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Protest-Architektur: vom Camp ins Museum

Eine ungewöhnliche Schau zeigt derzeit das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt: Aktivisten, nicht Architektinnen verantworten die Werke, die gezeigt werden. Und ihre Protestbauten wurden in der Realität längst wieder abgeräumt. Ob sie im Museum noch etwas ausrichten können?

Von Christoph Gunßer

Architecture without Architects hieß 1964 eine viel beachtete Schau im New Yorker Museum of Modern Art, die das indigene, allen Menschen innewohnende Bauen-Können zeigte. Der Katalog von Bernhard Rudofsky ist heute noch auf der Website des Museums abrufbar: Abbildung 2 zeigt, wie nordamerikanische Ureinwohner gewaltsam aus ihren Baumbehausungen vertrieben werden.

Architektur ohne Architekten

Die Szene von 1668 erinnert nicht nur an die biblische Paradies-Räumung. Sie weist auch verblüffende Parallelen auf zu jüngeren Aktionen der Staatsgewalt gegen aus ihrer Sicht ungenehmigte und vor allem unbequeme Bauten: von der Startbahn West 1980 bis zum Hambacher Forst 2023.

Die dort errichteten, überaus fantasievollen Baumhäuser wurden auch ohne Architekten errichtet, aber medial weit besser dokumentiert, drum war es nur eine Frage der Zeit, wann sie museale Weihen erhalten. Das hat jetzt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt mit der Ausstellung „Protest / Architektur. Barrieren, Camps, Sekundenkleber“ in seinem Interimsquartier am Ostbahnhof unternommen (in Kooperation mit dem Wiener Museum für angewandte Kunst).

Protest mit Architektur

„Alles ist Architektur“ steht schon fett auf dem Eintrittsticket zur Ausstellung. Ihr zugrunde gelegt ist tatsächlich ein weit gefasster Begriff derselben: Bereits Barrikaden, Zeltplanen, Hüttendörfer und Traktorenkonvois bilden bekanntlich Räume, die bespielt (beziehungsweise in diesem Fall bewohnt und umkämpft) werden können.

Eigentlich alle gezeigten Beispiele sind Geschichte und nur noch lückenhaft im kollektiven Gedächtnis präsent. Die Mall in Washington, das geplante Endlager in Gorleben, die Startbahn West in Frankfurt, der Majdan in Kiew, der Tahrir-Platz in Kairo, das Umbrella Movement in Hongkong, Farmerproteste in Indien und Südamerika – rund um die Welt verteilt liegen die Orte der Proteste, und fast jedes Jahr überschritt eine Bewegung die mediale Reizschwelle, was ein wichtiger Punkt für die Strategen der Gegenkultur ist. Aktivismus hat inzwischen viele Unterstützer, nun auch im Museum.

Material für anthropologische Deutungen

Das aktivistische Anliegen, die allgegenwärtige Wut im Bauch beim Blick auf die „Projekte“ und ihre klaren Fronten, verstellt allerdings ein wenig den Blick auf deren ur-architektonische Deutung: Eine mehr anthropologische oder gar biologische Deutung der Bilder und Pläne, wie sie seinerzeit Rudofsky mit der Moma-Schau propagierte, hätte womöglich gemeinsame Muster herausarbeiten können wie das Bedürfnis nach Deckung und Ausblick, im Baumhaus, unter den Zeltplanen, auf dem simplen Monopod oder Tripod, die in ihrer Archaik kaum zu überbieten sind.

Bedürfnisse und Fertigkeiten wie diese gehen in der verregelten Bau-Welt gern verloren. Die Konjunktur der Tiny Houses ist nur die kommerzielle Seite einer allgemeineren Sehnsucht nach dem elementaren Bauen. Die bedient die Ausstellung durchaus auch, doch dienen die gezeigten Camps und Aktionen nicht dem privaten Glück, sondern – aus Sicht der Bauenden – der Verhinderung größeren Unglücks, wenn auch meist ohne Erfolg.

Passend zum Thema eine (scheinbar) improvisierte Ausstellung

Im vor dem Abriss bewahrten ehemaligen Neckermann-Gebäude (später Telekom) mit seinen weitläufigen, roh belassenen Räumen wirkt die Ausstellung passend zum Thema improvisiert (Ausstellungsgestaltung: Something Fantastic). Gleich im Entree liegen auf Paletten die nötigen Werkzeuge und Monteursanzüge für Camp-Einsätze versammelt (im Begleitprogramm gibt es sogar ein „DAM Studio Protest“ und Bauwerkstätten für Kinder unter dem Motto „Grell gestalten“ und „Laut bauen“).

Die dreizehn Protestbeispiele aus aller Welt (mit vielen Querverweisen auf andere Proteste) sind im Hauptraum auf Postern dokumentiert, die über schräg in den Raum gestellte Elemente aus dem Baumarkt gehängt wurden. Diverse Erinnerungsstücke wie Strohsäcke von Sitzblockaden, der Skywalk aus dem Hambacher Forst oder ein abgesägter Monopod-Hochsitz werden ergänzt durch modellhafte Nachbauten und neu erstellte Pläne und Axonometrien. Oliver Hardt steuerte einen viertelstündigen Film bei, der schnell geschnitten die weltweiten Bewegungen anreißt, aber auch thematisiert, wie die Menschen mit der Vergeblichkeit umgehen.

„Wir denken, dass es im Sinne der jeweiligen Protestbewegungen ist, Verbindungen herzustellen“, schreibt das Kuratorenteam  um Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt. So gibt die Ausstellung einen guten Überblick über die weit gefasste Architektur der Aktivistenszene. Nur kurz wird gefragt, ob die Anlässe des Protests gerechtfertigt sind, nämlich am Beispiel der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021.

Ästhetische Aufwertung der Protest-Architektur

Der Kunst ist es bislang noch stets gelungen, Elemente der Gegenkultur zu vereinnahmen – „Camp“ heißt denn auch die entsprechende Bewegung seit den 1960ern, die Improvisation zum ästhetischen Thema aufwertet. Der Planerzunft bleibt es also überlassen, sich von der Selbsthilfe-Architektur inspirieren zu lassen. Dafür bietet die anschauliche Präsentation gute Gelegenheit.

Ironie am Rande: Der einzeln begehbare, an Seilen schwankende Verbindungssteg, Eyecatcher am Beginn der Ausstellung, brauchte den Segen eines Architekten und eines Statikers – obwohl er nur 30 cm über dem Boden schwebt. Vor einem halben Jahr hing er noch in den Wipfeln des Hambacher Forstes, ungenehmigt, aber funktionstüchtig – bis ein „Höheninterventionsteam“ der Polizei ihn herunterholte.


Die Ausstellung „Protest / Architektur. Barrieren, Camps, Sekundenkleber“ ist noch bis zum 14. Januar 2024 im DAM Ostend zu sehen.

Zur Ausstellung ist der lexikalische Katalog „Protestarchitektur“ bei Park Books erschienen: 528 Seiten, 19 Euro

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