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[ Brandschutz ]

Neue Aufgaben für den Brandschutz

Holzbau, natürliche Dämmungen, technisierte und begrünte Fassaden sind zukunftsweisende Entwicklungen, die in punkto Brandschutz aber kompensierende Maßnahmen erfordern

Bewohnerinformation zum Verhalten im Brandfall

Von Reinhard Eberl-Pacan

Außenwände von Gebäuden aus Putz-, Glas- oder Betonoberflächen werden zunehmend durch Fassaden abgelöst, die mehr können als nur das Gebäude selbst zu schützen. Integrierte Technik an sogenannten „Advanced Building Skins“, Holzfassaden, Dämmsysteme aus Naturbaustoffen oder bepflanzte oder berankte Außenwände sollen Energie einsparen, Umwelt und Klima schützen sowie für eine nachhaltige Bauwirtschaft sorgen. Brandschützer wittern bei diesen Fassaden mit in der Regel normalentflammbaren Baustoffen oder entzündlichen Blattwerken zusätzliche Gefahren, die im Brandfall zum Vollbrand einer Fassade mit teilweise tödlichen Folgen der Nutzer führen können.

Als es am 14. Juni 2017 um etwa ein Uhr morgens Ortszeit zu der furchtbaren Brandkatastrophe im Grenfell Tower kam, forderte die Londoner Feuerwehr die Bewohner zuerst auf: „Stay put! − Bleiben Sie in Ihren Wohnungen!“ Bereits eine halbe Stunde später war klar, dass bei diesem schrecklichen Brand der Ratschlag falsch gewesen war. Falls es außerhalb der eigenen Wohnung brennt, ist es zunächst jedoch grundsätzlich eine gute Idee, erstmal in der eigenen Wohnung zu bleiben und Ruhe zu bewahren. Aufgrund der baulichen Anforderungen an die raumabschließenden Bauteile, wie Wände und Decken zu Nachbarwohnungen, ist die Wohnung in höheren Gebäuden − Gebäudeklasse (GK) 5 – zum Beispiel für 90 Minuten sicher. In dieser Zeit sollte man die Feuerwehr unter 112 anrufen und sich am Fenster bemerkbar machen.

Schwachpunkte der Wohnung

Eine Wohnung hat jedoch zwei Schwachpunkte, die auch 80 Menschen beim Brand in London zum Verhängnis wurden. Zum einen hat die Tür zum Treppenraum in der Regel keinen Feuerwiderstand und in vielen Wohnungen im Bestand noch nicht einmal eine Selbstschließung. Brände, vor allem Rauch, im Treppenraum können so in die Wohnung eindringen. Einen weiteren Schwachpunkt der Wohnung, der im Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema „Fassade“ interessanter ist, stellen Fenster oder Verglasungen dar, für die in der Regel ebenfalls kein Feuerwiderstand vorgeschrieben ist. Sie müssen einerseits ohne komplizierte Brandschutzsicherungen geöffnet werden können und anderseits wirtschaftlich und einfach benutzbar bleiben. Die meisten Fenster aus Standard-Floatglas zerspringen bei einer Temperatur von etwa 350 bis 400 Grad Celsius. So kann sich ein Brand an der Fassade schnell in die Innenräume ausbreiten und dort zu einem Vollbrand führen, der wiederum über das Fenster auf die nächste Etage übergreift: Ein Vorgang, der bei bestimmten Fassadenkonstruktionen, etwa fehlerhaften Wärmedämmverbundsystemen (WDVS), zu einem unkontrollierbaren Brandgeschehen führen kann.

Brand des Grenfell Tower, London

Schutzziele der Bauordnungen

Um diesen Gefahren entgegen zu wirken, ist in den Bauordnungen folgendes Schutzziel für Außenwände festgeschrieben: Musterbauordnung -MBO – Fassung November 2002, zuletzt geändert am 21.09.2012, § 28 (1) „Außenwände und Außenwandteile wie Brüstungen und Schürzen sind so auszubilden, dass eine Brandausbreitung auf und in diesen Bauteilen ausreichend lang begrenzt ist.“ Konkretisiert wird diese Anforderung dadurch, dass für niedrige Gebäude (bis GK 3) normalentflammbare Baustoffe erlaubt, für höhere Gebäude (GK 4 und 5) jedoch mindestens schwerentflammbare Baustoffe vorgeschrieben sind. Für bestimmte Sonderbauten, wie Hochhäuser (oberster Fußboden über 22 Meter), sind sogar ausschließlich nichtbrennbare Baustoffe an der Fassade zulässig.

Die oben geschilderten Entwicklungen, „Advanced Building Skins“, Holzfassaden oder begrünte Außenwände führen jedoch entweder zur Verwendung neuer Bauprodukte, die oft nicht ausreichend geprüft wurden (Sonnenkollektoren), zum Einsatz nachhaltiger, organischer Baustoffe (Holz für die Oberfläche, Holzfaserplatten, Stroh, Hanf und ähnliches für Dämmungen) oder zum mehr oder weniger geregelten Bewuchs von Fassaden mit kletternden Pflanzen. Allen ist eines gemeinsam: In den meisten Fällen können sie brandschutztechnisch bestenfalls als „normalentflammbar“ eingestuft werden; überwiegend aufgrund fehlender oder unzureichender Prüfkriterien.

Unkontrollierbare Fassadenbrände

Bei der Verwendung brennbarer (normalentflammbarer) Baustoffe an der Fassade ist jedoch größte Vorsicht geboten. Brände vor dem Gebäude oder aus Fenstern von brennenden Wohnungen können dadurch erheblich beschleunigt und so zu einer großen Gefahr werden. Zunächst hat aus diesem Grunde ja auch die Bauordnung für Gebäude ab GK 4 (oberster Fußboden über 7 m) dem Einsatz solcher Baustoffe einen Riegel vorgeschoben.

Doch keine Regel ist ohne Ausnahme. Durch Abweichungen oder Erleichterungen auf Basis des § 57 MBO: „Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes […] zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung […] mit den öffentlichen Belangen, […] vereinbar sind“, können auch bei höheren Gebäuden normalentflammbare Baustoffe zugelassen werden, wenn sich dadurch beispielsweise die Gefahr der Brandausbreitung auf dieser Außenwand nicht wesentlich erhöht.

Erfahrungen mit dem Einsatz normalentflammbarer Baustoffe bei Außenwänden von Gebäuden bis an die Hochhausgrenze gibt es bisher wenig. Seit etwa 2008 werden verschiedene Forschungsprojekte zu Fassaden aus Holz- oder Holzbaustoffen durchgeführt, allerdings ohne positive Auswirkungen auf Bauordnungen oder Bauvorschriften. Daneben werden, zum Beispiel im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg ab 2006, zunehmend mehrgeschossige und urbane Gebäude mit Holzfassaden genehmigt und fertig gestellt.

Woodcube, Stadtvilla mit Holzfassade im Rahmen der IBA Hamburg

Kompensation durch Brandsperren

Die zugrunde liegenden Beurteilungen in Brandschutzkonzepten oder -nachweisen basieren dabei überwiegend auf individuellen Betrachtungen der entstehenden zusätzlichen Brandgefahren und der erforderlichen Kompensationen, die sich schwer verallgemeinern lassen. Neben verschiedenen Einzellösungen, wie halbstationären Löschanlagen (trockene Steigleitungen, die im Brandfall durch die Feuerwehr mit Löschwasser versorgt werden) für ein schnelles Löschen der Holzfassade, hat sich in der Praxis inzwischen hauptsächlich die Anordnung sogenannter Brandsperren oder Brandschürzen durchgesetzt.

Details verschiedener Arten von Brandsperren für Holzfassaden

Diese Brandsperren werden in der Regel geschossweise angeordnet und behindern sowohl eine Brandweiterleitung innerhalb einer (hinterlüfteten) Holzfassade als auch auf der Oberfläche. Um diese Schutzfunktion wirklich erreichen zu können, müssen sie aus mindestens 1,5 Millimeter dickem, über mindestens 30 Minuten formstabilem Stahlblech (kein Aluminium) bestehen und mindestens 15 Millimeter über die Außenwand auskragen (Bild 4 und 5). Die Befestigung an der „Kernwand“ muss sicher sein, darf aber aus energetischen Gründen zu keinen Wärmebrücken führen (formstabiler nichtbrennbarer Dämmstoff, zum Beispiel Mineralwolle mit einem Schmelzpunkt >1.000°C).

Holzfassade mit horizontalen Brandsperren

Advanced Building Skins

Erfahrungen im Umgang mit besonderen Brandrisiken liegen auch hinsichtlich Photovoltaikanlagen und ähnlichem vor, die immer häufiger eingesetzt werden als Produkte zur Steigerung der Energieeffizienz für „Advanced Building Skins“. Sie werden oft nicht nur in Einzelflächen, sondern komplett über Dach- oder Fassadenflächen installiert und es bedurfte verschiedener spektakulärer Brandereignisse, bis die Gefährlichkeit solcher Bauprodukte erkannt wurde; insbesondere im Hinblick auf Löschmaßnahmen durch die Feuerwehr.

Kurzschlüsse und elektrische Lichtbögen verursachten bei Löscharbeiten gefährliche Stromschläge durch Strom führende Bauteile, da Photovoltaikanlage nicht komplett spannungsfrei geschaltet werden können und Gleichstrom ab ca. 120 V für Menschen tödlich sein kann. Die Ursachen sind meist Installationsfehler oder Produkt- und Planungsmängel. Statistisch kam es laut Internationalem Wirtschaftsform Regenerative Energien (IWR) jedoch nur bei ca. 0,014 Prozent aller PV-Anlagen in Deutschland zu solchen Brand- oder Schadensereignissen

Begrünte Fassaden

Last but not least muss man sich in diesem Zusammenhang auch mit der Bepflanzung und Begrünung von Hausfassaden auseinandersetzen. Aufgrund ihrer positiven Einflüsse auf das Mikroklima besonders in verdichteten Innenstädten, den sommerlichen Wärmeschutz oder den Schutz der Bausubstanz finden sie immer mehr Verbreitung und sind in Bauordnungen teilweise sogar vorgeschrieben (z.B. Landesbauordnung Baden-Württemberg).

Fassadenbegrünung mit diversen Gerüstkletterpflanzen an Kletterhilfen

Gepflegte und vitale Fassadenbegrünungen können – ähnlich wie begrünte Dächer als „harte Bedachung“ – als „normalentflammbar“ (B2) eingestuft werden. Allerdings gibt es keinerlei Regelungen oder Prüfungen, die diese Einstufung bestätigen oder dauerhaft garantieren würden. Spätestens wenn Fassadenbegrünungen durch mangelhafte Pflege und Beaufsichtigung verwildern oder vertrocknen, stellt sich die Frage, ob diese nicht als „leichtentflammbar“ (B 3) eingeordnet und damit als „Baustoffe […] nicht verwendet werden“ (MBO § 26 Abs. 1) dürfen. Bei Gebäuden der GK 4 und 5 stellt sich zudem die Frage, durch welche Maßnahmen das Schutzziel, „Brandausbreitung auf und in diesen Bauteilen ausreichend lang“ zu begrenzen, eingehalten und die nicht vorhandene Schwerentflammbarkeit kompensiert werden können.

Kompensationsmaßnahmen frühzeitig planen

Die Verwendung neuer Techniken und Baustoffe an Fassaden höherer Gebäude (GK 4 und 5 oder Sonderbauten) ist möglich, wenn die Normalentflammbarkeit dieser Baustoffe hingenommen und durch andere brandschutztechnische Maßnahmen kompensiert wird. Diese Kompensationsmaßnahmen müssen bereits in der frühen Planungsphase gut durchdacht sein und bei der Ausführung gewissenhaft umgesetzt und überwacht werden. In Zukunft wird es weitere innovative Entwicklungen zu Advanced Building Skins, zur Begrünung von Außenwänden und zur Verwendung von Holz an Fassaden geben. Sie können unser gewohntes Stadtbild bereichern und für Nachhaltigkeit und ein gesundes Mikroklima sorgen. Die erforderlichen Brandschutzmaßnahmen dürfen dabei aber nicht außer Acht gelassen werden.

Reinhard Eberl-Pacan ist Architekt und Brandschutzplaner in Berlin


LITERATUR:

Eberl-Pacan, Reinhard: Mehrgeschosser brauchen Brandsperren, mikado „Details im Griff“, November 2012

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter, Dipl.-Ing. Michael Merk: TEILPROJEKT 02 Brandsicherheit im mehrgeschossigen Holzbau,

DIN 4102-1:1998-05: „Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen – Teil 1: Baustoffe; Begriffe, Anforderungen und Prüfungen“

DIN EN 1363-1:2012-10: „Feuerwiderstandsprüfungen – Teil 1: Allgemeine Anforderungen“

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