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[ Synagogen ]

Neue Heimat

Überall im Land entstehen Synagogen – in stilistischer Vielfalt, doch gemeinsamem Geist

Selbstbewusst: Der Neubau der Mainzer Synagoge schreibt die Geschichte einer der traditionsreichsten ­jüdischen Gemeinden Deutschlands fort.

Von Myrta Köhler

Wie eine Skulptur hebt sich das jüdische Gemeindezentrum „Licht der Diaspora“ von Manuel Herz in Mainz mit seiner grün-blauen Keramikfassade aus dem Stadtbild ab. Gleichzeitig verzichtet Herz aber bewusst auf jegliche Art der Überhöhung – das Gemeindezentrum sollte ein alltägliches Gebäude werden. Es greift die örtliche Blockrandbebauung auf; der öffentliche Synagogenvorplatz geht fließend in den angrenzenden Stadtraum über: So wird ein Dialog mit der Stadt ermöglicht. Herz berichtet: „Viele Leute streicheln die Fassade: Das offenbart Unbekümmertheit und Neugierde.“

Der Mainzer Gebäudekomplex ist der derzeit jüngste in einer mittlerweile langen Reihe von Synagogen-Projekten in Deutschland. Sie begann in den 1990ern, als eine Zuwanderungswelle von Juden, insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion, den Bau größerer Versammlungsorte notwendig machte. Die seitdem entstandenen Synagogen sind nicht mehr Orte kleiner Restgemeinden, die nach dem Naziterror mühsam einen neuen Anfang suchten, sondern Zeichen für wachsende Gemeinden mit neuem Selbstverständnis. Auch Manuel Herz sagt: „Es gibt ein verändertes Bewusstsein, deshalb ist der Schritt aus den Hinterhöfen auf die Straße wichtig! Man darf aber nicht vergessen: Auch die deutsche Politik hat ein Interesse daran, zu zeigen, dass die jüdische Kultur sich offen präsentieren kann.“

Wie bei allen Synagogen ist auch in Mainz die Ostung des Baus zentrales Gestaltungsmittel: Auf der Ostseite befindet sich der Thoraschrank, das Herzstück der Synagoge. Traditionell wird außerdem die Bima, das Podest zum Verlesen der Thora, in der Mitte des Raumes platziert. Der daraus resultierende „synagogale Raumkonflikt“ (Salomon Korn) zwischen Ostung und Zentralisierung bestimmt zu einem großen Teil die Gestaltung des Gebäudes. So auch in Mainz: An zentraler Stelle des Synagogenraums befindet sich die Bima, das darüber gelegene trichterförmige Dach repräsentiert das „Schofar“, das Widderhorn, und orientiert das Gebäude nach Osten. Das gesamte Gebäudeensemble hat die Form des hebräischen Segensspruches „Quadu­shah“ – die Unterlegung mit dem Thema Schrift dient wiederum der Präzisierung des städtebaulichen Ansatzes.

Neues Kapitel: Das jüdische Gemeindezentrum in Duisburg erinnert nicht zufällig an die aufgefächerten Seiten eines großen, schweren Buches.

Die Schrift thematisierte 1999 Zvi Hecker beim jüdischen Gemeindezentrum in Duisburg auf andere Weise: „Das Buch war wie ein wirkliches Land für die Juden.“ Das Gebäude in Form eines aufgeschlagenen Buches symbolisiert die Heimat der Heimatlosen, gleichzeitig aber auch einen Bezug zu den Juden vor Ort, da jede der fünf „Seiten“ einen Abschnitt der lokalen Geschichte repräsentiert. Die Form dient außerdem der Öffnung gegenüber der Umgebung: Wie die Finger einer geöffneten Hand erstrecken sich die Gebäudeflügel in den angrenzenden Park.

Diaspora und jahrhundertelange Heimatlosigkeit führten zu einem starken geistigen Zusammenhalt der Juden: Wissen und Schrift nahmen sie mit sich, in ihnen fanden sie Zuflucht. Ein Gebäude mag insofern das Gegenteil andeuten; es ist dazu gemacht, zu überdauern. Kann also das „Volk des Buches“ jemals ein „Volk der Architektur“ werden? Wie kann es ausgerechnet im Land der Täter ein Zuhause errichten?

Interpretationen der Synagoge

„Das Sichtbarwerden der Synagogen in der Stadt als selbstverständliche Teile der Gesellschaft ist essenziell“, sagt der Saarbrücker Architekt Wolfgang Lorch. Die Sakralbauten von Wandel Hoefer Lorch & Hirsch (WHL) in Dresden und München besetzen Schlüsselpunkte in der Stadt: In Dresden wurden sie am Ende der Brühlschen Terrasse errichtet; mit dem Jüdischen Zentrum Jakobsplatz wurde eine brachliegende Fläche am Viktualienmarkt im Zentrum Münchens bebaut. Die Öffnung zur Stadt hin drückt sich in den Passagen und Plätzen aus, die das Gebäudeensemble miteinander verbinden.

Thoraschrein und Almemor: Die interne Ordnung des Dresdner Gotteshauses löst den „synagogalen Raumkonflikt“ auf erhabene Weise.

„Ein Gebäude wird für die Zukunft gebaut, nicht für die Vergangenheit“, sagt Lorch. Ganz bewusst bezieht er sich deshalb mit der Synagoge in Dresden nicht auf die Shoah oder auf den Vorgängerbau von Gottfried Semper. „Wie eine Synagoge auszusehen hat, ist eine offene Frage“, so Lorch. „Es geht nicht um eine Neuerfindung, aber sehr wohl um eine Neuinterpretation!“ Dennoch nehmen moderne Bauten Bezug auf die beiden architektonischen Ideen, zwischen denen die Geschichte des Judentums aufgespannt ist: den Tempel als dauerhaftes, das Stiftszelt als mobiles Element. Der gespaltene Travertin der Synagoge in München erinnert sowohl an den Tempel als auch an die Klagemauer und bildet einen Kontrast zum textil wirkenden Bronzegewebe der Laterne, die mit ihrem Dreiecksmuster Assoziationen an den Davidstern hervorruft. In Dresden hingegen umschließt die massive Außenhülle ein golden reflektierendes Metalltextil im Inneren, das wiederum den Synagogenraum umhüllt.

Auch die Zedernholzfassade der Synagoge in Kassel von Alfred Jacoby ist ein Zitat der Antike: Aufgrund einer Botschaft, er solle den Tempel gemeinsam „mit seinen Nachbarn“ bauen, importierte König Salomon Zedernholz aus dem benachbarten Libanon. Jacoby greift mit seinem Bauwerk das Dachmaterial des jüdischen Tempels als schützendes Element auf. Das Zelt hingegen sieht Jacoby unter einem anderen Aspekt: „Juden in Deutschland tragen das Zelt sinnbildlich immer mit sich. Wir selbst sind quasi die Zelte, die in die festen Gebäude in Form von Synagogen hineingehen.“ In Chemnitz schuf er ein großes Fenster, damit die Zuwanderer den Blick auf die Welt nicht verlieren. Die Mitte zwischen Thoraschrank (in diesem Fall nicht exakt nach Osten gerichtet) und dem Fenster bleibt frei – so entsteht eine bauliche Spannung zwischen zwei Welten, zwei Identitäten: dem Einwanderungsland und dem Judentum.

Licht und Zeichen: In Chemnitz schwebt der Davidstern, religiöses Symbol und Signum gleichermaßen, über der Gemeinde.

Der Davidstern, der ursprünglich kaum Verwendung in der Architektur fand, prangt heute vielerorts als Signum – in Chemnitz zum Beispiel als Beleuchtungskörper. „Der Davidstern steht für ein neues Selbstbewusstsein“, erklärt Jacoby. „Er ist Signet und Schutz, ähnlich wie das Kreuz im Christentum.“ In der Lörracher Synagoge vom örtlichen Büro Wilhelm und Hovenbitzer und Partner wurden dekonstruktivistische Davidsternformen in die quadratischen Felder der zweiten „Haut“ des Baus, die Sichtbetonscheiben, eingefügt. Der Kultbau in Lörrach ist geringfügig über das Terrain angehoben; die Würfelform symbolisiert Toleranz, Offenheit und Autonomie. Die zentrale Position der Bima wird durch ein mittig angebrachtes, quadratisches Oberlicht im Gebetsraum zusätzlich hervorgehoben. Der quadratische Grundriss des Zentralraums steht für Integrität, die kreisförmige Frauenempore für Unendlichkeit.

Neues auf altem Grund

Mehrere Synagogen, etwa die von Alfred Jacoby in Aachen, wurden auf dem Grundstück ihres Vorgängerbaus errichtet, womit zwangsläufig ein Bogen zur Pogromnacht von 1938 gespannt wird. In Aachen war der Platz völlig ausgebombt, Jacoby hat das Halbrund durch eine runde Wand ergänzt: „Ich wollte die Stadt ‚reparieren‘.“ Aus demselben Grund verwendete er für einen Großteil der Fassade den gelben Klinker der Region.

Auch die neue Schweriner Synagoge von Joachim Brenncke befindet sich am Standort ihrer Vorgängerinnen aus den Jahren 1773 und 1819. Die während der Ausgrabungsarbeiten entdeckten Fragmente des alten Fundamentes und des Fußbodens wurden in den Neubau, einen leicht geneigten Kubus, integriert. Der sakrale Baukörper fügt sich mit der regional gebundenen Materialität und Farbgebung – es wurde eine mehrfarbige Ziegelmischung verwendet – in den kleinen Innenhof als neues Element selbstbewusst ein.

Aufgrund ihrer Lage in einem Innenhof erschließt sich die Schweriner Synagoge nicht automatisch der umliegenden Stadt. Erreichbar ist sie durch einen einzigen Zugang durch das Vorderhaus; die Toranlage auf der Rückseite gestattet den Blick in den Hof, dient aber gleichzeitig als Sicherheitsschleuse. Die Fenster des Gebäudes bestehen – wie bei Synagogen üblich – aus Sicherheitsglas.

Ebenso wie in Schwerin lagen früher die allermeisten Synagogen Deutschlands in Hinterhöfen oder an vergleichbar abgeschiedenen Orten. Erst mit dem 19. Jahrhundert nahmen Synagogen in Europa prominente Plätze im Stadtbild ein. Architekten suchten nun nach Möglichkeiten einer repräsentativen Gestaltung. Doch eine „jüdische Architektur“ entwickelte sich nie. „Juden haben meist bürgerlich gebaut, sie wollten sich in der Regel in den städtischen Kontext integrieren“, meint Fritz Wilhelm aus Lörrach. So wurde in den Jahren des Historismus und des Jugendstils zeitbezogen gebaut. In der Bauhauszeit entstanden einige Synagogen im Stil der Moderne, zum Beispiel in Plauen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden etwa 1 500 Synagogen zerstört. Nach dem Krieg stand ihr Neubau lange Zeit im Zeichen des Provisoriums: Warum teuer bauen, wenn man vielleicht sowieso demnächst nach Israel ziehen wird? So dachten viele. Erst vor rund 20 Jahren änderte sich die Situation.

Gibt es inzwischen einen „jüdischen Stil“? „Klares Nein“, so Hecker. „Es gibt nur gute und schlechte Architekten.“ Die Synagogen der letzten Jahre sind selbstbewusste Beiträge zu einer zeitgenössischen Architektur. Gleichzeitig erhalten sie vielerorts bewussten Bezug zu den Nachbarn. Gerade bei ihnen ist die Spannung zwischen Eigenständigkeit und Kontext von besonderer Bedeutung.

Myrta Köhler ist freie Journalistin in Berlin.

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