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[ Serie Bauen im Bestand: Dachaufstockung ]

Leicht aufgesetzt

Bauen im Bestand, Teil XIII: Wohnhäuser, Schulen, Bürobauten – auf immer mehr Gebäuden wird aufgestockt, und der Holzbau macht’s möglich

Text: Wolfgang Huß

Foto: Bruno Klomfar
Kaufhaus: zweigeschossige Wohnanlage auf einem Kaufhaus in Dornbirn (Foto: Bruno Klomfar)

Auf den wachsenden Bedarf an Wohnraum oder Gewerbeflächen in Ballungszentren wird mit Nachverdichtung reagiert. Inzwischen ist der Begriff sogar als verbindliche Strategie im Baugesetzbuch verankert. Da unbebaute Grundstücke und Baulücken in innerstädtischen Gebieten zunehmend verknappen, werden Gebäude vermehrt aufgestockt. Bis vor wenigen Jahren wurde das mit einem eingeschossigen Aufbau, meist auf Wohnhäusern, assoziiert. Inzwischen hat sich die Bandbreite stark erweitert.

Aufstockungen können die gleiche Nutzung wie der Bestand beherbergen, aber auch unabhängig von diesem funktionieren. Ein Beispiel dafür entstand im österreichischen Dornbirn, wo die Architekten Hermann Kaufmann auf einem Kaufhaus mit aufgesetztem Parkgeschoss eine eigenständige Wohnwelt schufen.

Die Möglichkeiten der Aufstockung reichen vom untergeordneten Aufbau über den Dachstuhlersatz, die Erweiterung um ein Geschoss bis hin zu mehrgeschossigen Strukturen, die zuweilen dem Bestandsgebäude nur noch die Bedeutung eines Gebäudesockels zugestehen. Anfangs- und Endpunkt dieser Skala repräsentieren zwei Projekte der Schweizer Architekten burkhalter sumi: Das Penthouse auf der Konzernzentrale eines Unternehmens in Winterthur ergänzt das Bestandsgebäude um einen exklusiven Besprechungsbereich mit umlaufender Dachterrasse. In Zürich wird ein zweigeschossiger Bestandsbau, der nach dem Umbau Büroräume aufnimmt, um vier neue Wohngeschosse erweitert.

Vorteile durch Vorfertigung

Bestandsgebäude verfügen meist nur über begrenzte Tragwerkreserven. Für Aufstockungen sind daher leichte Holzkonstruktionen üblich. Hierfür eignet sich das volle Spektrum verfügbarer Systeme. Vorherrschend ist der Holzrahmen- bau – wegen seines geringen Eigengewichts und der Vereinigung von Trag- und Dämmschicht in einer Ebene. Außerdem ermöglicht die auf maximale Vorfertigung ausgelegte Bauweise eine kurze Bauzeit, meist sogar die Montage bei laufendem Betrieb. Wie gut das in der Praxis funktioniert, hängt vom Maß an Eingriffen in den Bestand und von der Qualität der Bauprozessplanung ab. Oft werden die Möglichkeiten der Prozessoptimierung noch nicht voll ausgeschöpft. Um die Bauphase zu verkürzen und damit dem Nutzer einen erheblichen Vorteil zu sichern, muss vorher Zeit und Geld für eine penible Bestandsaufnahme aufgewendet werden. Diese umfasst eine Analyse der bestehenden Tragstruktur bis hin zu Fundamenten und Bodenbeschaffenheit, die Erfassung der Bestandsgeometrie durch ein detailliertes verformungsgerechtes Aufmaß, eine Inventur der haustechnischen Anlagen und Leitungen und die Untersuchung der obersten Geschossdecken auf ihre bauphysikalischen Eigenschaften. Werden diese Erkenntnisse vor dem Beginn des Montageprozesses vollständig zusammengetragen, ist ein hoher Vorfertigungsgrad möglich.

Das Bestreben in der Planung sollte darin bestehen, die Schnittstelle zum Bestand so weit wie möglich zu vereinfachen und komplexere, in sich abgeschlossene Konstruktionen als vorgefertigte Module einzusetzen. Im Rahmen des Forschungsprojektes „smartTES” (Info „Holzbau-Forschung“ am Ende des Artikels) wurden Systeme entwickelt, die ausschließlich mit Raumzellen operieren. Hierbei erfolgt die Lastabtragung auf den Bestand über Tragroste. Allerdings schränken die vorgegebenen Transportgrößen die entwurfliche Freiheit ein. Dieses Problem ließe sich durch kleinere, gut transportierbare Raumzellen für spezielle Bereiche wie Bäder und Küchen lösen. Kombiniert mit großflächigen vorgefertigten Wand- und Dachelementen wären so auch größere Raumstrukturen möglich.

Im Idealfall reichen Statik, Erschließung und Installationen des Bestands aus und lassen sich für die Aufstockung übernehmen. Die Bauaufgabe kann aber auch erfordern, all das zusätzlich zu schaffen oder zu verstärken. Soll der Grundriss unabhängig vom Bestand gestaltet werden, dann lässt sich eine gewisse Freiheit, zum Beispiel durch eine ausreichende Aufbauhöhe der neuen Decke, erreichen. Innerhalb dieser Konstruktion können dann statische Lastumlenkungen erfolgen und Sanitärleitungen frei verlegt werden. Wird parallel zur Aufstockung die Fassade mit vorgefertigten Holzrahmenelementen modernisiert, können die Installationsleitungen in der Modernisierungsfassade weitergeführt werden, so dass der Bestand ganz von dieser Aufgabe entbunden und der Nutzer weniger beeinträchtigt wird.

Baurechtliche Anforderungen

Foto: Heinrich Helfenstein; Stefan Möller-Naumann
Bürogebäude: Penthouse auf einer Konzernzentrale in Winterthur (Foto: Heinrich Helfenstein; Stefan Möller-Naumann)

Baurechtlich können die gleichen Situationen vorliegen wie bei jedem anderen Bauprojekt: Befindet sich das Grundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, müssen dessen Bestimmungen erfüllt oder Abweichungen und Befreiungen genehmigt werden. Ansonsten sind Art und Maß der baulichen Nutzung der näheren Umgebung ausschlaggebend. Es empfiehlt sich eine Kontaktaufnahme mit der Genehmigungsbehörde im Vorfeld und häufig die Klärung durch eine Bauvoranfrage.

Werden durch das Bauvorhaben Abstandsflächen unterschritten, kann die Behörde das Vorhaben ohne Zustimmung der Nachbarn genehmigen, wenn Belüftung, Belichtung und Rettungswege durch eine Erweiterung nicht eingeschränkt werden. Die Landesbauordnungen lassen bei Aufstockungen verschiedene Interpretationen hinsichtlich der Brandschutzanforderungen an die Bauteile zu: Je nach Einordnung als Dach oder Außenwand beziehungsweise Geschossdecke variieren die Anforderungen an die Gebäudehülle von gar keinen Anforderungen an den Brandwiderstand bis zu feuerbeständig (REI 0 bis REI 90). Der Einsatz von Holzkonstruktionen als Tragkonstruktion ist bis zur Gebäudeklasse 4 möglich. In Gebäudeklasse 5 muss derzeit auf hybride Konstruktionen mit Primärstrukturen aus nichtbrennbaren Baustoffen zurückgegriffen werden, es sei denn, kompensatorische Maßnahmen, wie ein besonders sicheres Fluchtwegesystem, ermöglichen im Einzelfall erarbeitete und mit der Genehmigungsbehörde abgestimmte Brandschutzkonzepte.

Foto: Heinrich Helfenstein; Stefan Möller-Naumann
Wohnanlage: Kombination von Fassadenmodernisierung und Aufstockung in München-Sendling (Foto: Heinrich Helfenstein; Stefan Möller-Naumann)

Die Erschließung spielt bei Aufstockungen eine zentrale Rolle. Bestehende Treppen- und Aufzugsanlagen können erhalten und erweitert werden, wenn sie die Anforderungen an Brandschutz und gegebenenfalls Barrierefreiheit erfüllen. Falls durch die Aufstockung das Gebäude in eine höhere Gebäudeklasse gerät, muss das Gesamtgebäude die aktuellen Anforderungen an die Rettungswege erfüllen.

Grundsätzlich ist ab Gebäudeklasse 5 der Einbau von Liften Vorschrift. Haltestellen im obersten Geschoss, im Erdgeschoss und im Kellergeschoss sind aber nicht erforderlich, wenn sie nur unter besonderen Schwierigkeiten hergestellt werden können. Die Genehmigungsbehörde hat hier einen Ermessensspielraum und muss dabei auch wirtschaftliche Zumutbarkeit abwägen.

Es kann zudem sinnvoll und notwendig sein, die bestehende Erschließung rückzubauen und eine neue, barrierefreie Lösung vorzusehen. Beispielhaft dafür steht die Nachverdichtung einer Wohnsiedlung aus den 1950er-Jahren in München-Sendling von Hermann Kaufmann und Lichtblau Architekten. Hier wurde die Aufstockung mit der Fassadenmodernisierung in vorgefertigter Holzbauweise kombiniert sowie die ursprüngliche Spänner-Erschließung durch neue Laubengänge, Treppenhäuser und Aufzüge ersetzt.

Bei Erweiterungen von Bestandsgebäuden mit einer ­beheizten Nutzfläche von bis zu 50 Quadratmetern sind gemäß EnEV Mindestanforderungen an die U-Werte der neuen Hüllflächen einzuhalten. Bei größeren Erweiterungen muss zumindest der neue Gebäudeteil den Vorschriften für ­Neubauten genügen. Die Gebäudeerweiterung zieht keine Verpflichtung zur energetischen Ertüchtigung des Bestandes nach sich.

Wolfgang Huß ist Architekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Holzbau der TU München

Holzbau-Forschung
Die Entwicklung eines Fassadensystems zur energetischen Gebäudemodernisierung aus vorgefertigten, großformatigen Holzbauelementen war Aufgabe des 2008 bis 2009 von der TU München, der Aalto University Helsinki und der NTNU Trondheim durchgeführten Forschungsprogramms TES EnergyFaçade. 2010 bis 2013 vertiefte das Anschlussprojekt smartTES das Thema unter architektonischen, baukonstruktiven und bauphysikalischen Aspekten. Einen Schwerpunkt bildeten dabei vertikale Erweiterungen von Bestandsgebäuden. Die Forschungsarbeit wurde unter anderem mit dem Deutschen Holzbaupreis 2011 und dem Schweighofer Prize 2011 ausgezeichnet. Sie kam unter die Top Drei des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2012.
Weitere Informationen unter:   www.smarttes.com

Weitere Beiträge zum Thema Dachaufstockung:
Aufstockung eines Pavillons
Aufstockung eines Hotels
Aufstockung eines Bürogebäudes

 

 

 

 

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