrachten und zu fragen: Was wollen die Menschen? Und wie wandeln sich diese Bedürfnisse?

Im Begriff „Midcomfort“ schwingt vor allem Mäßigung mit, die, anders als das Spektakuläre und Radikale, nur schwer Faszination entfaltet.

Midcomfort bedeutet ja nicht Mittelmäßigkeit. Man muss sich als Architekt bewusst darüber sein, dass man nicht nur für sich oder den Bauherrn baut, sondern auch für die Stadt und die Nachbarschaft, also für sehr viele Menschen.

Ihr Buch lässt sich als Handbuch einer Entwicklung innerhalb der Architektur verstehen, die auf klassische, bewährte Qualitäten setzt und vor allem städtebaulich gute Argumente auf ihrer Seite hat.

In der Moderne haben sich Städtebau und Architektur, eigentlich zusammengehörige Disziplinen, weitgehend entkoppelt. Die Architektur hat durch den Bruch mit dem Althergebrachten das Haus zur Skulptur gemacht und ihm einen objekthaften Charakter verliehen. Aus solchen Einzelstücken entsteht aber keine Stadt. Und ein Haus ist kein Kunstwerk.

Wie kann das zeitgenössische Bauen von den Ansätzen der Reformarchitektur profitieren?

Meine Verwendung des Begriffs „Reformarchitektur“ bezeichnet ja nicht nur die Architektur, die heute kunsthistorisch üblicherweise mit diesem Begriff bezeichnet wird – also die Reformarchitektur der ersten zwei, drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Die Idee einer Reformarchitektur zieht sich für mich ungefähr seit der Arts-and-Crafts-Bewegung immer als Unterströmung durch die Architekturgeschichte. Sie ist seither fast zu jeder Zeit nachweisbar, auch in der Architektur der Zwischenkriegszeit, also jener kurzen Phase, in der an verschiedenen Orten eine Versöhnung von Tradition und Moderne versucht wurde.

Reform zwingt der Entwicklung eine gewisse Langsamkeit auf, die dem Tempo des gesellschaftlichen Wandels angemessener ist als radikale Brüche. Durch diese Entschleunigung wird der Fortschritt für die Bevölkerung nachvollziehbar und dadurch akzeptabler. Die Stadt wandelt sich in der Geschwindigkeit ihrer Bewohner. Aber vor allem zeigt sich auch in den Bauten selbst eine höhere Qualität. Durch ihren Rückgriff auf tradierte Typologien, Formen und Gestaltungsprinzipien bieten sie eine verfeinerte Gestaltung und für verschiedene Menschen mit jeweils unterschiedlichem Hintergrund differenzierte Bezüge und Lesbarkeiten. Eine Architektur, die aus einer reichen Tradition schöpft, ist wie eine komplexere, feinere Sprache.

Verfolgen Sie diese Ansätze – also eine Rückbesinnung auf tradierte Qualitäten in der Architektur – auch in Ihrer eigenen Arbeit?

Ja, natürlich. Ich könnte kein Buch über diese Architektur schreiben und dann etwas bauen, das völlig anders ist.

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