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[ Schwerpunkt: Natürlich ]

Beispiellos – aber auch beispielhaft?

Als „InnovationCity Ruhr“ soll Bottrop bis 2020 zur Modellstadt für Energieeffizienz werden. Architekten spielen dabei aber kaum eine Rolle.

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Text: Nils Hille

Eigentlich müsste es eine Goldgrube sein – für alle aus der Region, die sich mit Bauen, Wohnen und Leben im urbanen Raum beschäftigen. Denn ­Ziele und Zahlen des Projekts „InnovationCity Ruhr“ (ICR) sind ehrgeizig und beeindruckend. Da soll ein 25 Quadratkilometer großer Teil der Ruhrgebietsstadt Bottrop mit rund 70.000 Einwohnern schon bis 2020 das schaffen, was die Bundesregierung für ganz Deutschland erst bis 2050 vorgesehen hat: die Reduktion der CO2-Emissionen um die Hälfte. Die 14.474 bestehenden Gebäude auf der Bottroper Fläche müssten so eigentlich zu einer Sanierungs-Auftragswelle für örtliche Architekten führen. Doch unter diesen herrscht statt Aufbruch- oder gar Goldgräberstimmung meist Ernüchterung – wenn sie sich überhaupt mit der ICR beschäftigen.

Der Start im Jahr 2010 war vielversprechend. Und auch die allgemeine Bilanz, die sich nun nach der ersten Halbzeit ziehen lässt, kann sich sehen lassen: Das Energieeffizienz-Ehrgeizprojekt umfasst mittlerweile laut dem Koordinator Innovation City Management GmbH (ICM) rund 200 Einzelprojekte – von der Installation von hundert neuen, stark geförderten und dadurch preislich attraktiven KWK-Anlagen bis zum kostengünstigen Verleih von ­E-Fahrzeugen.

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Modellstadt in der Stadt: Rund 70.000 Bottroper wohnen in dem 25 Quadratkilometer großen Teil der Ruhrgebietsstadt, der die InnovationCity Ruhr bildet (rot markiert)

Vorangegangen war ein Masterplan unter renommierter Federführung. Das ­Planungsbüro AS&P – Albert Speer und Partner aus Frankfurt formulierte Ziele, definierte 300 Maßnahmen und integrierte Vorschläge aus sechs Bürger- und Planungswerkstätten sowie einer Online-Ideenbox, an denen sich die Bottroper beteiligen konnten. Vor einem halben Jahrzehnt fand dann der offizielle Start der angestrebten Wandlung von der unauffälligen Ruhrpott-Stadt zur Vorzeige-City statt.

Seitdem verfolgen die Projektsteuerer das Grundkonzept „Energiewende von unten“. Sebastian Bittrich von ICM erklärt: „Das soll heißen, dass alle Bürger Akteure des Klimaschutzes sind. Haushalte, die bisher nur Energieverbraucher waren, werden nun auch zu Energieerzeugern.“ Dieses Ziel wollen die Projektsteuerer unter anderem durch Technologien wie Kraft-Wärme-Kopplung, Stromspeicher und erneuerbare Energien erreichen. Eine intelligente Vernetzung soll dann dazu führen, dass sich möglichst viele Gebäude untereinander versorgen können.

Energieberatung für alle

„Energiewende von unten“ bedeutet aber auch, dass die Bürger motiviert werden müssen, in ihrem Eigenheim etwas zu verändern – und dafür eigenes Geld in die Hand zu nehmen. Dazu bietet ICR eine kostenlose Energieberatung an, die mittlerweile laut dem Projektsteuerer rund 1.600 Bottroper in Anspruch genommen haben. Zudem gibt es Fördermittel von Stadt, Land und EU, die ebenso aktivieren sollen. Diese Maßnahmen scheinen zu fruchten.

Eine konkrete Zwischenbilanz veröffentlicht ICR zwar erst wieder im Herbst dieses Jahres. Geschäftsführer Burkhard Drescher verweist aber stolz auf die bisher erhobenen Zahlen: „Zum 31.12.2013 hatten wir eine energetische Modernisierungsrate von 7,82 Prozent der Gebäude. Bundesweit lag diese dagegen nur bei 0,9 Prozent.“ Wenn diese Entwicklung so weitergehen sollte, könnte das Teilgebiet Bottrops wirklich zur Modellstadt werden – und das international. Schon heute interessieren sich nicht nur andere deutsche Städte für das Konzept. Von den bisher 200 Besuchergruppen kamen 70 aus dem Ausland. Besonders chinesische Delegationen zeigen Interesse an der deutschen Einspar-Wunderwelt.20-23 Artikel3

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Kooperationspartner sei Dank: Der Bau eines Plusenergiehauses mit sechs öffentlich geförderten Wohneinheiten von Strelzig + Klump war nur mithilfe von Sondermitteln zu finanzieren.

Sie alle erleben eine Aufbruchsstimmung an vielen Stellen in der Stadt. Doch sie alle erleben kaum die Kompetenz deutscher Architekten. Denn ICR scheint für Heizungsbauer und andere Handwerker ein gutes Geschäft zu sein. Architekten dagegen schauen meist in die Röhre. Die Zahlen sind mehr als ernüchternd: Von den 113 allein in Bottrop laut Online-Tabelle der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen gelisteten Architekten tauchen gerade mal zwei in der offiziellen Liste des ICR-Partnerschaftsnetzwerkes auf. Hinzu kommen noch zwei aus der Nachbarstadt Duisburg – das war es dann auch schon.

Vier Architekten für mehrere Tausend potenzielle Bauherren? Das könnte ja zumindest diesen Büros ein grandioses Geschäft ermöglichen. Doch Fehlanzeige: Spricht man mit den Inhabern, erklingt zunächst zwar immer Lob für die gute Grundidee. Deutlich mehr versprochen von dem Vorzeigeprojekt hatten sich aber die meisten von ihnen. „Die Partnerschaft wurde nie mit Leben erfüllt. Da lassen sich keine Aufträge draus ziehen“, sagt einer, der lieber nicht namentlich genannt werden möchte. Und erklärt: „Wenn die Bottroper dazu ermuntert werden, nur zwei Fassaden zu dämmen oder ihren Kessel auszutauschen, dann spielen wir als Architekten auch keine Rolle.“ Das große Ganze und somit die Chancen einer nachhaltigen Sanierung mit Gestaltungsanspruch stünden nicht im Fokus des Projekts.

Das bestätigt ein weiterer Architekt, der die Partnerschaft höflich als „keine große Aufgabe“ für sein Büro bezeichnet. „Es sind zwar ehrgeizige Ziele, die aber größtenteils nicht mithilfe von Architekten ­erreicht werden. Da spielt die beteiligte Industrie die eigentlich entscheidende Rolle.“ Er deutet damit die rund 50 Partner­unternehmen an, unter ihnen die Dämmstoffhersteller Deutsche Rockwool und Evonik sowie die Heizungssystemproduzenten Stiebel Eltron, Vaillant und Viessmann.

Bisher bleiben der Stadt aber auch gestalterische Negativfolgen weitgehend erspart: Von einer Dämmstoff-Flut an den Häusern ist im Stadtbild nichts zu sehen. Hauptthema der bisherigen Sanierungen ist offenbar die Haustechnik. ICR-Geschäftsführer Drescher betont jedoch die Offenheit für alle potenziellen Mitspieler: „Es gibt neben dem Industrienetzwerk auch ein Handwerker- und Architektennetzwerk. Ich erlebe, wie sich örtliche Architekten bemühen. Sie kommen auf uns zu und möchten mit ihrer Arbeit auch zu einem unserer Projekte werden.“ Viel Konkretes lässt sich darüber nicht erfahren.

Ein Büro – zwei Aufträge

Doch zumindest ein Beispiel für dieses Zusammenspiel gibt es, das Drescher und seine Mitarbeiter der ICM gerne erwähnen: das Bottroper Architekturbüro Strelzig + Klump. Zwar ist das Büro, wie Inhaber Michael Klump betont, vor allem „aus Lokalkolorit als Partner dabei und weniger, weil wir uns versprechen, dadurch Geld zu verdienen“. Doch es konnte erfreulicherweise auch schon einen konkreten Auftrag unter der ICR-Flagge umsetzen. Für das städtische Wohnungsunternehmen GBB stellten Strelzig + Klump gerade ein Plusenergiehaus mit sechs öffentlich geförderten Familienwohnungen fertig.

Dies war nur zu finanzieren, weil für das Gebäude auch Geld aus Sondertöpfen des Landesministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr zur Verfügung stand und die GBB tiefer als üblich in die Tasche griff. Klump: „Ohne Sondermittel wäre das gar nicht machbar gewesen. Der Oberbürgermeister hatte mir gesagt, er wolle auch endlich etwas haben, was er den ausländischen Besuchern konkret zeigen kann.“ Bald kann er ein zweites Projekt präsentieren. Eines unter realistischeren Bedingungen: die energetische Sanierung einer Siedlung mit gut 100 Wohneinheiten. „Hier konnten wir die Anforderungen der KfW für ein Effizienzhaus 55 erfüllen und deren klassische Fördermittel reichten zur Realisierung aus.“

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