Von Roland Stimpel
Nichts, was der Kultur des Schönen angehörte, war vorhanden, und die Gegend ihrer ganzen Armut und Reizlosigkeit sorglos überlassen worden. Das schrieb Fürst Hermann von Pückler-Muskau in seinen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ über die Niederlausitz des Jahres 1812. Dabei gab es seinerzeit dort erst wenige kleine Bergbaulöcher. Ende des 20. Jahrhunderts waren in dem Landstrich zwischen Berlin und Dresden 1 260 Quadratkilometer aufgerissen; aus 17 laufenden Tagebauen wurden 600 000 Tonnen Kohle herausgeholt und drei Millionen Tonnen Abraum aus Sand, Erde und Steinen bewegt – pro Tag, nicht pro Jahr. In den Schluchten rauchen Tag und Nacht die Alaunhütten und Töpferöfen.
Schließlich fehlten 13 Milliarden Kubikmeter Grundwasser und 130 einstige Dörfer und Siedlungen; stattdessen waren knapp 400 Quadratkilometer Lausitz mit abgelagerter Asche bedeckt und an 600 Stellen die Böden mit Altlasten verseucht. Die Landschaft mit ihren verlassenen und noch laufenden Tagebauen, mit meist ruinösen Kraftwerken, Kokereien und Brikettfabriken war eine der kaputtesten Deutschlands. Es wäre nicht zu verwundern, wenn bei dem, in solcher monotonen und einsamen Größe sich ganz unheimlich fühlenden Beschauer, einmal wider Willen der Gedanken erzeugt würde: er befinde sich wohl gar in einem verzauberten Bezirk, wo keine Menschen mehr hausten.
Ausgerechnet diese Gegend – nein: gerade sie – wird jetzt zum „Fürst-Pückler-Land“ veredelt. Seit dem 24. April läuft unter diesem Namen die eigenartigste internationale Bauausstellung, die es je gab: In den Ausmaßen riesig, Berlin würde sechsmal hineinpassen. Ihr Thema ist nicht Stadt, sondern zerwühlte, zerstörte Industrielandschaft, viel stärker noch als in den 1990er-Jahren das der IBA im Ruhrgebiet. Es ist eine Bauausstellung mit mehr künstlichen Seen als Häusern – und eine, die mit ihrem Namen auch Deutschlands schillerndsten Landschaftsgestalter und seine vor bald 200 Jahren angelegten Parks vereinnahmt hat.
Zwar wollte sie niemals ihre nachindustrielle Landschaft so gestalten, wie es der Gartenkünstler des ausgehenden Agrarzeitalters in den Parks von Muskau und Branitz tat. Die IBA ist demokratisch statt feudal, eher populär als elitär, denkt vielmehr an prosaische Freizeit als an erlesenen Kulturgenuss. Sie ist dezentral statt um Schlösser drapiert und lebt vom Engagement vieler statt vom Kunsttrieb eines Einzelnen. Aber jenseits aller Regionalstrukturplanungen, von Grundwassermanagement und Böschungssicherungen hat auch die heutige IBA noch einiges von Pücklers poetischem Ideal einer durch Kunst veredelten Gegend. Und seinerseits nahm schon der biedermeierliche, sein Grün ästhetisch überhöhende Aristokrat den modernen Volkspark vorweg: So erlaube ich auch jedem, ohne Ansehn der Person, den Zutritt zu meinen Anlagen – so dass oft hunderte von Menschen sich im Raume des Parks auf alle Weise ergötzen.
Pücklers geistige Erben sind eine bunte Gesellschaft aus Alt und Jung, Romantikern und Technokraten, Ossis und Wessis. Die Ersten kämpften schon in der DDR: Der Landschaftsarchitekt Otto Rindt hatte die Vision einer Seenlandschaft bereits in den 1950er-Jahren. Sein erstes Projekt war der Senftenberger See, der anstelle eines früh erschöpften Tagebaus bis 1973 entstand. Rindt sah Pückler als Vorbild für „naturnahe Geländegestaltung“, für „wohlbedachte Gehölzartenwahl“ und das „Erkennen und Anwenden ästhetischer und biologischer Gesetzmäßigkeiten“. Rindts Cottbusser Kollege Helmut Rippl schaffte es in Fürstlich Drehna, einen vom Bergbau weitgehend zerstörten Park in Pücklerscher Manier wiederherzustellen. Gemeinsam mit dem Senftenberger Architekten Wolfgang Joswig gab er 1997 ein erstes Buch zum vergangenen und künftigen „Fürst-Pückler-Land“ heraus. Joswig hat seitdem vor allem an den zentralen „IBA-Terrassen“ in Großräschen für die Bauausstellung geplant; von Helmut Rippl ist hier eine „Allee der Steine“ mit Findlingen aus dem Bergbau realisiert – Anhäufungen von Steinmassen, die etwas Felsenähnliches und wenigstens sehr Malerisches darbieten.
Die IBA selbst formierte sich in den späten 1990er-Jahren, als die meisten Energiebetriebe geschlossen waren und deutlich wurde, dass man die verwüstete Gegend nicht sich selbst überlassen konnte. Daran hatten zwar einige Planer und Ökologen unter dem Motto „Respektieren der Geschichte des Ortes“ gedacht, aber der zerstörte Wasserhaushalt musste neu reguliert und überall mussten ungesicherte Böschungen stabilisiert werden, wollte man nicht weite Teile der Region als lebensgefährlich für Menschen sperren. Die IBA selbst bezeichnet die anfangs auch von ihr selbst erwogene „Respekt“-Strategie heute als „ebenso morbide wie romantische Vorstellung“ – ein Rührei von Kunst und Unsinn.
Aber auch eine aufwendige, rein ingenieurtechnische Sanierung hätte nicht gereicht. Sie hätte einen Landstrich mit wassergefüllten Tagebaulöchern produziert, aber keine Seenlandschaft mit eigenem Charakter und Spuren der Bergbaugeschichte. Den aber brauchte und braucht die Niederlausitz, um bei Bewohnern, Touristen und Investoren nicht als entleerte und verheerte Bergbaugegend, sondern als Region mit Anziehung und Aussichten dazustehen. So entstand die Idee der IBA, beraten durch Karl Ganser, dessen „Emscherpark“-Bauausstellung gerade auslief, und geleitet seit ihrem offiziellen Start im Jahr 2000 vom Städtebauer und vormaligen Dessauer Bauhaus-Direktor Rolf Kuhn. In neuerer Zeit endlich fühlte man in unseren, bisher von der Kultur so sehr vernachlässigten Gegenden, endlich auch das Bedürfnis der Kunst und des Schönen.
Von Anfang an dabei war auch die Landschaftsplanerin Brigitte Scholz, die von der Universität Hannover aus in der Region geforscht hatte und jetzt bei der IBA Projektleiterin wurde – „ich wollte daran arbeiten, diese gigantischen Löcher zu füllen“. Scholz hat „eine Faszination für zerstörte Landschaft“ – aber nicht fürs Tote und Elende, sondern für die Frage: „Was ist hier alles möglich?“ Bei mir hat auf diese Weise der Glaube wörtlich mehr als einen Berg versetzt und ebenso viele aufgerichtet.
Viel Glaube war nötig in dieser Region. Die Nachteile waren eine im allgemeinen sandige, größtenteils nur mit Kiefernwäldern bedeckte Gegend, ein großer Teil schlechten Bodens und die Notwendigkeit ungeheurer Vorarbeiten. Aber es war nicht vorgesehen, dass die IBA selbst Bagger auffahren ließ, Kanäle grub und Böschungen bepflanzte. Sie konnte kein Planungsrecht schaffen und nichts amtlich anweisen, sondern nur Ideen anstoßen, sammeln und ausbrüten, für Projekte Träger suchen und zwischen möglichen Beteiligten, Geldgebern, aber auch Gegnern und Skeptikern vermitteln. Die kaputte Lausitz als künftige Touristen- und Kunstregion, als Bergbaumuseum und Ökolabor? Als ich anfing, wurden mehrere wirklich zweifelhaft, ob es mit meinem Verstande noch seine völlige Richtigkeit habe. Aber Pückler wie die IBA-Leute waren zäher als die Skeptiker. Unter zwanzig Fällen macht neunzehnmal fester Wille und Geduld das sogenannte Unmögliche ganz über alle Erwartungen leicht möglich.
Die IBA vertraute auf lokale Kräfte und das Bohren dicker Bretter; sie verzichtete auf das so bequeme wie teure Einfliegen metropolitaner Stars. Wie misslich es ist, einem fremden Künstler auf einige Tage oder Wochen, oder auch Monate kommen zu lassen, um sofort einen Plan zu machen. Einen, der seine Linien auf das geduldige Papier hinzeichnet, die sich zwar sehr sauber und hübsch dort ausnehmen können, in der Ausführung aber gewöhnlich etwas höchst Klägliches, Schales, Unpassendes, Unnatürliches und gänzlich Mißlungenes zur Welt bringen.
Natürlich war und ist es auch eine Geldfrage. Andere versicherten, es sei unmöglich, selbst für einen zehnmal Reicheren als ich sei, solche Pläne zu realisieren. Am meisten verwirklicht die bundeseigene Gesellschaft LMBV, die die Hinterlassenschaften der DDR-Kohlekombinate repariert. Und die IBA-Leute zapften ReSOURCE an, gingen auf Viktour, suchten IdeQua und Rekula heim, EuReg und RenERg. Das alles sind keine Götter der slawischen Lausitzer Ureinwohner, sondern Kürzel für EU-Förderprogramme. All das war nicht zuletzt ein riesiges Beschäftigungsprojekt für eine schrumpfende Region. Ohne eine außerordentliche Gelegenheit Geld zu verdienen wäre ein Teil der hiesigen Einwohner verhungert, oder zur hülflosesten Auswanderung gezwungen worden.
Dreißig Projekte stellt die IBA in diesem Jahr vor, die auffälligsten an und auf Seen, mit Titeln wie Schwimmhäuser, Lagunendorf, Schwimmender Steg und Marinapark. Das war wie einst bei Otto Rindt, berichtet Brigitte Scholz: „In den Seen haben wir sofort das größte Zukunftspotenzial gesehen.“ 13 000 Hektar werden sie irgendwann einnehmen und dann Europas größte künstliche Wasserlandschaft sein. Wen entzückte nicht in einsamen Stunden die stille Ruhe des schimmernden Sees, in welchem rund umher die Riesen des Waldes sich wie träumend spiegeln, oder der Anblick der schäumenden, vom Sturme gejagten Wellen?
Aber die IBA wollte die Gruben nicht einfach volllaufen lassen. „Wir wollen eine touristische Destination“, sagt Scholz. „Dafür brauchen wir ein klar strukturiertes Angebot.“ Wenn man schon eine neue Seenlandschaft planen kann, dann soll dort jeder ein Gewässer nach seinem Plaisir vorfinden. So etikettiert die IBA den einen See als „rasant-spektakulär“ für Jet- und Wasserskifahrer, den nächsten als „frisch-sportlich“ für Segler, den dritten als „natürlich-einzigartig“ für Naturfreunde und weitere als „sportlich-lebhaft“, „familiär-kulturvoll“ und „Stadtrand-spannend“. Sie soll vor allem Tages- und Wochenendgäste locken, aus Sachsen, aber auch aus dem mit Seen verwöhnten Berlin. Als „Seenlandschaft im Entstehen“ will sich die Lausitz anpreisen, zudem als rundum öffentliche ohne private Wassergrundstücke.
Und als Landschaft mit Industriekultur. Nur wenn sie ihre Altlast zur Attraktion erklärt, hofft sie mit den 5 000 Naturseen Brandenburgs, Mecklenburgs und Berlins zu konkurrieren. Das gibt oft einen Konflikt: Soll das IBA-Land deutlich zeigen, was es kürzlich noch war, oder soll es Harmonie ausstrahlen, wie Pückler sie propagierte? „Man will wieder eine heile Landschaft“, sagt Brigitte Scholz mit leichtem Widerwillen. Als sie selbst ein Stück dauerhafte Wüste plante, empörten sich die Lausitzer. Auch die idealisierte Natur muß dennoch immer den Charakter des Landes und Klimas tragen, wo sich die Anlage befindet, damit sie wie von selbst so erwachsen erscheinen könne, und nicht die Gewalt verraten, die ihr angetan ward.
Noch wirken manche Seen mit ihren Gabionenufern, den noch nicht vollgelaufenen Gruben und den Betonkanälen zum Nachbargewässer steril und gekünstelt. Noch schwimmt auch kein einziger Fisch in dem übersäuerten Wasser. Doch das soll sich einwachsen und regulieren. Um aber den künstlich geschaffenen Wasserstücken auch die naturgemäße ungezwungene Form zu geben, ist noch manche Anstrengung nötig.
Dauerhaft erinnert an die Kohlezeit ein zweiter Schwerpunkt der 30 Projekte, aufgefädelt an der „Energieroute Lausitzer Industriekultur“. Es lag also der Gedanke nahe, das Vergangene gleichsam in einem zusammengefaßten Bilde wieder zu reflektieren. Das Erlebniskraftwerk Plessa soll den „Weg der Kohle“ vermitteln; die IBA-Terrassen am Grubenrand die landschaftszerstörende und -prägende Kraft des Bergbaus und Expeditionen in den noch aktiven Tagebau Welzow dessen Arbeitsweise. Die zur Abwasserreinigung gebauten „Biotürme“ in der knapp 60 Jahre alten Industriestadt Lauchhammer wirken in ihren trutzig-düsteren Vierergruppen eher wie 600 Jahre alte Burgtürme, auch mit den zwei neu angefügten gläsernen Aussichtskanzeln vom Cottbusser Büro Zimmermann und Partner. Jetzt betreibt ihn ein lokaler „Traditionsverein Braunkohle“. So sind wirklich Traditionen im Volke genug vorhanden, um der Fiktion eine historische Basis zu geben.
Das monumentalste Industriedenkmal liegt ein paar Kilometer weiter nördlich: ein 502 Meter langes, 80 Meter hohes und 11 000 Tonnen schweres Stahlgerüst namens „Förderbrücke F 60“ – die größte bewegliche Maschine, die je gebaut wurde. Ihr Daseinszweck war so schlicht wie ihr Umfang gigantisch: Sand und Erde von links nach rechts schaffen, damit darunter der Kohleflöz frei wurde. Und sie grub nur für ein einziges Jahr, bevor bald nach der Einheit der Tagebau stillgelegt wurde. Jetzt steht sie am Grubenrand und wird im Jahr von rund 60 000 Menschen besucht. Hans Peter Kuhn aus Berlin hat sie mit einem Licht-Klang-Kunstwerk versehen. Wechselnde Baggergeräusche, 82 Leuchtstäbe an den Längsseiten und 28 bunt angestrahlte Aufbauten verstärken abends das Surreale, das dem Gerät ohnehin anhaftet. Kilometerweit eröffnet sich eine Aussicht, wo in weiter Ferne das Werk der Kunst aus den düstern Tannen von neuem in der glühenden Abendsonne Strahl hervorblitzt, oder über dem dämmernden Tale im Glanze angezündeter Lichter auftaucht, wie ein verwirklichter Feentraum.
Auch Pücklers grandiose Gartenkunstwerke sind in die IBA einbezogen, ebenso der von ihm inspirierte Park Helmut Rippls in Fürstlich Drehna und Umgebung. Die vom Bergbau zerstörte Slawenburg in Raddusch ist nachgebaut und auch klassische Bauthemen sind Teil der Ausstellung: die schon vor Jahren restaurierte Gartenstadt Marga, das Seeufer von Senftenberg, Plattenab- und -umbauten in Cottbus, je ein polnisches und ein deutsches Projekt in Gubin/Guben. Das für den Bergbau bis 1989 schon geräumte Dorf Pritzen wurde als Künstlerort reaktiviert; neuerdings reizvoll auf einer Landzunge zwischen zwei Tagebau-Seebuchten gelegen. Dieser Gegensatz der freien Natur zu künstlicher Zierde ergötzt das Gemüt auf solche Weise doppelt.
Doch während die einen Bergbaufolgen reparieren, gehen Kohleabbau und Landschaftszerstörung an anderer Stelle weiter. Für die drei Großkraftwerke Boxberg, Jänschwalde und Schwarze Pumpe wird weiter gegraben; sogar neue Tagebaue werden noch gestartet. Pücklers Urgroßneffe drohte deshalb schon: „Wir überlegen, ob wir gegen die Verwendung des Namens Pückler vorgehen. Das Gebiet sollte eher Vattenfall-Land heißen.“ Vom neu geplanten Tagebau Bagenz wäre sein eigener Familienwald betroffen. Alles beinah schafft Geld und Macht, aber kein Crösus und kein Alexander vermögen die tausendjährige Eiche in ihrer Majestät wieder herzustellen, wenn sie einmal gefällt ist. Am Tagebau Welzow wird gerade jetzt ein Wald gerodet, der dort nach dem Kohleabbau in den 1920er-Jahren angepflanzt worden war – jetzt will man tiefer aufs Neue graben. Im Tagebau Welzow soll noch bis 2030 Kohle gefördert werden. In Jänschwalde leben die Kohleförderer das, was sie unter Nachhaltigkeit verstehen. Schon denken sie daran, wie sie 2030 das Dorf Kerkwitz, 2035 Atterwasch und nach 2040 Grabko „überbaggern“ wollen. Furchtbar und schnell ist die Macht des Menschen im Zerstören, schwach und gebrechlich im Aufbauen!