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[ Hochschulbau ]

Zeppelin Universität Friedrichshafen: Dialog im Zwischenraum

Die Flurschule ist so gut wie überwunden, doch im Hochschulbau passiert scheinbar ­wenig Neues. Ein ­kleiner Campus am Bodensee zeigt mit ­einem offenen, interdisziplinären ­Konzept, was eine Uni in digi­talen Zeiten leisten – oder besser: ermög­lichen – kann

Von Christoph Gunßer

Die Zeppelin Universität in Friedrichshafen versteht sich als Pionier-Hochschule. 2003 aus einer traditionellen Business-School hervorgegangen, gab sie sich ein betont reformpädagogisches Konzept. Als staatlich anerkannte, aber überwiegend von privaten Stiftern getragene Institution will sie ihre derzeit gut 900 Studierenden zu Führungskräften in Wirtschaft, Kultur und Politik heranziehen, indem sie gerade den Austausch zwischen den oft miteinander fremdelnden Disziplinen fördert.

Den Architekturwettbewerb für den zweiten, künftig zentralen Standort der Universität in einer ehemaligen Kaserne oberhalb der Stadt hatte die Uni entsprechend engagiert mit Workshops und Beratung durch Experten vorbereitet. Ihn gewannen 2012 Stephanie Kaindl und Paul Grundei von as-if Architekten aus Berlin mit einem außergewöhnlichen Raumkonzept, das sie durch die Leistungsphasen 1–7 und als künstlerische Oberleitung realisieren durften (Leistungsphasen 6–9: SOE Stinner & von der Oelsnitz, Stockach, Franz Stinner; Projektsteuerung: congena, München, Maren Puffert). Die Baukosten betrugen 25 Millionen Euro.

Das Runde im Eckigen

Als einziges der sieben eingeladenen Büros ließ as-if den u-förmigen Kasernenbau von 1936 intakt. Der zweistöckige Bau mit seinem hohen Ziegeldach, für feindliche Angreifer als gewöhnliches Gehöft getarnt, bietet die übliche Reihung von Stuben an langen Gängen – serielle Langeweile, für die Büros der Hochschule aber geeignet.

In den Hof jedoch, wo früher exerziert wurde, setzten die Architekten eine kommunikative Gegenwelt: einen zweigeschossigen Anbau – as-if nennen ihn „die Plattform“ –, in dem, abweichend vom Programm, die meisten Seminarräume Platz fanden, und zwar in schiefwinkligen Abteilen, deren Wände entweder verglast oder mit Tafelfarbe beschichtet sind, sodass sie beschrieben werden können. Für dieses „harmonisch und funktional sehr gelungene Zusammenfügen von alten und neuen Bildungsbauten“ wurde die Universität 2018 mit dem renommierten Deutschen Hochschulbaupreis ausgezeichnet.

Fluidum statt Flur: „Man sieht sich!“

Bruno Latour war es, der befand, dass Räume „schmutzig“ sein, also persönliche Spuren aufweisen müssen, um interessant zu sein. In diesem Sinne lassen sich hier die Benutzeroberflächen aneignen, was durchaus kreativ und witzig genutzt wird. Denn hier kommen wirklich alle vorbei.

Das Fluidum zwischen den Seminarräumen ist der zentrale Ort des Austauschs, der die vier Treppenhäuser des Altbaus verbindende Zwischenraum. „Man sieht sich“, lautet das interne Motto der Hochschule. Ist im Seminar mehr Konzentration nötig, lassen sich grüne Vorhänge zuziehen.

Ansonsten geht der Blick vom Altbau quer durch den Neubau ins Freie. Kleine eingestanzte Höfe, inzwischen begrünt, bringen Licht in die Tiefe des Gebäudes und wahren die Distanz zum Altbau. Damit die Zwischenräume offen bleiben und dort auch Möbel stehen können (also mögliche Brandlasten), wurde der Neubau-Teil des Gebäudes mit einer Sprinkler-Anlage ausgestattet. Den Schall auf den durchweg harten Oberflächen dämpfen Absorberstreifen in der Rippendecke, die zu Heiz- und Kühlzwecken aktivierend durchströmt wird. Aufgesetzte spröde Leuchtröhren betonen den gewünschten Werkstatt-Charakter.

Studierende mögen die Architektur

Zum Eingangshof im Norden präsentiert sich die Uni spektakulär abgerundet. Hier lassen sich die jungen Leute gern fotografieren, denn die Ansicht ist ikonisch beziehungsweise „instagramable“. Vor der Betonplattform hängt eine schimmernde Haut aus Zinkblech und Glas, die im Osten eine kühne Kurve zum Auditorium zieht. Die Architekten wollten mit der straff und gespannt wirkenden Haut einen Bezug zur örtlichen Industrietradition herstellen. Immerhin wurden hier Luftschiffe, Flug- und Fahrzeuge gebaut. Grundei nennt aber auch das Rolex Learning Center in Lausanne von Sanaa als ein Vorbild dieser neuen Stromlinienmoderne.

Nach fünf Jahren ist die Oberfläche bereits matt patiniert und hat eine fast steinerne Anmutung. „Wir spielen gern mit Wahrnehmungsverschiebungen“, sagt Paul Grundei von as-if, was ja „als ob“ heißt. Vielleicht liegt es an dieser subtilen Ambivalenz, dass die Uni noch keinen Spitznamen bekommen hat.

Die andere neue Fassade ist das begehbare Dach des Neubaus, landschaftsarchitektonisch gestaltet vom Berliner Atelier le balto. Zwischen den mächtigen alten Dächern der Kaserne, die nur durch ein paar blecherne Gauben geliftet wurden, gibt es auch hier einen amöbenartig wabernden Freiraum mit vielen Möglichkeiten. Auf dieser Ebene liegen im Altbau weitere Seminarräume, diese rechteckig, dafür mit Seeblick, der sonst im Haus etwas zu kurz kommt.

Ein historisch belasteter Ort

Der Altbau blieb in seiner Struktur und in vielen soliden Details zwar unverändert (Ziegelböden, Granitstufen, Treppengeländer bis hin zu Gewehrnischen), bekam indes einen neuen Anstrich auf den schrundigen Putz und die Gewände – in Silber, zur besseren Korrespondenz mit dem Neubau, wie es heißt. „Wir wollten das historisch belastete Gebäude abstrahieren und verfremden“, erläutert Paul Grundei. Ein wenig erinnert das an Christos Verhüllungen. Wer die Vorgeschichte nicht kennt, findet den Glamour wohl eher unpassend, wie auch die dunklen Kunststofffenster.

Dennoch kam das Gebäude im Vergleich zu den zwei benachbarten Kasernen, die von anderen Bildungseinrichtungen genutzt werden, glimpflich davon. Dort wurde rigide entkernt, wurden die Dächer durchbrochen und neu eingedeckt (in Schwarz!) – es gibt keinerlei Spannung von Alt und Neu mehr. Bei der noch anstehenden Dachsanierung des Altbaus der Zeppelin Universität sollte die alte Dachdeckung mit ihrer Patina deshalb unbedingt erhalten bleiben.

Ambitionierte Kunst am Bau

Ist schon der Campus an sich als „soziale Plastik“ im Beuys’schen Sinne konzipiert, so leistet sich die Uni zusätzlich ein ehrgeiziges Kunstprogramm mit eigener Kuratorin. Als klassische Kunst am Bau wäre der farblich ziemlich krasse, aber en passant erträgliche Anstrich der alten Treppenhäuser zu nennen. Darüber hinaus gibt es einen Raum für Wechselausstellungen und temporäre Installationen in den Zwischenräumen. Dialog soll so auch mit aktueller, irritierender Kunst entstehen.

Der Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis stupst die Studierenden in diese Richtung. Professorin Karen van den Berg als treibende Kraft hinter dem Uni-Konzept fördert Initiativen in der lokalen Öffentlichkeit, etwa mit Museen und den Geflüchteten aus einer Einrichtung im Kasernengelände. „Wir sind sehr offen gegenüber der Stadt“, sagt van den Berg und betont: „Wir sind keine abgeschottete Business-School.“ Die Studierenden beschreibt sie als politisch engagiert. Obwohl der Semesterbeitrag weit über 4.000 Euro beträgt, gebe es eine gute Mischung zwischen „Rasta-Locken und Ralph Lauren“, wie sie es ausdrückt. Die Uni vergibt auch Stipendien, und ausgewählt werden die Studierenden hier nicht nach Numerus clausus, sondern im persönlichen Gespräch. Man möchte Menschen mit Ecken und Kanten, die sich einbringen, heißt es.

Intensive Betreuung statt Vorlesungen

Denen scheint die Architektur nicht zu glatt zu sein. Die Bewerbungszahlen sind jedenfalls sehr hoch, und im Ranking der deutschen Hochschulen steht die „ZU“ regelmäßig ganz oben – vor allem wegen der intensiven Betreuung. So gibt es hier keine klassischen Vorlesungen. Alles spielt sich im persönlichen Rahmen mit maximal vierzig Studierenden ab. Die sollen vor allem selbst aktiv werden: Es existieren weit über einhundert studentische Initiativen. „Be innovative!“ ist mit Kreide auf einer der Wände geschrieben.

Dass Sponsoren und Mäzene die Innovation in irgendeiner Form einschränken, schließen alle Befragten aus. Seit die staatlichen Universitäten von Drittmitteln abhingen, sei dort die akademische Freiheit auch nicht größer als an privaten Hochschulen.

Eine Bühne für das Campus-Leben

Der Campus ist rund um die Uhr geöffnet, und er wird wie eine Bühne bespielt. Die fast barock anmutende Treppe im Eingangsbereich erlebte schon Yoga-Übungen. Ständig gibt es Darbietungen, Feste oder Gastvorträge. Im unrenovierten Teil des Altbaus richteten Studierende Co-Working-Spaces und ein Fitness-Studio ein.

Die Corona-Maßnahmen schränken das Campus-Leben allerdings gerade in den so wichtigen Zwischenräumen ein. Sie gelten als Verkehrsflächen, sind also maskenpflichtig. Man sieht sich dann nicht mehr so richtig. Derzeit läuft nach dem Lockdown wieder der Präsenzbetrieb. Achtzig Prozent der Veranstaltungen finden statt. Gewiss gehen die jungen Leute auch mit den Regeln kreativ um.

Viele hoffen, dass der Rest des zwanzig Hektar großen Kasernen-Areals ähnlich bunt und weltoffen zum Leben erweckt wird. Vis-à-vis hält sich eine gepflegte Wagenburg. Daneben baut die Duale Hochschule, die bereits die benachbarte Kaserne nutzt, gerade einen kantigen Neubau. In einer anderen, unrenovierten Kaserne finden im Hof Kulturveranstaltungen statt. Ansonsten sind im Alltag viele Freiräume zugeparkt. Der Campus liegt stadtnah im Grünen, ist aber bislang eher schlecht angebunden. Es gibt hier weiterhin viel Innovatives zu tun.

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Lernen.

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