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[ Nachwuchs-Kolumne #151 ]

Die 15-Minuten-Stadt: Ich lebe die Utopie

Über eine Twitter-Challenge entdeckte unser Kolumnist das Prinzip der 15-Minuten-Stadt. Ist die Utopie eine Lösung für unsere Städte?

Mann mit Kaffeebecher, der ein Fahrrad durch die Stadt schiebt
Auch dieser junge Mann hier scheint das Modell der 15-Minuten-Stadt zu leben.

Von Fabian P. Dahinten

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt ist simpel wie genial. Innerhalb einer Viertelstunde sollen die Bewohner:innen alle alltäglichen Dinge zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können. Dazu gehören Einkaufsmöglichkeiten, Parks, Restaurants, Cafés, Poststelle, Arztpraxen, Schulen, Bahnhöfe und selbst die Arbeitsstellen. Nicht die Menschen kommen zu den Parks, Geschäften und Schulen, sondern genau andersrum. Sie werden in die Stadtviertel verteilt.

„Das Modell der Stadt der kurzen Wege gibt es schon seit etwa vierzig Jahren. Sie bekommt gerade viel Aufmerksamkeit, da sie in Städten wie Kopenhagen, Paris und Barcelona umgesetzt wird“, erklärt Astrid Schmeing, Professorin für Städtebau und Stadtbaugeschichte an der Hochschule Darmstadt.

Twitter-Challenge: Was erreichst du in einer Viertelstunde?

Es gibt viele Trends in sozialen Netzwerken, manchmal mit sinnvollem Hintergrund manchmal ohne. Doch meist haben sie nicht viel mit Architektur und Stadtplanung zu tun. Daher habe ich mich direkt dazu hinreißen lassen bei der Challenge mitzumachen, bei der man anhand einer Liste aufzeigt, was man innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß erreichen kann.

Zu meiner Überraschung konnte ich alles abhaken. Ich lebe scheinbar schon in der Utopie der 15-Minuten-Stadt. Deshalb fällt es mir auch so leicht, ohne eigenes Auto auszukommen. Ich habe mich schon seit meinem Umzug über die ideale Lage gefreut, doch dass dies an der 15-Minuten-Stadt liegt, wurde mir erst durch die Twitter-Challenge bewusst.

Mehr Lebensqualität in der 15-Minuten-Stadt

Die Erreichbarkeit der wichtigsten Bedürfnisse innerhalb einer Viertelstunde senkt das Verkehrsaufkommen nachhaltig. Wieso sollte ich mit dem Auto zur Arztpraxis fahren, wenn ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad schneller bin?

Gerade in großen Ballungszentren, stehen die parkenden Autos an beiden Straßenseiten Spalier, während sich die bewegenden Blechkapseln hupend und heulend durch die verstopften Straßen quälen. Luftverschmutzung und Aufheizung unserer Lebensräume, statt schattenspendender Baumreihen mit im Wind wehenden Blättern und singenden Vögeln.

Zusammenrücken für kurze Wege

Vor 15 Jahren lebten noch etwa gleich viele Menschen in Städten und auf dem Land. Laut den Vereinten Nationen werden 2030 zwei Drittel der Menschen in urbanen Regionen wohnen. Werden die Städte noch enger? Ja, darin liegt sogar der Vorteil, denn wenn wir auf komprimierten Flächen leben, verbrauchen wir nicht so viel Fläche. Diese bleibt stattdessen für die Landschaft und Natur übrig. Durch dichte Städte wird erst möglich, dass ich alles Wichtige in 15 Minuten zu Fuß oder dem Rad erreichen kann.

Verdichtung statt Verbrauch neuer Flächen

„Die 15-Minuten-Stadt ist ein wichtiges Modell für ein nachhaltige Stadtentwicklung. Allerding ist das Modell kein Allheilmittel und muss mit anderen Modellen wie der biodiversen Stadt, der Schwammstadt, der begrünten Stadt zusammen gedacht werden“, so Astrid Schmeing. Sie hält das Konzept der 15-Minuten-Stadt für deutsche Siedlungsräume allein nicht für ausreichend: „Die Städte haben sich die letzten 50, 60 Jahren vollständig auf das Auto ausgerichtet und sind stark in die Fläche gegangen. Es braucht ergänzende Modell für die Zwischenstadt und den ländlichen Raum.“ Auch dort müsse man entsiegeln und umnutzen statt neu bauen. Es gelte, eine Funktionsanreicherung statt Monokulturen umzusetzen.

Jetzt wo die Aufmerksamkeit für eine andere Stadtentwicklung in der Gesellschaft da ist: Wer muss sie umsetzen? Astrid Schmeing verweist dabei auf die verschiedenen Stakeholder, die Eigentümer:innen in der Kernstadt, die oft wenig Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung haben und anderseits die Landwirtschaft, die eingebunden werden muss, um eine nachhaltige Stadtentwicklung auch außerhalb der Städte zu implementieren.


Fabian P. Dahinten studierte Architektur an der Hochschule Darmstadt, engagiert sich bei der Nachwuchsorganisation nexture+ und ist Sprecher der Nachwuchsmitglieder der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen.

Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Lorenz Hahnheiser und Luisa Richter.

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3 Gedanken zu „Die 15-Minuten-Stadt: Ich lebe die Utopie

  1. Wie wäre es, wenn Sie den Test mal nicht als junger gesunder Mensch machen? Wie wäre es sich mal in einen alten oder gehbehinderten Menschen zu versetzen? Oder jemand der zwingend auf ein eigenes Auto angewiesen ist?
    Selber komme ich in 15 Minuten gerade mal 20m weit. Da entwickelt sich die 15 Minuten Stadt zum Albtraum.

    Antworten
    • Ich habe diesen Test 2009/2010 gemacht – und daraus ein Konzept für eine 10-Minuten-Stadt (Reißbrett-Modell) entwickelt. Der 10-Minuten-Radius für gesunde Gehende betrug dabei ca. 800m, für Rollstuhlfahrer waren es 200m. Daraus ergaben sich Stadtteile in einem Hexagonalraster. Ich bin gespannt, ob Ihnen der Ansatz gefällt. Schauen Sie gerne mal rein:

      Antworten
  2. Ist im Prinzip ja nicht falsch, alle Dinge des täglichen Bedarfs möglichst kurz erreichbar zu machen. Wir neigen bei manchen guten Ideen dann aber immer gleich dazu, zu überteiben und damit dann das Kind im Bade auszuschütten. Wie groß ist denn dieser Radius? Wie viele Menschen leben innerhalb des Radius und ist es wirklich möglich, für alle alle Bedürfnisse abzudecken? Müssen wir auch die Arbeitsstelle einbeziehen? Bei der heutzutage üblichen Fluktuation kann das nicht funktionieren, sollen denn alle Berufe und Berufsgruppen mehrfach abgebildet werden?
    Und: wenn man praktisch im normalen täglichen Geschäft gar nicht mehr wo anders hin muss, wird das Ganze doch zum Ghetto!
    Führt das nicht auch zu einer neuen Art von „Inzest“ wie ganz früher auf’m’dorf? 😉

    Antworten

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