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Zurück Fassaden und Stadtbild

Hülle und Haltung

Fassaden sollen zugleich das Stadtbild bereichern, Kenner inspirieren und Laien gefallen, technisch funktionieren und Nutzern im Gebäude dienen. Medienfassaden können Widersprüche zukleistern – aber auch den Gebäudecharakter betonen

30.08.201010 Min. Kommentar schreiben
Fassaden-Kontrast 1: Lösungen für innerstädtische Wohnhäuser von Bruno Fioretti Marquez in Schweinfurt und Jürgen Mayer H. in Berlin (unten)

Von Rosa Grewe

Städtischer Wohnungsbau – das ist ein eher unspektakuläres Alltagsthema. Aber gerade wenn es scheinbar um das immer Gleiche geht, werden Unterschiede in der Interpretation des Themas „Fassade und Stadtbild“ besonders deutlich, wie drei Beispiele zeigen. Das erste ist von Christoph Mäckler aus Frankfurt: Er errichtete 2007 in der dortigen Ohmstraße einen Klinkerbau, der sich in den Proportionen, der Fassadenaufteilung und der Einpassung an alten Vorbildern orientiert: Ein erhöhtes Sockelgeschoss, vertikale Untergliederungen der Fassade durch Farbvarianten im Klinker zur Straße und durch Versprünge zum Hof, eine Fassade mit nur kleinen oder französischen Balkonen und rückversetzten Loggien, damit die Fassade glatt erscheint und bündig im Straßenraum steht. Ein Bekenntnis zu weniger Individualität, wie Mäckler einmal sagte: „Jeder Architekt, der an irgendeine Stelle sein aufregendes medienwirksames Häufchen stellt, handelt eigennützig, ja geradezu diktatorisch, statt an das Gemeinwohl zu denken.“

Da könnte er auch Jürgen Mayer H. gemeint haben. Der sucht die originelle Fassadengestalt, etwa bei einem luxuriösen Wohn- und Geschäftshaus in der Johannisstraße in Berlin-Mitte, das er derzeit plant. Aluminiumlamellen verschatten die Glasfassaden des Wohnhauses, reflektieren Tageslicht in den Innenraum und muten fremdartig an. Allerdings hat auch diese Fassade den klassischen Aufbau: ein Sockelgeschoss mit größeren Schaufenstern, einen rückversetzten Eingang und eine geneigte Dachfassade. Die Lamellen umhüllen das Haus, sodass sie auf der Seite der Straße bündig deren Flucht fortsetzen. Das Haus passt sich formal in den Stadtbestand ein und steht doch individuell da. Was bedeutet das städtische Umfeld für Jürgen Mayer H.? Auf der Website „Swiss architects“ sagt er: „Für uns sind die städtischen Realitäten ein Sprungbrett, um nach vorn zu schauen, in die Zukunft, und werden daher von uns aus einer positiven Perspektive betrachtet.“ Mayer H. schaut aber nicht nur nach vorn, sondern sucht auch den Anschluss an eine Tradition: „Wir möchten an Entwicklungen und Experimente anknüpfen, die in den 1970er-Jahren begonnen haben und dann durch die Postmoderne abgebrochen wurden.“

Sehr genau haben sich auch die Berliner Architekten Piero Bruno, Donatella Fioretti und Josè Gutierrez Marquez mit dem Städtebau auseinandergesetzt, als sie einen Wohnbau in der Brückenstraße in Schweinfurt planten. Das Stadtumfeld bilden Neu- und Altbauten: die mittelalterliche Stadtbibliothek, ein zeitgenössisches Museum und Wohnungsbauten aus der Nachkriegszeit. Die Vermittlung dazwischen war eine Herausforderung. Ihre Lösung beschreiben die Architekten so: „Das Gebäude nimmt Bezug auf die Größe und Form der ,Architectura Civile‘, das klassische viergeschossige Gebäude mit Satteldach und Lochfassade. Formal orientieren sich Baukubatur und Fassade also an der typisch Schweinfurter Wohnbebauung. Für die Lochfassade wählten die Architekten aber eine moderne, minimalistische Fassadengestaltung, grau verputzt und mit großformatigen Fenstern. In diesen spiegelt sich die mittelalterliche Bibliothek.

Die drei Beispiele zeigen: Fassaden sind weit mehr als Hüllen. Sie sind Projektionsfläche für politische und gesellschaftliche Bilder. Nutzer wie Architekten, jeder zu seiner Zeit, machen an ihr architektonische Verfehlungen der Vergangenheit und Gegenwart fest, für die Zukunft suchen sie das Zeitgemäße oder Zeitlose. Klischees überfrachten die Diskussionen um ihre Gestaltung. Kein Bauteil erörtern Architekten, Bauherren und Theoretiker mit so viel Ideologie wie die Hülle eines Bauwerks. Für den Laien ist sie einfach nur schön oder hässlich, für den Planer aber bedeutet die Fassade die Suche nach einer Haltung. Für beide ist sie identitätsstiftend für den Bau und den Stadtraum, den dieser Bau begrenzt.

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