Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Der Gebäudetyp E nimmt Form an“ im Deutschen Architektenblatt 07.2023 erschienen.
von Sebastian von Oppen
Die von der Bayerischen Architektenkammer angestoßene Initiative zu einem „Gebäudetyp E“ scheint in der öffentlichen Debatte und in Fachkreisen einen Nerv getroffen zu haben. Selbst in Talkshows großer Fernsehsender hat zum Beispiel die Bundesbauministerin Klara Geywitz die Idee als einen Ausweg aus der Wohnungskrise ins Spiel gebracht.
Im Ursprung sollte der Gebäudetyp E ein gesondert zu vereinbarender Planungsansatz sein, bei dem die bauaufsichtlich eingeführten Technischen Baubestimmungen und die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht gelten müssen. Dabei sollten aber die grundlegenden Schutzziele der Bauordnungen gewahrt, Baukultur und Nachhaltigkeit vorangebracht werden.
Allgemein anerkannte Regeln der Technik wirklich verbindlich?
Die Architektenkammern allein können aber die Rechtslage nicht ändern, sondern dies muss im Dialog mit der Politik und anderen baunahen Akteuren geschehen. Ein großer Erfolg war deshalb die Thematisierung auf dem Deutschen Baugerichtstag, der Empfehlungen ausspricht, die oft Gehör in Politik und Rechtsprechung finden. Auf dem 9. Deutschen Baugerichtstag im Mai in Hamm wurden im Arbeitskreis Normung und Sachverständigenwesen vor allem die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ (aaRdT) diskutiert. Die aaRdT werden in der Rechtsprechung herangezogen, wenn eine Richterin entscheiden muss, welche Qualitäten ein Käufer üblicherweise von einem Gebäude erwarten darf.
Im Grundsatz ist dieses Verfahren sinnvoll, wenn nur die Empfehlungen herangezogen würden, die tatsächlich die Bezeichnung „allgemein anerkannt“ verdienen. In der Regel gilt dies für technische Empfehlungen, zum Beispiel des Deutschen Instituts für Normung (DIN). In jüngerer Zeit wurden aber auch Normen zu aaRdT erklärt, die nur Komfortanforderungen darstellen oder vorrangig dem Vermarktungsinteresse von Bauproduktherstellern dienen. Auch wenn die Parteien eine Abweichung von den aaRdT vereinbaren, verbleibt das Risiko bei den Planerinnen, dass Nutzer sich bei einem vermeintlichen Mangel auf eine möglicherweise anerkannte Regel berufen.
Deutscher Baugerichtstag zum Gebäudetyp E
In dieser Melange aus Angst vor Haftung und fehlendem ökonomischem Anreiz bekommen technische Empfehlungen gesetzesähnlichen Charakter. Dabei gibt es nicht einmal eine abschließende Liste von aaRdT, sodass Empfehlungen im vorauseilenden Gehorsam befolgt werden, auch wenn diese sich kostensteigernd und ressourcenintensiv auswirken.
Die insgesamt zehn Empfehlungen des Baugerichtstages zum Gebäudetyp E lassen sich zusammenfassen:
- Technische Empfehlungen (Normen des DIN o. Ä.) sollen deutlich höhere Anforderungen erfüllen müssen, um zu einer aaRdT zu werden.
- Die Genehmigung der Abweichung soll bauordnungsrechtlich gebunden sein, sofern die gesetzlichen Schutzziele in gleicher Weise erreicht werden.
- Die Abweichung von einer aaRdT darf nicht mehr allein einen Mangel begründen. Es muss vor Gericht dargelegt werden, dass die Abweichung die Ursache für einen tatsächlichen Schaden oder die Gefahr eines Schadens ist.
- Abweichungen von den aaRdT müssen rechtssicher mit dem Bauherrn vereinbart werden können. Angesichts der Rechts- und Vertragspraxis wird empfohlen, dass die Voraussetzungen für eine abweichende Regelung gesetzlich geregelt werden.
- Regelsetzer (zum Beispiel Verfasser der Musterbauordnung) müssen abschätzen, welche wirtschaftlichen und auch ökologischen Folgen eine technische Empfehlung zum Beispiel des DIN hat, wenn sie diese bauordnungsrechtlich in Bezug nehmen.
Nach wie vor könnte ein Gebäudetyp E zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart werden. Viel wichtiger ist jedoch, dass ressourcenschonende und kostengünstige Lösungen generell nicht durch eine Mischung aus Angst vor Haftung und falsch verstandenen technischen Empfehlungen blockiert werden. Die Empfehlungen des Baugerichtstages gehen daher in die richtige Richtung. Nun müssen Sie ihren Weg in die Gesetzgebung und die Rechtsprechung finden.
Justizministerkonferenz zum Gebäudetyp E
Unterdessen wird die BAK ihre Forderungen weiter in die Politik tragen. So befassten sich Ende Mai die Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf ihrer Frühjahrskonferenz mit dem Gebäudetyp E: Bundesjustizminister Marco Buschmann soll nun prüfen, welche zivilrechtlichen Anpassungen erforderlich sind, um die Umsetzung rechtssicher zu ermöglichen, insbesondere bei der Sachmangelhaftung im Werkvertragsrecht, aber auch im Kauf-, Miet- und Haftungsrecht. Weiterhin wurde mit dem Deutschen Institut für Normung Zusammenarbeit vereinbart.
Sebastian von Oppen ist Leiter des Referats Architektur und Bautechnik der Bundesarchitektenkammer
29-06-2023
Die großen Probleme, die nach der Entscheidung über eine Prüffreiheit für bestimmte Gebäudeklassen entstanden, lassen bei einer Einführung der E-Umsetzung zusätzliche Probleme erkennen. Die Entwicklung der Normen hat in den letzten 50 Jahren einen enormen Mehraufwand bei der Planung verursacht. Dieser konnte nur durch die Entwicklung der Hard- und Software gemindert werden, verbunden mit dem Nachteil, dass, wie mir ein Prüfingenieur mitteilte, besonders jüngere Kollegen ohne eine ausreichende Erfahrung, die Programme als black Box betrachten und Eingabefehler nicht am Ergebnis erkennen können.
Der bessere Weg wäre, einfache Lösungen zur Festlegung anzubieten. Damit lassen sich die meisten Planungen zum Wohnungsbau erheblich vereinfachen.
Für die anspruchsvolleren Bauten bleiben die bekannten Anforderungen bestehen.
Damit lassen sich erhebliche Einsparungen erzielen.
Horst Hilke
Husum
Der Gebäudetyp E ist meiner Meinung nach ein völlig falscher Lösungsansatz. Er ist das Aspirin für die Kopfschmerzen, bei denen für ihre Heilung die Frage nach der Ursache gestellt werden muss.
Anstatt einen neuen, vermeintlich leichter zu planenden Gebäudetypus zusätzlich zum vorhandenen Regelwerk zu erfinden, sollten sich insbesondere Architekt*innen um ein besseres Verständnis und mehr Klarheit bei den Spielregeln unseres Planungs-Handwerks bemühen. Was fehlt, sind Orientierung und Anleitung. Architekt*innen müssen entsprechend ihrer fachlichen Spezialisierung sicher sein im Umgang mit den Regeln für das Entwerfen, für das Bauen und für zielführende Zusammenarbeit. Dies gilt insbesondere für diejenigen Architekt*innen, die die Führungsrolle im Zentrum aller Projektbeteiligten übernehmen.
Das vorhandene Regelwerk aus Gesetzen, Verordnungen, Satzungen, Normen und Richtlinien ist genauso umfang- wie hilfreich. Man kann das Spiel „Planen und Bauen“ nur richtig spielen, wenn man die Regeln kennt und damit umzugehen weiß. Das bedeutet natürlich, dass Architekt*innen einen Teil ihrer Energie dafür einsetzen müssen, um in diesem Gebiet fit zu werden/bleiben. Und neben der Eigenverantwortung hierfür braucht es auch Vermittler, die insbesondere den Architekt*innen bei den Regeln in die Kompetenz helfen – leicht verständlich und ohne umständliches Fachchinesisch. Für solche Lösungen wünsche ich mir mehr Engagement, statt auf einen alternativen Gebäudetypen auszuweichen.