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Schöne Kisten braucht das Land

Logistikzentren, Fertigungsgebäude und Lagerhallen müssen nicht langweilig sein: Gestalterische Phantasie verwandelt auch solche Zweckbauten in Architektur

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Weder Ort noch Landschaft: Die großflächigen Logistikzentren, wie hier von Amazon in Werne/ Lippe, sind Unorte ohne gestalterische Qualität.

Text: Cornelia Dörries

Wer etwas über Architektur und Logistik erfahren will, muss Amazon besuchen. Der Internethändler ist in dieser Branche unbestrittener Markttreiber und unterhält allein in Deutschland sieben Logistikzentren, von denen das größte in Werne/ Lippe nordöstlich von Dortmund liegt – früher lagerten hier Ikea-Möbel. Mit seinen 138.000 Quadratmetern ist es so groß wie 19 Fußballfelder. Der von breiten Zufahrtsstraßen gerahmte Warenumschlagplatz erstreckt sich als dystopisches Gefüge in das lippische Grün – farblose, blickdichte Kisten, so weit das Auge reicht. Die banale Zweckmäßigkeit wird durch die schiere Größe zu einem Wesensmerkmal des ganzen Ortes: Der Flächenfraß der Hässlichkeit macht der Landschaft den Garaus.

Die Logistikbranche gehört mit einem Jahresumsatz von gut 225 Milliarden Euro (2014) zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftszweigen in Deutschland. Diese Zuwachsraten spiegeln sich auch in einer regen Bautätigkeit wider. Landauf, landab entstehen neue Warenverteil- und Lagerflächen. Den Erhebungen des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) zufolge setzt sich der Trend zu größeren Betrieben fort. Schon jetzt verfügt ein Anbieter im Durchschnitt über Flächenkapazitäten von mehr als 10.000 Quadratmetern. Tendenz steigend. Grund für die Zunahme ist das veränderte, flexibilisierte Bestellverhalten in Industrie und Handel: Just-in-time-Bedarfsdeckung sowie bestandslose Warenverteilung erfordern effiziente Lager- und Transportstrukturen. Doch obwohl die dynamische Entwicklung dieses Wirtschaftszweigs auch das Weichbild von Städten und Regionen gravierend verändert, findet keine gründliche Auseinandersetzung mit den landschaftsprägenden ästhetischen Folgen dieses Booms statt. Einzelne Beispiele beweisen, dass sich auch großvolumige Logistik- und Gewerbebauten funktional wie architektonisch gewissenhaft planen lassen.

Naturkost-Mikado

Für die Bio-Lebensmittelkette Alnatura aus dem hessischen Bickenheim musste ein bestehendes Verteilerzentrum im benachbarten Lorsch um ein neues Hochregallager ergänzt werden. Dem Selbstverständnis des Bauherrn entsprechend, sollte ein ökologisches, nachhaltiges Gebäude entstehen, das freilich auch allen Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und logistische Effizienz genügen musste. Das mit dem Entwurf beauftragte Büro BFK Architekten aus Stuttgart plante ein voll automatisiertes Hochregallager – aus Holz.

Das 2013 fertiggestellte Gebäude ist die weltweit größte vollständig aus Holz gefertigte Logistikimmobilie. Weil er auf den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen bestand, nahm der Bauherr auch Kosten in Kauf, die aus Materialgründen um 40 Prozent höher liegen als die von herkömmlichen Stahlkonstruktionen. Zudem waren besondere Vorkehrungen beim Brandschutz erforderlich. Auch wenn Holz im Brandfall eine höhere Tragfähigkeit hat als Stahl, mussten insgesamt 22.000 Sprinkler installiert werden. Die Halle selbst ist 125 Meter lang, 67 Meter tief und 19,5 Meter hoch und ruht auf einer Betonplatte. Sie birgt insgesamt 1.296 hölzerne Hochregale, die in Blöcken zu je vier Elementen zusammengefasst und montiert wurden.

Dass optisch ansprechende Architektur ja immer auch Ingenieurkunst ist, belegt die statische Finesse dieses Projekts: Die einzelnen Regalblöcke mit den Abmessungen 12,4 Meter mal 0,96 Meter mal 19,5 Meter sind an den Stoßkanten kraftschlüssig miteinander verbunden, sodass die gesamte Konstruktion ohne zusätzliche Aussteifung auskommt und die gesamte Regalfläche für Lagerzwecke zur Verfügung steht. Das Holz ist PEFC-zertifizierte Fichte aus nachhaltiger Forstwirtschaft aus Deutschland und Österreich. Durch die Verarbeitung als Brettschichtholz kann es nicht quellen, doch wirkt, dank seiner Fähigkeit, geringe Feuchtigkeitsmengen aufzunehmen und abzugeben, auch klimaregulierend. Und als wären dies alles für einen schlichten Zweckbau nicht schon genug gute Eigenschaften, ist er auch noch richtig schön.

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Glanzleistung: Der Firmensitz einer Deko-Firma in Unterfranken schmückt mit seiner Metallfassade ein Gewerbegebiet.

Präzisionswerkstück

Seit 85 Jahren produziert und entwickelt das Familienunternehmen Philipp Hafner aus Fellbach bei Stuttgart Feinmesstechnik. Mit so viel Erfolg, dass die Firma schon mehrmals umziehen oder Gebäude erweitern lassen musste. Der neue, im Juni 2015 bezogene Firmensitz vereint nun Entwicklung und Produktion unter einem Dach. Der Entwurf für diesen Bau ging aus einem Wettbewerb hervor, den das Kölner Büro gernot schulz architektur für sich entschied. Aus gutem Grund. Denn mit dem neuen Gebäude entstand so etwas wie ein identitätsstiftender Hybrid, der anders als die üblichen Verdächtigen im Gewerbegebiet weder große Signets noch bunte Fahnen braucht. Dass hier ein Unternehmen residiert, dem es auf Präzision, Klarheit und unbestechlichen technischen Sachverstand ankommt, sieht man nämlich schon dem Haus selbst an. Die Metallfassade lässt den kantigen Baukörper wie ein Werkstück erscheinen, das direkt aus der CNC-Fräsmaschine kommt. Wie unterschiedlich Metall aussehen kann, zeigt die differenzierte Gestaltung der Gebäudehülle mit ihren gefrästen, polierten oder geschliffenen Flächen.

Auch wenn das Gebäude, ähnlich wie normale Gewerbe- und Produktionshallen, keine Rückschlüsse auf die innere Struktur zulässt, hat sie mit den standardisierten Kisten optisch nichts gemeinsam. Zu verdanken ist dieser Distinktionsgewinn der sogenannten Kommunikationsfuge, die den Neubau auf ganzer Länge durchzieht und alle Abläufe im Inneren sichtbar werden lässt. Im Erdgeschoss befinden sich mit Kantine, Fitnessbereich sowie Veranstaltungsraum die kommunikativen Zonen, die dank der offenen Blickbeziehungen innerhalb des Hauses jedoch nicht vom Geschehen auf den anderen Ebenen abgekoppelt sind.

Dass man es mit einer industriellen Fertigungsstätte zu tun hat, verrät eigentlich nur das klassische Sheddach, unter dem sich der weitläufige Produktionsbereich befindet. Genau genommen wollte der Bauherr auch nichts anderes als einen Zweckbau für Verwaltung, Entwicklung und Herstellung – nur eben in guter Architektur.

Dekorativ im Gewerbegebiet

Es wäre vermutlich kein gutes Signal an Kunden und Geschäftspartner gewesen, wenn ausgerechnet ein Hersteller von Wohnverschönerungs- und Dekorationsartikeln an seinem neuen Logistikstandort mit einer handelsüblich öden Halle zufrieden gewesen wäre. Doch die Firma Gries Deco Company (GDC) aus dem unterfränkischen Niedernberg zeigte auch als Bauherr Sinn für den wohlinszenierten Auftritt und beweist mit einem ungewöhnlichen Neubau, dass Architektur selbst in einem gesichtslosen Gewerbegebiet möglich ist. Das vom Büro netzwerkarchitekten aus Darmstadt entworfene Ensemble, bestehend aus Logistikzentrale, Verwaltungstrakt und Parkhaus, ersetzt unter anderem das alte Verteilzentrum, das schon 2010 an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen war. Der neue Standort integriert somit alle Funktionen des Unternehmens in einem Komplex und hebt sich von seiner tristen Umgebung durch eine durchdachte, gestalterisch und städtebaulich gleichermaßen ambitionierte Planung ab. Die einzelnen Baukörper formieren sich zu einem Firmencampus, der von einem strukturierten Grünraum umgeben ist. Die Mitte des Areals nimmt das Verwaltungsgebäude ein, das zwischen dem Kommissioniertrakt und dem über einen Tunnel verbundenen Hochregallager vermittelt. Die Kiste als ästhetisch prägendes Grundelement der Logistik inspirierte auch den Entwurf für die insgesamt 27.000 Quadratmeter große Fassadenfläche: Sie wurde als grafische Abstraktion übereinandergestapelter Kartons gestaltet. Über unterschiedlich große, rechteckige Fassadenteile, teilweise aus Edelstahl und Glas, wurde das Geschehen von innen mit den unzähligen Warenkisten als Bild nach außen getragen. Damit gelang den Architekten gleich ein Doppelschlag: Zum einen löste sich das ungeheure Volumen der Baukörper in einer gut verdaulichen, kleinteiligen Optik auf, zum anderen fällt durch den partiellen Einsatz von Glasmodulen auch ungewöhnlich viel Tageslicht in den Kommissionierbereich. Natürliches Licht spielt auch für die Außenwirkung des Hauses eine wichtige Rolle. Denn die metallische Fassadenoberfläche mit ihren unterschiedlich reflektierenden Materialien lässt das Gebäude gerade in der Dämmerung wie eine riesige Spiegel-skulptur erscheinen: Baukunst im Gewerbegebiet.


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