
Die Architektur Antonio Gaudís ist für Thomas Heatherwick ein inspirierendes Beispiel.
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Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, Tendenz steigend. Die gebaute Umwelt ist Hintergrund, Kulisse für das Leben der Gesellschaft. Manche Gebäude finden wir spannend, manche schön, andere weniger, ja vielleicht sogar langweilig. Sollten wir sie humanisieren – humanise, wie es auf Englisch heißt?
Auf den ersten Blick scheint nicht viel dabei zu sein, aber wissenschaftliche Studien kamen zu einer spannenden Erkenntnis: Langweilige Gebäude wirken sich negativ auf unser Wohlbefinden aus, denn sie lassen unseren Cortisolspiegel ansteigen, was wiederum zu einem höheren Stresslevel führt.
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Humanise: eine Frage der Gesundheit
Thomas Heatherwick, der den Begriff „Humanise“ geprägt hat, spricht hierbei sogar von einem „harmful boring“, also einer von Gebäuden ausgehenden (gesundheits)schädlichen Langeweile. Der Gründer des gleichnamigen Design- und Planungsbüros Heatherwick studio mit Sitz in London und Shanghai ist überzeugt, dass die Bauindustrie sich in einer Mentalitätskrise befindet.
Sie unterstelle der Öffentlichkeit Ignoranz und lasse dem äußeren Erscheinungsbild von Gebäuden in der Planung zu wenig Aufmerksamkeit zukommen. Dabei ist die Zahl derjenigen, die ein Gebäude von außen erleben, um eine Vielzahl höher als die Zahl derer, denen das Privileg zuteilwird, ins Innere zu gelangen.
Thomas Heatherwick sieht Handlungsbedarf und rief deshalb im Oktober 2023 eine auf zehn Jahre angelegte globale Kampagne namens „Humanise“ ins Leben, die sich mit den durch langweilige Gebäude verursachten Gesundheitsproblemen auseinandersetzt und die Öffentlichkeit dazu inspirieren soll, Besseres zu fordern.

Während die verspielten Details bei Gaudí laut „Humanise“ Flaneure erfreuen …
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Langweilige Gebäude auch noch schädlich fürs Klima?
Gebäude, denen es an visueller Komplexität mangelt, wirken sich aber nicht nur negativ auf unsere Gesundheit, sondern auch auf die Dimension der Klimakrise aus. Elf Prozent der jährlichen weltweiten Kohlenstoffemissionen stammen aus dem Baugewerbe. Das ist fünfmal mehr als die gesamte Luftfahrtindustrie zu verzeichnen hat. Ich möchte meinen, dass es viele gibt, die der Umwelt zuliebe auf das Flugzeug verzichten und somit Emissionen vermeiden. Aber sind wir in Bezug auf die Bauindustrie machtlos?
Gebäude leben länger, wenn sie von Menschen gemocht, genutzt und umsorgt werden. Ist das nicht der Fall, folgt häufig der Abriss, der wiederum signifikante Folgen für die Klimakrise hat. Die Gesellschaft hat also Macht, doch der Mechanismus hinkt. Was muss sich ändern? Es gibt Anlass, über die Verantwortung, die mit unserer Profession einhergeht, nachzudenken.

… könnte hier aufgrund akuter Langeweile gesundheitlich und ökologisch Gefahr drohen.
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Humanise: eine einfache Regel und drei Tipps für gute Gebäude
Um zur Lösung dieser urbanen Krise beizutragen, schlägt Thomas Heatherwick in seinem Buch „Humanise: A Maker’s Guide to Building Our World“ eine einfache Regel vor: Ein Gebäude sollte in der Lage sein, die Aufmerksamkeit des Betrachters/der Betrachterin zu fesseln, während er/sie an ihm vorbeigeht.
Des Weiteren setzt er drei zentrale Punkte fest, die vor allem Planenden als Orientierung dienen sollen:
- Emotionen als Funktion: akzeptieren, dass die Gefühle der Menschen gegenüber einem Gebäude ein entscheidender Teil seiner Funktion sind.
- In 1.000 Jahren denken: Gebäude mit der Hoffnung und der Erwartung entwerfen, dass sie sehr lange stehen werden.
- Priorisierung der Fußgängerperspektive: die interessanten Qualitäten eines Gebäudes auf den Zwei-Meter-Türabstand konzentrieren.
Die Kampagne „Humanise“ ist ein Reminder für uns Architekturschaffende, uns unserer enormen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt erneut bewusst zu werden. Architektur ist eine öffentliche Sache und wir stehen im Dienst der Öffentlichkeit. Unser Gehirn braucht ein Level an Faszination und Komplexität, nutzen wir unsere Vorstellungskraft also dafür, unsere Städte zu humanisieren!
Humanise: A Maker’s Guide to Building Our World
Penguin, 2023.
496 Seiten.
Gebunden, als Taschenbuch oder als E-Book.
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