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Grundriss fürs Leben

Barrierefreies Wohnen braucht nicht unbedingt größere Flächen

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Mustergrundrisse: Diese Lösungen zeigen, dass barrierefrei gestaltete Wohnungen nicht mehr Fläche benötigen. Es kommt vielmehr auf die Raumzuschnitte und eine intelligente Flächenverteilung an.

Text: Michael Reichenbach

Vor allem in Ballungsgebieten steigen die Wohnkosten. Damit für breitere Bevölkerungsschichten die Mieten und Kaufpreise bezahlbar bleiben, sind deutlich kleinere Wohnungen gefragt. Demgegenüber steht der Bedarf an mehr altersgerechten Wohnungen, die nach Meinung vieler mehr Fläche benötigen. Dieses scheinbare Dilemma lässt sich jedoch leicht auflösen, wenn bei der Planung von Wohnungen grundsätzlich bestimmte Grundanforderungen berücksichtigt werden:

– stufenlose und schwellenfreie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit,
– Bewegungsflächen, die eine Nutzung von Hilfsmitteln wie auch Assistenz ermöglichen,
– leicht auffindbare und erkennbare Einrichtungen und Funktionsbereiche,
– Anpassungsfähigkeit und Nachrüstbarkeit von Ausstattungen.

Diese Grundausstattung bietet in allen Lebensphasen Vorteile und Komfort. Da in der Regel der letzte bewusst geplante Umzug zwischen 55 und 65 Jahren erfolgt, müssen wir davon ausgehen, dass die Menschen in ihren Wohnungen auch die Einschränkungen des Alterns hinsichtlich Motorik, Sensorik, Kondition und Kognition erleben. Das heißt auch, dass diese Wohnungen und das Umfeld so weit wie möglich den Erhalt der Lebensautonomie gewährleisten sollen. Hinsichtlich der Schwellenfreiheit und der Flächen gilt dies nicht zuletzt auch für das in diesem Zusammenhang regelmäßig angeführte Beispiel des Kinderwagens. Erleichterungen beim Sehen lernen wir bereits im Alter um die fünfzig zu schätzen, wenn die Lichtempfindlichkeit und die Anpassungsfähigkeit des Auges nachlassen.

Um zu klären, wie viel Fläche barrierefreie Wohnungen tatsächlich benötigen, wurden die abgebildeten Mustergrundrisse entwickelt. Sie zeigen marktübliche, durchschnittlich große Wohnungen einer typischen Blockrandbebauung, die alle Flächenanforderungen der DIN 18040, Teil 2 (Barrierefreie Wohnungen) erfüllen. Ihre Grundrisse sind also auf den 1,20-Meter-Standard ausgelegt. Doch würden sie sich auch für viele Rollstuhlbenutzer eignen – selbst die Küchen und Bäder. Längere Küchenzeilen sind bereits enthalten, um den höheren Bedarf an Stauraum in Greifhöhe und unterfahrbaren Flächen zu berücksichtigen. Diese funktionieren für den überwiegenden Teil der Rollstuhlbenutzer auch in den Bädern. Demnach wird also nicht, wie häufig argumentiert, für barrierefreie Wohnungen stets mehr Fläche benötigt. Erreichen lässt sich dies mit einer intelligenten Verteilung der Flächen und der Raumzuschnitte. Generell sollten auch alle Zimmer breiter als 2,75 Meter sein, um die Stell- und Bewegungsflächen für eine möglichst variable Nutzung zu gewährleisten.

Die dargestellten Grundrisse stellen gewissermaßen einen Ideal-Flächenstandard am Beispiel konventioneller Wohnmuster dar. Doch wie lässt sich Barrierefreiheit mit der Forderung nach kleineren Wohnungen vereinbaren? Das funktioniert beispielsweise durch die Auflösung von festen Zimmerstrukturen und die Überlagerung von Bewegungsflächen. Mithilfe variabler Trennwandsysteme kann dies auch temporär erfolgen. Ja nach Standort und Zielgruppe ist in der Auslegung die Kreativität der Planenden gefordert.

Normen richtig interpretieren

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Schön praktisch: Ein unterfahrbarer Waschtisch, der ebenso wie die Toilette möglichst noch in der Höhe verstellbar ist, und eine bodenebene Dusche sind für Menschen jeder Altersgruppe hilfreich.

Bedauerlicherweise bestehen aus Unkenntnis der Normen noch immer große Missverständnisse hinsichtlich der Barrierefreiheit. Häufig werden Anforderungen aus dem „R-Standard“ (1,50-Meter-Standard für Rollstuhl) und aus der DIN 18040-2 ohne erweiterte Anforderungen vermischt. Das führt häufig dazu, dass schon die DIN-Anforderungen gänzlich abgelehnt werden und viele Wohnungsunternehmen meinen, sie müssten ihren eigenen Standard entwickeln. Doch hinsichtlich der Wohnungen ist das überflüssig, wie die Grundrisslösungen zeigen.

Lediglich die Vertikalerschließung von Wohnhäusern ist nicht ohne Weiteres barrierefrei herzustellen. Wo aber ein Aufzug bauordnungsrechtlich ohnehin gefordert ist, spricht nichts gegen eine geeignete Ausgestaltung der anliegenden Wohnungen. Aber auch in Häusern mit Aufzug sind die Treppen nicht zu vernachlässigen, etwa für den Bedarf von Menschen mit Seheinschränkungen, die häufig in ihrer Mobilität gar nicht eingeschränkt sind. Deshalb sollten alle Treppen so kontrastreich ausgeführt werden, dass sie mit nachlassender oder eingeschränkter Sehfähigkeit sicher begangen werden können und beidseitig über einen Handlauf verfügen. Außerdem ist ein Steigungsverhältnis von 17/29 zu bevorzugen, damit diese Treppen auch mit nachlassender Kraft gut zu begehen sind. Natürlich soll den Wohnungsunternehmen nicht der Spielraum genommen werden, auf die standortspezifische Nachfrage angemessen zu reagieren. Deshalb wurde auch das Prinzip der Schutzziele in die DIN 18040 aufgenommen. Unser Ziel soll die Verwirklichung baulicher Anlagen sein, die in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind – und dies für einen möglichst großen Personenkreis im Sinne einer universalen Gestaltung.

Aparte Lösungen fürs Bad

Zuweilen ist auch zu hören, dass sich barrierefreie beziehungsweise rollstuhlgerechte Wohnungen häufig nicht gut vermieten lassen. Das mag insbesondere für die Wohnungen gelten, in denen die Anmutung des Barrierefreien dominiert: Stützgriffe und Klinikarmaturen, steril-weiße Fliesen und das 52 Zentimeter hohe Stand-WC, Modell Sultan oder Pascha, sowie Kippspiegel und Schiebetüren. Jedoch gerade bei Bädern gibt es keinen Grund, auf die ästhetische Gestaltung zu verzichten. Eine niveaugleiche Dusche ist schon längst ein Designobjekt. Eine Badewanne kann auf dem Duschplatz aufgestellt und nach Bedarf entfernt werden, wie die Beispielgrundrisse oben zeigen. Die Unterkonstruktionen für Stütz- und Haltegriffe können unauffällig vorgerüstet und die Griffe später nach Bedarf montiert werden. Ein WC-Block mit Höhenverstellung erspart bei überschaubaren Mehrkosten das spätere Aufreißen der Installationsvorwand und ermöglicht eine stufenlose Anpassbarkeit der WC-Höhe an die Bedürfnisse des Bewohners. Einerseits kommen erfahrungsgemäß auch viele Rollstuhlfahrer mit einer Standard-WC-Höhe von 42 Zentimetern besser zurecht. Andererseits kann diese auch für einen Menschen mit einer heute durchaus nicht unüblichen Körpergröße von 1,90 Metern unpraktisch sein. Ein Waschtischspiegel mit einer Höhe von einem Meter, der knapp über dem Waschtisch beginnt, ist deutlich eleganter und preisgünstiger als jeder Kippspiegel und deckt ebenfalls alle Anforderungen ab.

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Zwei Badobjekte, eine Lösung: Duschbad mit Stellfläche für eine Wanne.
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Entscheidung für die Wanne: Duschbad mit eingebauter Wanne auf der Duschfläche.

Alternative Wohnformen

Barrierefreies Bauen erfordert ein universales Gestaltungsprinzip, das den Menschen in seiner Vielfalt berücksichtigt. In diese Basisversorgung sind Angebote für den erweiterten Bedarf einzustreuen. Denn es soll keinesfalls ignoriert werden, dass es auch individuelle Anforderungen gibt, die deutlich über diese universellen Gestaltungsprinzipien hinausgehen. Bei Betrachtung der derzeit üblichen Kette von Versorgungsformen bei zunehmendem Verlust der Lebensautonomie und steigendem Assistenzbedarf lässt sich erkennen, dass sich die Anbieter von stationärer Pflege und die klassische Wohnungswirtschaft annähern. Hier gibt es noch eine Vielfalt neuer Wohnmodelle zu entwickeln. Dazu gehören unbedingt auch Angebote mit intensiver Assistenz und Pflege, wenn das Wohnen in den bisherigen vier Wänden nicht mehr eigenständig möglich ist.

Dabei ist die Wohnung in ihrer Zugänglichkeit und Nutzbarkeit keinesfalls isoliert zu betrachten. Im unmittelbaren Wohnungsumfeld müssen soziale Netzwerke aufgebaut und gepflegt werden, um den zunehmenden Wegfall der familialen Netzwerke zu kompensieren und die ­Alltagskompetenzen zu sichern und zu erhalten. Diskret eingesetzte technische Assistenz­systeme sorgen zusätzlich für Sicherheit und Autonomie. Außerdem können Dienstleistungen und Assistenz auf Abruf nach Bedarf eine kostengünstigere und ­effektivere Versorgung ermöglichen. Dabei sind eventuell doch auftretende Mehrkosten gut angelegtes Kapital im Sinne einer Präventionsrendite, wenn wir damit unsere Lebensautonomie im angestammten Umfeld so lange wie möglich erhalten können

Dipl.-Ing. Architekt Michael Reichenbach ist Sachverständiger für barrierefreie Bauplanung und Umfeldgestaltung in Berlin.

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