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[ Technik ]

Kein Verzug bei Gefahr

Ein Leitfaden für Planung, Ausschreibung und Ausführung von Türen für Flucht- und Rettungswege

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Text: Robert Krippahl, Jürgen Benitz-Wildenburg

Bei Gefahr müssen Menschen ein Gebäude durch Türen verlassen können, die leicht und zuverlässig öffnen. Die Hauptanforderung an eine Flucht- oder Notausgangstür ist deshalb, dass diese durch eine einzige Betätigung öffnet, also der Beschlag die Tür auch ohne Schlüssel freigibt. Dies wird nur im Zusammenspiel aus Türblatt, Zarge und Beschlagteilen erreicht. Für „Fluchttüren“ wird daher in der Produktnorm EN 14351-1 für Fenster und Außentüren als wesentliches Merkmal die „Fähigkeit zur Freigabe“ verlangt.

Notausgangs- und Panikfunktion festlegen

Für eine erfolgreiche Ausschreibung muss der Planer die Einflüsse der „individuellen“ Einbausituation berücksichtigen und festlegen, ob die Beschläge eine Notausgangs- oder Panikfunktion haben sollen, da dies erhebliche Auswirkungen auf die Konstruktion und Nutzung hat. Eine Tür mit Beschlägen nach EN 179 (Fluchttür) ist ausreichend, wenn die Nutzer über den Notausgang und dessen Bedienung informiert und Verzögerungen durch eine Fehlbedienung unwahrscheinlich sind.

Eine „Paniktür“ mit Beschlägen nach EN 1125 eignet sich für Fluchtwege in Gebäuden, in denen sich Personen aufhalten, die keine Instruktion zur Türbedienung erhalten haben. Das ist zum Beispiel in Kinos, Konzertsälen oder öffentlichen Gebäuden der Fall. Hier verläuft eine „Betätigungsstange“ auf voller Türbreite und die Tür lässt sich auch öffnen, wenn mehrere Personen zu einer Fluchttür eilen und gegen sie drücken. Dieser Öffnungsmechanismus muss unabhängig davon funktionieren, ob die Türen durch das Abschließen verriegeln oder aus Brand- oder Rauchschutzgründen mittels Schlossfalle nur ins Schließblech einrasten (Grafik Seite 55).

Bau- und produktrechtliche Anforderungen

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Festlegung durch Planer: die Ausführung des Beschlages der „Notausgangstür“ (links) oder der „Paniktür“ (rechts).

Die Anforderungen aus der Musterbauordnung (MBO), den Landesbauordnungen (LBO) sowie den Sonderverordnungen für Türen in Flucht- und Rettungswegen können folgendermaßen zusammengefasst werden:

– die Türen müssen sich leicht und über die volle Breite öffnen lassen,

– die Türen müssen nach außen aufschlagen,
– die Türen dürfen keine Schwelle haben.

Die Festlegungen und Anforderungen an Türen in Flucht- und Rettungswegen im Sinne des deutschen Baurechts können zwar auch mit Türdrückern nach DIN 18273 und Schlössern nach DIN 18250 (siehe Bauregelliste, Teil A 1, Abschnitt 6), erreicht werden. Jedoch besteht durch die europäisch harmonisierte Produktnorm EN 14351-1 und die Bauproduktenverordnung (BauPVO) die Verpflichtung, die Außentür hinsichtlich der „Fähigkeit zur Freigabe“ als Bau­produkt im „System 1“ zu fertigen sowie Bänder nach EN 1935 und Beschläge nach EN 179 beziehungsweise EN 1125 zu verwenden. Das System 1 (AVCP 1 nach BauPVO) ­verlangt eine Erstprüfung sowie die Bewertung und Abnahme der werkseigenen Produktionskontrolle (WPK) sowie eine Erst- und Regelüberwachung des Herstellerwerkes. Dies gilt auch für Beschlagteile wie Panik- und Notausgangsverschlüsse gemäß EN 1125 „Paniktürverschlüsse“ und EN 179 „Notausgangsverschlüsse“. Das Institut für Fenstertechnik (ift Rosenheim) empfiehlt im Kommentar zur Produktnorm Planern, Architekten und Behörden deshalb, Außentüren in Flucht- und Rettungswegen nach der Produktnorm EN 14351-1 auszuschreiben und für die „Fähigkeit zur Freigabe“ den erforderlichen Beschlagtyp (EN 179 oder EN 1125) vorzugeben. Es ist auch darauf zu achten, dass der Hersteller die CE-Kennzeichnung, die Leistungserklärung und das „Zertifikat zur Bestätigung der Leistungsbeständigkeit“ vorlegt.

Planerische Grundsätze

Der Planer muss aus seinen Informationen über Objekt, Nutzung, Nutzerkreis, Rettungswegkonzept usw. dem Hersteller den erforderlichen Verschlusstyp vorgeben, damit dieser die richtige „Fluchttür“ nach EN 14351-1 anbieten kann. Es sollten auch Angaben zur Lage der Tür im Gebäude und zur geplanten Nutzungsfrequenz gemacht werden. Außerdem sollten die Anforderungen bezüglich Publikumsverkehr, Brand- und Rauchschutz, behindertengerechter Ausführung sowie Einbruchssicherheit benannt werden.

Um das richtige System für die vorhandene oder geplante Situation der Fluchttür auszuwählen, muss der Planer eine Risikoanalyse durchführen. Im Zweifelsfall sollte eine Paniksituation angenommen und es sollten Paniktürverschlüsse verwendet werden.

Sollen die Türen in automatische Freigabe- oder Kontrollsysteme integriert werden, müssen die Arbeiten einem Gewerk klar zugeordnet werden, zum Beispiel der Firma, die die Türen liefert und montiert, dem Elektriker oder dem Haustechniker. Falls elektrische Verriegelungssysteme, sogenannte Fluchtweg- ­beziehungsweise Rettungswegsicherungssysteme, verwendet werden, unterliegen diese der EN 13637 – „Schlösser und Baubeschläge – elektrisch gesteuerte Fluchttüranlagen für Türen in Fluchtwegen“. Hilfe bei der Auswahl der Beschläge leistet zudem die unten stehende Tabelle.

Montage, Inbetriebnahme und Wartung

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Sicherheitskontrolle: Messung der Freigabekräfte des Beschlages einer Paniktür.

Die EN 14351-1 sieht vor, dass bei Fluchttüren der gesamte Prozess von der Konstruktion über die Herstellung bis zur Endabnahme zu überwachen und zu prüfen ist. Hierzu gehören auch Unterlagen wie Einbau-, Befestigungs- und Wartungsanweisungen, die vor Ort für die Montage, Funktionskontrolle, Abnahme und Übergabe vorliegen müssen.

Um die Gebrauchstauglichkeit und Funktion von Notausgangs- oder Paniktüren sicherzustellen, sollten routinemäßige Wartungsprüfungen in den vom Hersteller empfohlenen Zeitabständen durchgeführt werden, mindestens die Inspektion und Betätigung des ­Paniktür- oder Notausgangsverschlusses. Dabei sollte auch überprüft werden, ob alle Bauteile der Anlage den ursprünglich gelieferten Bauteilen entsprechen oder ob Verriegelungsvorrichtungen nachträglich montiert oder demontiert wurden. Hierbei können auch die Betätigungskräfte zum Freigeben des Notausgangs- beziehungsweise Panik­verschlusses ermittelt werden. Sperrgegenstücke wie Bodenmulden sollten auf Verschmutzungen überprüft und gegebenenfalls gereinigt und die Befestigungsschrauben der Beschläge auf festen Sitz kontrolliert werden. Als sinnvoller Zeitraum ist in der EN 179 beziehungsweise der EN 1125 eine monatliche Kontrolle angegeben. Die durchgeführten Wartungen sind in einem Wartungsbuch zu dokumentieren. Die Montage- und Wartungsanleitungen sowie das Prüfbuch sind an den Bauherrn zu übergeben, damit dieser den Gebäudebetreiber unterweisen kann. Neben üblichen Wartungshinweisen sind Besonderheiten eindeutig zu formulieren und durch Aufkleber im Falzbereich zu kennzeichnen – zum Beispiel wenn die Beschläge bei Brandschutztüren nicht geölt werden dürfen.

Nachrüstung bestehender Türen

Werden Beschläge nach EN 179 beziehungsweise EN 1125 an bestehenden Türen in Fluchtwegen nachgerüstet, entsteht eine „neue“ Türkonstruktion. Zunächst ist hier zu prüfen, ob die Qualität der vorgesehenen Beschläge gleich oder besser ist als die der vorhandenen, andere Anforderungen an die Tür nicht beeinflusst werden, die Dimensionen und Maße der Tür (besonders die lichte Durchgangsbreite) unverändert bleiben, die Tür ihre zugesicherten Eigenschaften beibehält und sie die Anforderungen an die Zwängungsfreiheit erfüllt. Letzteres bedeutet, dass die Tür über die gesamte lichte Breite zu öffnen ist und nicht durch Griffe oder andere Anbauteile reduziert wird. Nachgerüstete Türen können im Einzelfall zwar die baurechtlichen Anforderungen an Türen in Rettungswegen erfüllen, nicht jedoch die Anforderungen an Türen in Fluchtwegen nach EN 14351-1, da weder eine Erstprüfung noch eine werkseigene Produktionskontrolle durch eine Zertifizierung nachgewiesen wird.

Normen und Regelwerke

  • MBO Musterbauordnung, Fassung November 2002, Änderung Oktober 2012, www.is-argebau.de
  • ifz info TU-06/1, Türen in Flucht- und Rettungswegen – Anforderungen, Normen und ­Planungshinweise für Hersteller und Planer
  • Kommentar zur DIN EN 14351-1 Fenster und Türen – Produktnorm, Leistungseigenschaften. Herausgeber: Ulrich Sieberath; Professor Christian Niemöller, www.ift-rosenheim.de, ISBN: 978-3-86791-346-1
  • EN 179 – Schlösser und Baubeschläge – Notausgangsverschlüsse, mit Drücker oder Stoßplatte für Türen in Rettungswegen – ­Anforderungen und Prüfverfahren, Berlin: Beuth ­Verlag GmbH
  • EN 1125 – Schlösser und Baubeschläge – Paniktürverschlüsse mit horizontaler Betätigungsstange für Türen in Rettungswegen – Anforderungen und Prüfverfahren. Berlin: Beuth Verlag GmbH
  • EN 13637 – Schlösser und Baubeschläge – elektrisch gesteuerte Fluchttüranlagen für ­Türen in Fluchtwegen – Anforderungen und Prüfverfahren. Berlin: Beuth Verlag GmbH

Dipl.-Ing. (FH) Robert Krippahl ist Produktmanager und stellvertretender Prüfstellenleiter für Türen und Tore und Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Benitz-Wildenburg ist Leiter Öffentlichkeitsarbeit beim ift Rosenheim

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