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Zurück Energie und Stadtbild

Das Dämmen verdammen?

Das Einpacken von Häusern kann zur ästhetischen Katastrophe führen – muss aber nicht. Wir stellen Projekte zur Diskussion, denen man auch Positives abgewinnen kann

01.09.20117 Min. Kommentar schreiben
Das Hochhaus im Märkischen Viertel sieht nach der Dämmung frischer aus denn je

Von Roland Stimpel

Beatles in Blau

„Mehr Beatles, weniger Griechen“, versprach Architekt Herbert Stranz 1970 für Berlins Märkisches Viertel – baute aber statt Yellow Submarines einen weißen Gebirgszug. Er graute mit den Jahren an; auch die allzu homogene Monotonie des Erscheinungsbilds war zuletzt nicht mehr zeitgemäß. Ziel bei der Modernisierung war „eine Anlehnung an die Bestandsarchitektur und deren modernere Auslegung“ – so Corinna Meyer, Architektin bei der Berliner SPP Property-Project-Consult GmbH. Den Rahmen setzte ein Farbmasterplan der Bauherrin Gesobau, die das Märkische Viertel per Modernisierung von 13 000 Wohnungen zu Deutschlands größter Niedrigenergie-Siedlung machen will.
Der weiße Grundton ist geblieben, doch mit hellem Blau an den Balkonen angereichert. Die viergeschossigen Gebirgsausläufer an den Rändern des Wohnkomplexes tragen das Hellblau jetzt sogar rundum – die Farbkombination hat mehr von Griechen als von Beatles. Aber das passt zum Dunkelblau der Fensterrahmen und der seitlichen Paneele, das bei der Modernisierung erhalten geblieben ist. Anders die Hauseingänge. Während man sie vorher kaum fand, stechen sie mit ihrem poppigen Rot jetzt sehr stark ins Auge. Doch insgesamt ist das Erscheinungsbild des Hauses nicht radikal verändert, trotz des Einsatzes von 50 000 Quadratmetern Wärmeverbundsystem und 400 000 Befestigungsdübeln. Die Fassade trug schon vorher einen Betonputz; die einst sehr schmalen Fensterlaibungen sind nach wie vor weniger als 20 Zentimeter tief. Für Schmutz und Algen, die anderswo oft den Dämmputz verunzieren, gibt es drei Jahre nach der Modernisierung noch keine Anzeichen. „Das hängt wohl auch damit zusammen, dass im Märkischen Viertel ein frischer Wind weht“, sagt Corinna Meyer.

Das Facelifting mit WDVS hat ein unansehnliches Siedlungshaus zum Blickfang werden lassen.

Coolness im Siedlungshaus

Man ahnt es gleich: Hier wohnt der Architekt selbst. Thilo Holzer in Stuttgart dämmte sein Einfamilienhaus in Schwarz mit dem WDV-System „Carbon DarkSide“. Das gestattet es, auf wärmegedämmten Fassaden dunkle, intensive Farben bis zum Hellbezugswert 5 aufzubringen. Eichenfarbene Holzfenster kontrastieren mit Coolness und Glätte der Fassade.Dem Haus ist alle Biederkeit seines Baujahrs 1938 ausgetrieben, ebenso das Odeur des Billigen, das die zuletzt sehr graue Fünf-Zentimeter-Wärmedämmung von 1970 verströmte. Der Farbton des neuen Putzes soll durch Nano-Quarz-Gitter-Technologie auf lange Sicht beständig bleiben. Auf kurze Sicht bietet das Haus an schönen Tagen wechselnde Bilder: Je nach Sonnen-Einstrahlung schimmert die Oberfläche schwarz, dunkelblau oder dunkelbraun.

Dämmung diskret: Wer würde annehmen, dass dieses Gebäude von oben bis unten mit einem WDVS versehen ist.

Leipziger Burg

120 Jahre Alter, 40 Jahre DDR und 15 Jahre Leerstand: Die einstige Gewürzmühle, Mieder- und Spitzenfabrik war nirgendwo mehr ganz dicht, als Philipp Egger und Peter Nägele sie übernahmen. Die Darmstädter Architektur-Absolventen realisierten ihren Loft-Traum für Projektplanungsbüro, Tischlerei und Wohnungen mit typgerechten 100-Quadratmeter-Zimmern. An den backsteinernen Längsseiten kam Außendämmung nicht infrage. Stattdessen dämmten Egger und Nägele hier massiv im Inneren. Zusammen mit dem Bestand kommen sie jetzt auf Wandstärken von bis zu einem Meter. „Wie in einer Burg“, kommentiert Egger. Aber nicht so düster: Die Vielzahl der Fenster und die Größe der Räume relativieren den Schießscharten-Effekt sehr stark. Auch für das Dämmen der obersten Geschossdecke gab es reichlich Raum: Danach beträgt die lichte Höhe noch 3,50 Meter. An den schon vor der Sanierung putzverkleideten Querseiten ist die Dämmschicht jedoch außen angebracht – wobei Querstreifen in Höhe der Etagendecken für Passanten die Hausstruktur lesbar machen.

Aus Grau mach‘ Freundlich: Dämmung und geringfügige Eingriffe haben das Ensemble nicht verfremdet.

Alle Neune

Neun neungeschossige Punkthochhäuser im Ingolstädter Piusviertel standen 1958 so ebenmäßig da wie neun Kegel. 40 Jahre später gerieten sie ins Wanken; es drohte die Kugel an der Kette des Abrissbaggers. Doch dann kam das Quartiersmanagement, und in seiner Zeitung artikulierte ein 17-Jähriger den Seufzer vieler Bewohner: „Die grauen Hochhäuser könnten mal bunt gestrichen werden.“ Es geschah. Das Münchener Büro Adam Architekten hat die Häuser beim Sanieren und Dämmen „farblich neu gefasst und so aufeinander abgestimmt, dass sie zu einem attraktiven Ensemble im Park zusammengewachsen sind“. Doch das Viertel ist nicht vom alten Grau ins andere Extrem des schreiend Bunten gefallen. Aus Balkons und Loggien wurden klimapuffernde Wintergärten. Adam Architekten teilen mit: „Beide Maßnahmen überformen den ursprünglichen Siedlungsgedanken nicht, sondern ergänzen ihn im Sinne von differenzierten Wohnungsansprüchen.“ Der Energieverbrauch wurde halbiert, doch die Wohnungen sind in Ingolstadts unterem Preissegment geblieben.

Sieht aus wie früher, ist aber modernisiert und wärmegedämmt: Hamburger Genossenschaftsbau

Volksriemchen

Was hier gemacht wurde, ist für viele tabu: Vor eine historische Hamburger Klinkerfassade kam ein Wärmedämmverbundsystem und davor eine Lage Keramik-Riemchen, die das frühere Backsteinbild nachahmen. Aber bevor wir es verurteilen: Das hier ist gemeinnütziger Volksbau im Eigentum seiner Bewohner, organisiert in der Baugenossenschaft der Buchdrucker eG. Die teilt mit: „Wir modernisieren, um unseren Mietern einen zeitgemäßen Standard zu günstigem Preis zu bieten.“
Also mit möglichst wenig Aufwand. Was nun zu sehen ist, stellt zwar Rotklinker bloß dar. Materielle Authentizität? Die kümmert hier wenige. Für Anwohner und Passanten im etwas ärmlichen Stadtteil Barmbek ist das ein akademischer Zungenbrecher, aber keine Qualitätskategorie. Immerhin bekamen die in der Nachkriegszeit mit Kupferblech verkleideten Ecktürme vom Architekturbüro Augustin & Sawallich ihr Erstaussehen zurück. Wollten wir das nicht gerade noch verurteilen? Nein, vielleicht doch nicht.

Der Kasten hat Farbe bekommen: Das Haus nach der Modernisierung

Vielfalt statt Einfalt

Das Bild der Nachkriegsmoderne bewahren? Bei ihren guten Werken gern, aber bei dem Hochhaus in Hamburg-Lohbrügge war das Bewahren nicht zwingend. Wir konnten den damaligen Architekten nicht ermitteln, meinen ihm aber nicht zu nahe zu treten, wenn wir der seinerzeitigen Gestaltung das Motto „Einfalt in Vielheit“ ablesen. Vertikal hatte sich hier jedes unten aufgerufene Balkon- oder Fensterrechteck nach oben hin zwölfmal zu wiederholen, horizontal, wo es ging, am besten viermal. Das ist nun nicht ins Gegenteil verkehrt, aber es gibt doch mehr Vielfalt in der Einheit. Das Haus hat als Kollateralnutzen des Dämmens einen ­Sockel bekommen, ein bisschen Struktur durch die Fensterpaneele
und einen Hauseingang, der als Entree zu 104 Wohnungen angemessener ist als das vorherige Fassaden-Mauseloch. Das Büro Augustin & ­Sawallich erreichte hierfür einen dritten Platz beim Deutschen Fassadenpreis 2008.

Wohnturm mit Pixeloptik: WDVS kann Leben in die Fassade bringen

Platte mit Pixeln

Übertriebene Farbwut? Zu große Unruhe? Die Buntheit ist eine Reaktion auf das vorherige Erscheinungsbild des beim Bau im Jahr 1964 höchsten deutschen Wohn-Plattenbaus – kein DDR-Produkt, sondern eines des Westberliner Sozialbaus. Architektin Bettina Hofmann von der SPP Property-Project-Consult GmbH plante zunächst eine zeitgemäße Weiterentwicklung des überkommenen Bildes und eine stärkere Betonung der Gebäudestruktur. Doch die städtische Baugesellschaft Gewobag wollte den radikalen Wandel und wünschte sich nach vielen Anläufen ein Farbmosaik. Aus großer Ferne wirkt es gepixelt. Aus der Nähe zeigt es grüne und blaue Rechtecke auf blassgelbem Grundton, wobei sich das Blau nach oben hin allmählich verliert. Aus statischen Gründen wurde hier kein WDV-System angebracht, sondern es wurden Alucobond-Platten vorgehängt. An den Giebeln gibt es aber nur Gelb und Blau, auf der Südseite außerdem noch übereinandermontierte Solarpaneele. Das vorher steinschwere und steindüstere Hochhaus wirkt nun etwas schrill, aber auch leichter. Und es harmoniert jetzt auch besser mit seiner drei- bis viergeschossigen Umgebung: Auch die Nachbarn bevorzugen Gelb, Blau und Grün.

Gut gedämmt ist ganz gewonnen: Das Gebäude sieht nach der Modernisierung authentischer aus als vorher

Erlebbare Kiste

Seit seinem Bau im Jahr 1971 kam das Wohn- und Geschäftshaus in Puchheim bei München widersprüchlich daher: der Baukörper als Kiste nach Art des 20. Jahrhunderts, die Gliederung nach älterer Konvention mit ausgebildeter Sockel-, Mittel- und Dachzone. Das Gilchinger Büro s+p dinkel Architektur holte das beim Sanieren vor sechs Jahren nach. Stefan Dinkel: „Die Bauherren wünschten, dass mit überschaubarem Aufwand etwas Neues entsteht; wir wollten mit dem Thema Kiste arbeiten und es klarer erlebbar machen.“ Der Sockel ist noch da und tut auch gut; die drei Geschosse darüber folgen jetzt eindeutig der 20.-Jahrhundert-Tradition. Die Wirtschaftswunder-Erblast mit Asbestschindeln und Glasbauziegeln ist weg; reflektierende Glaspaneele zwischen jeweils zwei Fenstern schaffen neue ­gestalterische Einheiten und trösten übers leidige, dämm-übliche Anschwellen der Laibungen hinweg. Die Fensterbereiche harmonieren nun mit dem Treppenhaus, dessen Benutzer beim Aufstieg mit immer besserem Blick nach draußen belohnt werden. Den größten optischen Gewinn hat aber, wer das Haus von dort aus wahrnimmt.

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