Barbara Schlesinger
Was lange währt, wird wohl jetzt gut: In wenigen Monaten könnte die DIN-Norm 18040 Teil 1, „Öffentlich zugängliche Gebäude“, und Teil 2, „Wohnungen“, in Kraft treten, die Planungsgrundlagen und Anforderungen an das barrierefreie Bauen regelt. Seit 1995 wird an einer Ablösung der bisherigen Normen 18024 – für öffentlich zugängliche Gebäude – und 18025 – für barrierefreie Wohnungen – gearbeitet. Der jetzt vorliegende Normentwurf bringt scheinbar Unvereinbares überein: Einerseits berücksichtigt er auf vielfältige Weise den besonderen Bedarf von Menschen mit Seh-, Hör- und Bewegungsbehinderung an Bauten. Andererseits vermeidet er lähmende Überregulierung und definiert vor allem Ziele und Anforderungen, um diese Ziele zu erreichen. Das erlaubt flexible Planung und kreative Lösungen im Interesse derer, die auf barrierefreies Bauen angewiesen sind.
Zwei Beispiele von vielen: Zum erleichterten Hören sagt der Normentwurf, „akustische Informationen sollten auch für Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen erfassbar sein, die sprachliche Verständigung sollte möglich sein. Dies wird durch Vermeidung folgender Beeinträchtigungen erleichtert …“ Dann nennt der Normentwurf Störfaktoren von draußen und drinnen, die zu beheben sind – aber er fixiert nicht, mit welchen der vielen akustiktechnischen Mittel sie jeweils behoben werden sollen. Beispiel zwei sind die Orientierungshilfen an Türen. Hier soll die Norm laut ihrem Entwurf vorschreiben: „Auffindbarkeit und Erkennbarkeit von Türen und deren Funktion müssen auch für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen und/oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen möglich sein. Dies wird z. B. erreicht durch …“. Wichtig sind die Buchstaben „z. B.“: Sie nennen mögliche Lösungswege, schließen aber andere nicht aus. Hauptsache, das Ziel wird erreicht.
Allerdings erreicht der Normentwurf noch nicht in allen Punkten diese Qualität. So regen die Länderarchitektenkammern und die Bundesarchitektenkammer in ihrer gemeinsamen Stellungnahme an, die Mindestbreite von Fluren und Verkehrsflächen nicht streng auf 1,50 Meter zu fixieren. Das ist für kurze Stichgänge nicht nötig – ebenso wenig wie für längere Flure, die in ausreichenden Mindestabständen Ausweichflächen haben. Ein anderer Kritikpunkt der Kammern: Die für öffentlich zugängliche Gebäude meist sinnvollen Normvorschriften sind fast eins zu eins auf den Normentwurf Teil 2, „Wohnungen“, übertragbar. Dort aber sollte stärker nach Nutzergruppen differenziert werden. Während öffentlich zugängliche Gebäude in jeder Hinsicht barrierefrei sein müssen, kann bei den Wohnungen die Konzentration auf die Belange von Menschen mit Seh-, Hör- oder Bewegungsbehinderung bessere Ergebnisse bringen. Hier ist noch Beratungsbedarf. Sollte dies viel Zeit erfordern, empfehlen die Kammern, zunächst nur den Normteil 1, „Öffentlich zugängliche Gebäude“, zu verabschieden. Dies kann und muss rasch geschehen.
Dem komplexen Thema angemessen waren in die Arbeit des zuständigen Ausschusses des Deutschen Instituts für Normung (DIN) viele Seiten einbezogen – etwa Behindertenverbände, Wissenschaftler, Vertreter und Organisationen der Gemeinden, der Länder und des Bundes sowie Planungsexperten. Auch der Ausschuss Planen und Bauen der Bundesarchitektenkammer war ständig aktiv; besonders engagiert haben sich im Normenausschuss Architektin Christine Degenhart aus Rosenheim und Innenarchitektin Vera Schmitz aus Oberhausen. Der Einsatz für mehr Flexibilität der geplanten Norm lohnt sich für alle – für Planer und Bauherren, aber vor allem für die auf Barrierefreiheit angewiesenen Nutzer. Sie können die vor Ort in jedem Einzelfall beste Lösung erhalten.
Barbara Chr. Schlesinger ist Referentin für Architektur und Bautechnik der Bundesarchitektenkammer.