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[ Interview ]

„Etwas Radikaleres muss passieren“

Am 27. September können Sie auf dem Deutschen Architektentag unter dem Motto „Relevanz“ über gesellschaftspolitische Verantwortung, sozialen Zusammenhalt und die Nachhaltigkeit unserer gebauten Lebensräume diskutieren – unter anderem mit Keynote-Speaker Reinier de Graaf vom Büro OMA. Kerstin Kuhnekath traf ihn vorab zum Gespräch

Reinier de Graaf, Sie beschreiben in Ihrem Buch „Four Walls and a Roof“, was für ein Schock es für Sie als junger Architekt war, dass die berufliche Wirklichkeit nichts mit den Inhalten des Studiums zu tun hat. Fehlt der Bezug zur Realität in der Ausbildung von Architekten?

Das Problem ist, dass Architektur relativ isoliert vermittelt wird. Nach sechs Jahren Studium denkt man, dass es das Einzige ist, was es gibt und das zählt. Ich denke, es wäre gesünder, Architektur als Vor und Zurück zwischen der Architektur selbst und dem, was von Architekten abgefragt wird, zu begreifen. Wenn Letzteres fehlt, hindert das Architekten daran, effektvoll in der Gesellschaft zu handeln.

Das Studium ist also zu theoretisch?

gibt eine große Gewichtung in der Ausbildung, Produkte zu erschaffen und sie zur Demonstration des eigenen Talents zu nutzen. Das führt weg von dem Fakt, dass Architektur etwas ist, das man lernen kann. Die Mystifizierung, besonders von individueller Inspiration, tut der Architektur keinen Gefallen, denn so wird es schwer, sie nach außen zu erklären. Beim Bauen können eine Million Dinge falsch laufen. Man verlangt also eine große Portion Glauben in die eigene Person von den Leuten, die einen beauftragen. Man kann diesen Glauben stärken oder eben schwächen.

Die Wahrnehmung der Architekten reicht vom Dienstleister über Treuhänder bis zum „Big Influencer“. Welches Selbstbild brauchen Architekten?

Man kann die anspruchsvollste Erklärung nehmen oder die zynischste. Und keine von beiden ist wahr. Es ist ein schmaler Grat zwischen Idealismus und Zynismus. Worum es in der Architektur überhaupt geht, ist, auf dieser Linie zu laufen und nicht auf eine Seite zu fallen. Ich denke, das ist die Essenz dessen, was ein Architekt macht.

Durch die globale Immobilienwirtschaft wächst die Verdrängung in den Städten zunehmend. Müssen Architekten heutzutage politisch sein und gegensteuern?

Es werden viele teure Wohnblocks für abwesende Bewohner gebaut, die dann leer stehen. Am Ende sind es Betonskulpturen statt echter Gebäude. Der Zusammenhang zwischen der Gestaltung eines Gebäudes und dessen Nutzung ist aufgelöst. Das hat einen unterminierenden Effekt auch auf den Beruf des Architekten. Wenn man ein Problem mit diesem Trend hat – was ich habe –, muss man politisch sein bis zu einem gewissen Grad.

Wie kann das in der Praxis aussehen?

Architektur ist, technisch gesehen, ein arch-isches Phänomen. Wenn man die technologische Entwicklung von Gebäuden mit der an-derer industrieller Produkte vergleicht, sind Gebäude buchstäblich aus der Steinzeit. Ich denke, die Planung des Abrisses wird eine interessante Auswirkung haben auf Gebäude, die dadurch wirklich zu industriellen Design-produkten werden. Wahrscheinlich wird das eine Quelle großer neuer Innovationen. Wir Architekten sind faul! Wir rühren erst den Beton zusammen, bauen alles auf und am Ende hauen wir alles wieder mit dem Hammer platt. Das ist eine sehr altmodische Art des Arbeitens, die erheblich durch den finanziellen Aspekt von Bauten verstärkt wird, weil es „Immobilien“ sind. Das bedeutet, sie sollten für immer da sein. Sie sind Grundbesitz. Sie sind da, um Geld zu generieren. All das kreiert eine nicht nachhaltige Ökonomie: Menschen, die Immobilien besitzen, werden reicher. Die anderen können sich die Miete nicht mehr leisten.

Und wann, glauben Sie, hören wir auf, Sondermüll zu verbauen?

Da werden wir schon hinkommen. Interessanter ist, dass Nachhaltigkeit oft heißt, so zu bauen, wie schon immer gebaut wurde, nur mit ein bisschen mehr Verantwortung. Wir sollten ernsthaft auf größere Veränderungen schauen und die Idee der Permanenz überprüfen. Denn man hat nur Müll, wenn etwas, das permanent sein sollte, doch demoliert werden muss. Kein Haus ist permanent. Alle Häuser sind am Ende temporär. Aber das wird komplett ausgeblendet. Der Abbruch muss genauso geplant werden wie der Aufbau. Demontiert man ein Gebäude auf verantwortungsvolle Art, erhält man die Materialien separat zurück und kann sie recyceln. Wenn das einfließt in das architektonische Denken, wird das viel größere Veränderungen bringen als kosmetische Eingriffe wie Dreifach-Verglasung. Etwas Radikaleres muss passieren.

Das ist vielleicht ein psychologisches Problem. Es fällt schwer, an das Ende eines Hauses zu denken, wenn es gerade entsteht.

Das hat mit der Identitäts-Politik und dem Nonsens zu tun, dass Gebäude für die Ewigkeit sein müssen. Es steckt ganz tief in den Menschen drin. Wenn du gegen diese Politik argumentierst, schaut man dich als unsensible, unmoralische Person an. Aber ich glaube, für wirklichen Fortschritt müssen wir unsere vorgefasste Meinung aufgeben.

Auf welche Art beeinflusst die digitale Revolution die Architektur?

Sie drückt sich nicht in der Architektur aus. Ich mag diese Computer-gemorphte parametrische Architektur überhaupt nicht. Ich sehe das als verzweifelten Versuch eines im Grunde genommen altmodischen Berufs an, relevant zu bleiben. Die digitale Revolution erlaubt uns, mehr zu wissen über Gebäude, die wir bereits haben, und mehr aus ihnen zu machen. Und wenn das die Folgen der Revolution sind, dann ist das so. Das ist vielleicht das architektonische Vermächtnis.

Das ausführlichere Original-Gespräch mit Reinier de Graaf können Sie als Audio-Datei nachhören unter
www.deutscher-architektentag.de

Weitere Informationen und Interviews mit führenden Referenten sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie in unserem DABthema Deutscher Architektentag

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