DABonline | Deutsches Architektenblatt
Menü schließen

Rubriken

Services

Menü schließen

Rubriken

Services

Zurück
[ Nachwuchs-Kolumne #109 ]

Originalität: Stehlen in der Architektur

Neben der Aufregung, den Mitstudierenden sein Konzept zum ersten Mal zu präsentieren, schwingt manchmal auch die Angst mit, Kommiliton:innen könnten die eigene Idee stehlen. Doch existiert Originalität überhaupt? Woher kommen Ideen, woher kommt Inspiration und muss Stehlen zwangsläufig immer etwas Schlechtes sein?

Hand an Puzzleteilen, die in einer angedeuteten Glühbirne liegen, dem Symbol für eine gute Idee
Jede gute Idee basiert auf Teilen anderer Ideen, wo fängt da das Stehlen an?

Von Johanna Lentzkow

Ein kurzer Blick in die Architekturgeschichte verrät, dass Stehlen eigentlich schon immer zum Geschäft gehört hat. Brunelleschi nahm sich beispielsweise die Proportionen der antiken römischen Baudenkmäler zum direkten Vorbild für viele seiner Bauten. Auch bei Palladio könnte man behaupten, er stahl, indem er die fünf antiken Säulenordnungen als architektonische Problemlösung heranzog. Und auch dieser wurde wiederum von Le Corbusier kopiert, der Bezug auf die Proportionen und die innere Struktur von Palladios Villen nahm. Gibt es also überhaupt so etwas wie Originalität?

„Nothing is original“ – Jim Jarmusch

Filmproduzent Jim Jarmusch gibt hierauf eine eindeutige Antwort: „Nothing is original. Steal from anywhere that resonates with inspiration or fuels your imagination. (…) Select only things to steal from that speak directly to your soul. If you do this, your work (and theft) will be authentic. Authenticity is invaluable. Originality is non-existent.“

Ziel ist also weder das Erreichen von Originalität noch das Stehlen per se. Jarmusch proklamiert hier nicht das ethisch schlechte Stehlen, das darin resultiert, sich mit der Arbeit anderer zu schmücken. Stattdessen spricht er von der wahren Essenz der Kreativität: der Prozess, in dem wir alle unsere Erfahrungen und „Gedankenvokabeln“, die Summe aller Dinge, die wir in unserem Gedächtnis verarbeiten, in unser Werk einfließen lassen.

Auf die Architektur übertragen geht es darum, für all die Probleme, die im Entwurfsprozess auftreten, geeignete Lösungen zu finden und sie beispielsweise in dem „Puzzle“ Grundriss zu einem fundierten architektonischen Plan werden zu lassen. Die Inspiration für ebendiese Lösungen finden wir überall: in der Natur, in Gesprächen, in Kunst, Filmen, Architektur, Wolken, Büchern, Eindrücke während des Reisens, Kontraste, überraschende Kombinationen von Licht, Farbe, Material – der Aufzählung sind keine Grenzen gesetzt.

Emotionale Distanz zum eigenen Projekt aufbauen

Ja, manche Projekte liegen einem mehr am Herzen und man ist manchmal so überzeugt von der Idee, dass man sie fast beschützen möchte. Wenn man jedoch einen Schritt zurück wagt und beginnt, die Idee aufzuschlüsseln, dann sind die Bestandteile vielleicht gar nicht mehr so originell, wie sie auf den ersten Blick wirken. Der eigene Entwurf ist immer ein Produkt aus persönlichen Erfahrungen und ihn in Relation zu setzen hilft, um sich aus lauter Angst vor dem Klau die Möglichkeit des gerade im Studium so wertvollen Feedbacks nicht zu verbauen. Wie viele Türen einem ein unvoreingenommener Blick der Mitstudierenden schon geöffnet hat, Probleme gelöst hat, über denen man schon tagelang gegrübelt hat.

Stehlen wir also!

Es gibt in der Architektur keine Entwurfsformel, die als Antwort auf alle Probleme funktioniert. Jede architektonische Herausforderung erfordert ihre individuelle Lösung. Es geht darum, sich von Dingen inspirieren zu lassen, die für die Lösung des jeweiligen Problems geeignet erscheinen. Stehlen wir also! Lassen wir uns inspirieren von Dingen, die uns persönlich fesseln und bei denen wir es kaum abwarten können, sie auf unser Projekt anzuwenden und es somit qualitativ anzuheben! Authentizität ist das Ziel, nicht Originalität.

Jarmusch bringt es am Ende seines Zitats auf den Punkt: „In any case, remember what Jean-Luc Godard said: It’s not where you take things from – it’s where you take them to.“


Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.

Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Johanna Ziebart und Lorenz Hahnheiser.

Wie sind Eure Erfahrungen als Architektur-Studierende oder Berufseinsteiger? Hinterlasst uns einen Kommentar auf dieser Seite oder schreibt uns unterDAB-leserforum@handelsblattgroup.com

 

Schreibe einen Kommentar

Sie wollen schon gehen?

Bleiben Sie informiert mit dem DABnewsletter und lesen Sie alle zwei Wochen das Wichtigste aus Architektur, Bautechnik und Baurecht.

Wir nutzen die von Ihnen angegebenen Daten sowie Ihre E-Mail Adresse, um Ihnen die von Ihnen ausgewählten Newsletter zuzusenden. Dies setzt Ihre Einwilligung voraus, die wir über eine Bestätigungs-E-Mail noch einmal abfragen. Sie können den Bezug des Newsletters jederzeit unter dem Abmeldelink im Newsletter kostenfrei abbestellen. Nähere Angaben zum Umgang mit Ihren personenbezogenen Daten und zu Ihren Rechten finden Sie hier.
Anzeige