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[ Interview ]

Constanze Tibes: wie man einen riesigen Teilchenbeschleuniger plant

Constanze Tibes ist Fachfrau für den Bau von Beschleunigeranlagen. Im Interview mit dem DAB verrät sie, wie es dazu kam, wie man am besten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kommuniziert und was sie beim Bau eines der weltweit größten und komplexesten Forschungsbauten – der Darmstädter Beschleunigeranlage „FAIR“ – erlebt

Constanze Tibes im Gespräch
Constanze Tibes (Mitte) hat viel Erfahrung mit Forschungsbauten und sagt trotzdem: „So ein Projekt hat man nur einmal im Leben.“

Constanze Tibes hat 33 Jahre Berufserfahrung als Architektin. Seit dem Jahr 2000 ist sie Projektleiterin bei DGI Bauwerk.

Dieses Inteview ist unter dem Titel „Die Teilchenbeschleunigerin“ im Deutschen Architektenblatt 09.2021 erschienen.
Interview: Brigitte Schultz und Lars Klaaßen

Frau Tibes, Ihr Büro hat sich auf F­orschungsbauten spezialisiert. Wie kam es dazu?

Das war mehr oder weniger Zufall. Wir haben kurz nach der Wende als Kontaktarchitekten für einen niederländischen Architekten in Berlin-Adlershof ein Labor- und Bürogebäude realisiert. Während der Bauphase wurden wir vom gegenüberliegenden Helmholtz-Zentrum angesprochen, ob wir uns für ihr Büro- und Laborgebäude bewerben wollen. Seitdem haben wir immer wieder in der Richtung geplant und gebaut. Inzwischen bin ich Fachfrau für Beschleunigeranlagen.

Was sind denn die architektonischen Besonderheiten einer Beschleunigeranlage?

Beschleunigeranlagen sind meist unterirdisch und müssen hohe Strahlenschutzanforderungen erfüllen an Luft, Erde und Wasser. Entsprechend ist die Konstruktion: Sie bauen da anderthalb bis sechs Meter dicke Decken und Wände. Die Hallen müssen stützenfrei sein, damit die Experimente aufgebaut werden können. Und Sie arbeiten sehr viel mit den Technikern zusammen. Und mit den Nutzern. Die geben Ihnen den Input, was sie brauchen.

Baustelle Teilchenbeschleuniger FAIR
Der Rohbau des unterirdischen, 1.100 Meter umfassenden Ringbeschleunigers SIS 100 wurde gerade abgeschlossen.

Wie viel gestalterischen Spielraum hat man denn bei so spezifischen Anforderungen an das Gebäude?

Bei den unterirdischen Bauten so gut wie keinen. Das sind reine Technikgebäude für Experimente. Oberirdisch – da gehört ja immer ein Versorgungsgebäude für die Technik dazu – können Sie gestalterisch eher etwas machen.

Was unterscheidet die Planung von ­Forschungsbauten von der „herkömmlicher“ Bauten wie Wohn- oder Büro­gebäuden?

Die Herangehensweise ist eine ganz andere. Bei Wohnungen oder Büros sind die Anforderungen und Abläufe vertraut, man kann relativ schnell sagen, wie es innen und an der Fassade aussieht. Bei Forschungsbauten ist es ab der Vorplanung enorm wichtig, dass Sie mit den Nutzern zusammenkommen und diese Ihnen den Input geben. Das dauert immer eine gewisse Zeit, bis Sie mit denen die gleiche Sprache sprechen, eine Verständnisebene haben. Sowohl die Nutzer und Wissenschaftler mit den Architekten als auch umgekehrt. Wenn dann der Knoten geplatzt ist, ist es eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit.

Haben Sie sich dafür eine spezielle Fähigkeit der Kommunikation erarbeitet?

Ja, das kommt mit der Zeit. In den 20 Jahren, in denen ich das jetzt schon mache, habe ich ein Instrumentarium erworben, um mit den Wissenschaftlern die Anforderungen festzuschreiben. Das ist ganz wichtig, dass man das von vornherein festlegt. Im Forschungsbau arbeiten wir ja mit sehr vielen Gutachtern, sehr vielen Fachplanern, unter Umständen auch sehr vielen Nutzern und selbstverständlich auch mit den – meist öffentlichen – Bauherren zusammen. Diese Gruppen müssen wir in das gemeinsame Projekt und die gemeinsame Zielsetzung integrieren.

Teilchenbeschleuniger FAIR
Der Darmstädter Teilchenbeschleuniger FAIR hat schier unvorstellbare Dimensionen. Die Gesamtfläche der neuen Gebäude wird circa 150.000 Quadratmeter betragen.

Welches Instrumentarium hat sich für Sie bewährt?

Wir haben eine Art Pflichtenheft in Form von Raumdatenblättern entwickelt, die wir mit den Forschern gemeinsam ausfüllen. Natürlich kommt es immer wieder zu Änderungen, denn die Wissenschaftler forschen immer weiter, während wir planen. Aber um erst einmal eine gemeinsame Grundebene zu haben, ist das ein gutes Hilfsmittel. Wir brauchen als Planer ja einen Startschuss, einige Dinge müssen wir festlegen.

Erwirbt man im Laufe der Jahre auch Know-how über die Abläufe, die in den ­Gebäuden stattfinden?

Man bekommt eine Ahnung, aber bis in die Tiefen versteht man es natürlich nicht. Die Zielsetzung kann ich vielleicht noch nachvollziehen, aber nicht die Wege dahin. Deswegen ist der Schulterschluss zu den Wissenschaftlern immer sehr interessant. Wenn möglich, schauen wir uns im Vorfeld gemeinsam vergleichbare Objekte an. Da erfährt man, wo die Stärken und Schwächen einer Anlage liegen, was vielleicht schiefgelaufen ist, worauf wir Architekten besonders achten müssen. Das sind dann Erfahrungswerte, aber es ist nie die gleiche Bauaufgabe. Wir bauen immer Prototypen, da ist nichts nach Standard.

Was reizt Sie an Forschungsbauten?

Das Neue. Und die Kommunikation und Zusammenarbeit mit der Gruppe. Wissenschaftler sind gewohnt, als Team zu arbeiten. Die Zusammenarbeit ist immer sehr befruchtend und respektvoll. Und man lernt jedes Mal seine eigenen Grenzen kennen und auch, sie zu überschreiten.

Wenn sich die Forschung weiterentwickelt, muss sich dann auch die Architektur weiterentwickeln?

Es ist schon vorgekommen, dass wir gerade den Schlüssel übergeben haben und in der nächsten Woche die Umarbeitungen und Umstrukturierungen losgingen. Damit muss man klarkommen. Jeder Bau ist ja wie ein eigenes Kind. Sie hängen dran, haben acht bis zehn Jahre damit zugebracht. Das schmerzt dann natürlich manchmal schon. Deswegen ist es wichtig, von Anfang an eine Flexibilität mitzudenken. Sei es nach einer Woche oder nach zehn Jahren: Es wird umgebaut werden. Und bestimmte Parameter werden wieder auftauchen. Zum Beispiel die Anforderung, große Komponenten wie Technikanlagen oder Experimente in das Gebäude einzubringen. Das müssen wir vom ersten Strich an mitdenken: Wie kann ich jederzeit das Gebäude wieder öffnen, ohne es weitgehend umbauen zu müssen?

Baustelle Teilchenbeschleuniger FAIR
Um das Setzungsverhalten so gering wie möglich zu halten, wurden rund 1.350 Bohrpfähle von bis zu 60 Metern Länge eingebracht.

Kann man diese Flexibilität von Anfang an integrieren?

Das Problem ist: Wir haben gedeckelte Kosten und gedeckelte Flächen bis hin zu einzelnen Räumen. Wir dürfen keine Vorratshaltung machen, also keine Flächen überschreiten. Und wir haben eine strenge Zeitvorgabe. Wenn dann Änderungen kommen, brauchen Sie ein sehr gutes Überzeugungsgeschick und ein sehr gutes Konzept, um das beim Geldgeber durchzukriegen.

Beim Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt sind Sie nicht das einzige Architekturbüro. Wie sind hier die Rollen verteilt?

Wir haben für das Projekt mit dem Büro schneider+­schumacher die Arbeits­gemeinschaft ion42 gebildet. Beide Büros sind mit je 20 Personen dabei, in der Planung und auch in der Ausführung. Wir teilen uns alles, machen alle Leistungsphasen zusammen. Das ist sehr befruchtend.

Machen Sie solche Kooperationen öfter?

Ja, wenn die Aufgabe so speziell ist, gehen wir in Kooperation. Der große Beschleunigerring hat eine Länge von 1,1 Kilometern. Der Gebäudekomplex umfasst 20 Objekte. Das kann man allein mit einem Büro nicht wuppen. In diesem Fall planen wir seit zehn Jahren. Sie müssten dann 40 Mitarbeiter über die ganze Zeit vorhalten, das kann kaum ein Büro. Deswegen ist da Zusammenarbeit einfach erforderlich.

Wie sieht denn der Terminplan für solche Langzeitprojekte aus?

Der Terminplan zu Beginn ist eine Absichtserklärung. Auch des Bauherrn natürlich. Spannend wird es, wenn Forschungsgelder eine Rolle spielen, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt ausgegeben werden müssen. Dafür braucht man dann das Gebäude, in dem die Forschungs- und Experimentierplätze untergebracht werden sollen, die für Millionenbeträge eingekauft werden. Ist das Haus nicht fertig, verfallen die Mittel. Das gibt enormen Druck.

Baustelle Teilchenbeschleuniger FAIR
Insgesamt werden rund zwei Millionen Kubikmeter Erde bewegt, 600.000 Kubikmeter Beton und 65.000 Tonnen Stahl.

Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Die letzten Projekte haben wir oft als Generalplaner gemacht. Ein Modell, das ich sehr schätze, weil Sie dann als Architektin einen direkten Zugriff auf die Techniker und die Statiker haben und selbst den Druck aufbauen können. Wenn man da vertrauensvoll zusammenarbeitet, ist das Ergebnis nachher entsprechend gut. Immer nur Druck aufzubauen, funktioniert aber nicht. Sie müssen auch einmal sagen: „Jetzt ist Zeit zum Feiern.“

Für FAIR war der Startschuss 2008. Was macht den Teilchenbeschleuniger zu solch einem Mammutprojekt?

FAIR ist außergewöhnlich, so ein Projekt hat man nur einmal im Leben. Das werden Experimentierbauten für Wissenschaftler aus 15 finanzierenden Ländern, die alle in unterschiedlichen Richtungen forschen. Die Gesamtfläche der neuen Gebäude wird circa 150.000 Quadratmeter betragen. Dafür werden rund zwei Millionen Kubikmeter Erde bewegt, 600.000 Kubikmeter Beton und 65.000 Tonnen Stahl. Außerdem liegt alles tief unter der Erde. Allein für die Entfluchtung des Rings gibt es extra Gebäude, wir müssen Rettungswege für Hunderte Leute konzipieren, die da arbeiten. Dann ist der Baugrund nicht so ganz einfach. Um das Setzungsverhalten so gering wie möglich zu halten, sind rund 1.350 Bohrpfähle von bis zu 60 Metern Länge eingebracht worden. Für uns Architekten ist die kleinste Einheit der Millimeter. Die Wissenschaftler rechnen aber mit kleineren Einheiten, sodass wir dafür sorgen müssen, dass das Setzungsverhalten bei den Bohrpfählen für alle Gebäude gleichbleibend ist. Ansonsten würden die Experimente ins Rütteln kommen, übertrieben gesagt.

Wie ist Ihre Rolle als Architektin bei diesen Projekten?

Ich bin in der Rolle der Mediatorin. Wir sind Teil eines großen Konstruktes aus Beteiligten und müssen das Ganze zusammenführen, damit es ein Werk wird. Da muss man gute Nerven haben, darf zwischendrin nicht aufgeben. Manchmal stehen wir an einem Punkt, an dem wir nicht weiterkommen. Die Zielsetzung ist zwar die richtige, aber der Weg noch nicht. Dann fange ich an, noch einmal in eine ganz andere Richtung zu denken. Das ist sehr spannend bei diesen Aufgaben. Darin sind Wissenschaftler auch extrem gut, das kann man von ihnen lernen.

 

Weitere Beiträge finden Sie in unserem Schwerpunkt Forschen.

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