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Archiv der Zukunft: natürliche Form, digitaler Prozess

Wie baue ich einen Baum? Für das Archiv der Zukunft in Lichtenfels hat sich Peter Haimerl dieser selbst gestellten Aufgabe angenommen – und bringt auf spektakuläre Weise Analoges und Digitales, Immaterielles und ­Materielles zusammen.

Von: Eva Kafke
Eva Kafke schreibt vor allem über Wohnungbau, Sanierungen und Umbauten...

30.09.20257 Min. Kommentar schreiben
Ein von goldenen Stahlweiden überwölbter Pavillon auf einem Marktplatz.

Impulsgeber am Marktplatz: In Lichtenfels ersetzt ein von goldenen Stahlweiden überwölbter Pavillon ein historisches Bestandsgebäude.
Sebastian Kolm Architekturfotografie

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „State of the Art“ im Deutschen Architektenblatt 10.2025 erschienen.

Die Anwendung von digitalen Technologien in der Planung und Gestaltung von Gebäuden, genau wie in der baulichen Umsetzung, braucht nicht nur Architekten mit Mut. Sie kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten – Bauherren, Planer und Baufirmen – offen sind für Neues und dabei auch riskieren, an ihre Grenzen zu stoßen. Ein solches Team hat im Zentrum der oberfränkischen Kleinstadt Lichtenfels ein spektakuläres Bauwerk realisiert – eine zweigeschossige vollverglaste Stahlkonstruktion, die von zwei golden glänzenden Weidenbäumen aus Stahl überwölbt wird.

Das Gebäude hat einen historischen Bestandsbau ersetzt, fußt jedoch auf dessen saniertem Kellergewölbe. Der Name – Archiv der Zukunft – ist Programm. In der Planung, im Entstehungsprozess (die Planungs- und Baugeschichte wird hier anschaulich dokumentiert) und in der heutigen Nutzung schlägt das Gebäude die Brücke von der Vergangenheit zur Zukunft, von Tradition zu Innovation. Es führt Handwerkskunst und moderne Technologien, analoge und digitale Welt zusammen.

Archiv der Zukunft in Lichtenfels am Abend

Die kunstvollen Holzverästelungen, entworfen von Architekt Peter Haimerl, kombinieren natürliche Formen mit einer hochmodernen Herstellungsweise.
Sebastian Kolm Architekturfotografie

Zukunftstechnologie 3D-Metalldruck

Initiatoren des Projektes sind Günter und Robert Hofmann. Mit ihren ortsansässigen Unternehmen für Werkzeug-, Maschinen- und Modellbau haben sie sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Ruf als einfallsreiche Vorreiter der Branche erarbeitet, unter anderem durch die Entwicklung einer 3D-Metalldruck-Technologie für die Luft- und Raumfahrtindustrie sowie die Medizintechnik. 2017 erwarben die Brüder ein verfallendes Gebäude am Marktplatz und lobten einen Wettbewerb aus, um an dieser Stelle ein zukunftsweisendes Bauwerk mit Räumlichkeiten für Firmenausstellungen und die Büroeinheiten ihrer Verwaltungsgesellschaft zu schaffen.

Bauherren mit Mut zum Experiment

Zu den geladenen Architekten gehörte Peter Haimerl aus München. Er ist deutschlandweit für seine unkonventionellen und progressiven Projekte bekannt, die er mit Vorliebe im ländlichen Raum seiner bayerischen Heimat realisiert. Sein Konzept – ein Haus, das in einem Baum steckt – überzeugte die Jury.

Mit anderen Auftraggebern, so Haimerls Überzeugung, wäre dieses Projekt nicht vorstellbar gewesen. „Mit diesen Bauherren war es möglich, Neuland zu betreten. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, etwas für die Region zu tun, in der sie geboren und aufgewachsen sind, und der Stadt etwas zurückzugeben. Dafür nahmen sie viel Geld in die Hand.“ Er ergänzt anerkennend: „Sie hätten auch für weniger Geld auf dem Marktplatz bauen und sich für den Rest eine Jacht im Mittelmeer kaufen können.“

Astgabel aus Metall aus dem 3D-Drucker

Prototypen 1: Hier wurde die Astgabel im Metallsinter-Verfahren 3D-gedruckt. Die Äste aus Vierkantrohren wurden angeschweißt.
Manfred Jarisch

Weiden erinnern an Tradition des Korbflechtens

Die zahlreichen Berichte über das Archiv der Zukunft heben vor allem die Symbolträchtigkeit des prägenden Elements, der Weidenbäume, hervor: Lichtenfels ist bekannt durch seine lange Korbflechtertradition. Die Stadt verdankt diesem Handwerk einen Teil ihres einstigen Reichtums, der noch heute in den Bürgerhäusern rund um den Marktplatz sichtbar ist. In dieser Tradition findet sich das Archiv der Zukunft.

Architekt Peter Haimerl hatte jedoch noch einen zweiten, deutlich schwerer greifbaren Grund für die Schaffung der Weidenskulptur: „Ich hatte seit Jahrzehnten das philosophische Interesse, herauszufinden, wie man die immaterielle und die materielle Welt zusammenbringen kann. Und bin immer davon ausgegangen, dass das nicht geht. Mit diesem Projekt ist es gelungen.“

Äste aus Metall 3D-Drucker

Prototyp 2: Hier wurde das Bauteil in einem neuartigen 3D-Druckverfahren mit einem Metalldraht in Schweißtechniklagenweise aufgebaut.
Manfred Jarisch

Künstlich generierte ­Baumstrukturen

Die Struktur der Gehölze ließ er von einem Planungstool errechnen, das er gemeinsam mit dem Designer Gero Wortmann entwickelt hat. Das Programm abstrahiert biologische Wachstumsprozesse und übersetzt sie in Algorithmen. „Der Grundbefehl war: ein Stamm mit einem Ast, der in einem bestimmten Winkel abgeht. Dieser wurde beliebig oft wiederholt und kombiniert. So ist ein sehr komplexes Gebilde entstanden“, erklärt Peter Haimerl.

Ursprünglich sollte die Plastik aus drei Stämmen und viel mehr Ästen und Zweigen bestehen. Im Zuge der Planungen stellte sich heraus, dass die Kosten dafür unverhältnismäßig würden. Also speckten die Planer den Entwurf ab. „Wenn man digital arbeitet, ist einer der größten Vorteile, dass man reduzieren kann, ohne die Idee zu verändern. Wir konnten in der Dichte skalieren und Äste aus dem ursprünglichen Entwurf entfernen“, beschreibt der Architekt.

Massiver Stahl in Form einer Astgabel

Prototyp 3: Hier wurde die Astgabel aus einem massiven Stahlblock gefräst.
Manfred Jarisch

1,6 Kilometer und 25 Tonnen Stahl

Heute recken sich die beiden Bäume aus Metall­ 12,6 Meter in die Höhe. Ihre Kronen und Äste mit einer Gesamtlänge von 1,6 Kilometern überspannen eine Fläche von 143 Quadratmetern. Manch ein Ast berührt den rechteckigen Betonsockel – eine Reminiszenz an die Arkaden historischer Stadtzentren. Doch die gesamte Last – immerhin 25 Tonnen – wird von den beiden Baumstämmen getragen. Sie sind auf Stahlverankerungsplatten festgeschweißt, die in die 40 Zentimeter starke Bodenplatte eingegossen sind.

Berechnungen und ­Verfahrenstests

Die Realisation der Weiden stellte Architekten, Fachfirmen und Bauherren vor zahlreiche Herausforderungen. Für die kniffeligen statischen Berechnungen war das ortsansässige Ingenieurbüro Fuchs zuständig. In Zusammenarbeit mit der Bauhaus-Universität Weimar ließen die Experten umfangreiche Schwingungsuntersuchungen durchführen. Anhand eines digitalen Windkanal-Modells wurde das Verhalten der Skulptur bei Wind und Sturm geprüft.

Für die Herstellung des Geästes ließ Peter Haimerl diverse Modelle erarbeiten und Methoden testen. „Ursprünglich ging ich davon aus, dass die Umsetzung durch 3D-Schweißdruck erfolgen würde. Aber das ist nicht zugelassen und hat sich zudem als zu teuer herausgestellt. Dann haben wir verschiedene weitere Herstellungsverfahren angedacht und ausprobiert“, erzählt er. „Letztlich sind wir zu einer fast reduzierten Bauweise zurückgekehrt, die einerseits emotional genug und andererseits nicht zu abstrakt wirkt.“

Handwerker arbeiten an Vierkantrohren für das Archiv der Zukunft

Am praktikabelsten für den Stahlbaum waren am Ende in Roboter-Schweißtechnik angefertigten Vierkantrohre.
Stephan Wilm

Wichtige Farbwahl für den Stahlbaum

Heißt konkret: Die Bäume wurden aus Vierkantrohren in Roboter-Schweißtechnik angefertigt. Das übernahm die oberösterreichische Firma Gföllner, mit der Architekt Peter Haimerl seit 25 Jahren immer wieder zusammenarbeitet. Durch eine Beschichtung im Duplex-Verfahren entstanden der goldene Glanz und die gewünschte emotionale Wirkung. „Die Wahl der Farbe spielt eine enorme Rolle für die Emotionalität: Bronze hat einen schweren Touch, wirkt intellektuell und elitär. Silber ist tot. Und japanisches Weiß war uns zu abstrakt. Gold hat genau die Emotionalität, die Energie und Strahlkraft, die wir wollten“, begründet der Architekt.

Goldenes Astwerk auch in den Innenräumen

Im Gebäude selbst finden sich Analogien zu den Stahlgehölzen davor. Hier wurden sie von einem ortsansässigen Unternehmen gefertigt. „Die Bauherren wollten so viel wie möglich mit einheimischen Firmen realisieren“, betont Peter Haimerl.

Selbst im Keller gibt es goldene Äste. Sie halten die Deckenleuchten im Medienraum und bilden einen spannungsreichen Kontrast zu den Wänden. Sie bestehen aus rohen Bohrkernen, die während der Bauarbeiten zur Stabilisierung gebraucht wurden. Auf ihren Oberflächen haben der Bohrer und die Erdschichten Spuren hinterlassen. Ein glänzender Vierkant-Handlauf begleitet die Treppe.

Im Ausstellungsraum im Erdgeschoss und in den Büroräumen im Obergeschoss scheinen raumhohe filigrane Streben die Geschossdecke zu stützen. Dank der bodentiefen Glasflächen wirkt es, also ob die Bäume in den Baukörper hineinwachsen. „Es wäre architektonisch auch interessant gewesen, wenn die Weidenstruktur die Decks des Pavillons getragen hätte“, meint Haimerl. Andererseits stärke die nun umgesetzte klare Trennung der Gebäudeteile das Konzept. Auch Anschlussprobleme wurden so vermieden.

Büro mit bodentiefen Fenstern, einem schwarzen Schreibtisch und schwarzen Schreibtischsesseln und einer Konstruktion aus Holzästen vor dem Fenstern.

Arbeitsplätze im Astgewirr: Dank der bodentiefen Glasflächen wirkt es, also ob die Bäume in den Baukörper hineinwachsen. Tatsächlich sind der Pavillon und die Weidenskulptur aber konstruktiv getrennt.
Sebastian Kolm Architekturfotografie

Impulsgeber für die Stadtentwicklung

Dass ein Bauwerk von technologieaffinen Bauherren und Planern darüber hinaus mit modernster Digitaltechnik ausgestattet ist, überrascht kaum. Sichtbar ist die jedoch nicht. Dabei wurden jeweils fünf Kilometer Datenkabel und Rohre für Beheizung und Kühlung sowie sieben Kilometer Strom- und Steuerungsleitungen im Gebäude verlegt. Sämtliche Installationen verlaufen unsichtbar hinter vorgebauten Wänden sowie in Fußbodenaufbauten oder hinter den Deckenpaneelen aus geschäumtem Aluminium. Notwendig ist die Technik nicht zuletzt für die Nutzung der Räumlichkeiten, zum Beispiel für die digitale Dauerausstellung zur Zukunft der Arbeit.

Die Idee der Bauherren, an zentraler Stelle in Lichtenfels Impulsgeber sein zu wollen, zeigt mittlerweile Früchte. So hat die Stadt schräg gegenüber einen denkmalgeschützten Bau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts samt einem 1.000 Quadratmeter großen Grundstück erworben. Im umgebauten Bestand und in angrenzenden Neubauten sollen eine Stadtbibliothek, die Touristeninformation sowie das Amt für Wirtschaft, Tourismus und Kultur unterkommen. Noch in diesem Jahr soll der Komplex eröffnet werden. Ein weiterer Anziehungspunkt am Marktplatz – ein weiteres Ensemble, in dem die bauliche Geschichte fortgeschrieben wird.

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