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Leistungsphase Flirt

Per Speed-Dating begegnen sich Paarungswillige im Fünf-Minuten-Takt – in Wien auch Architekten und Bauwillige

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Text: Wojciech Czaja

Speed-Dating ist eine Methode, um schnell und unkompliziert an potenzielle Flirt- und Beziehungspartner zu gelangen. Man sitzt einander gegenüber, hat meist fünf oder sieben Minuten Zeit, um sich kennenzulernen und auszutauschen, bis beim ersten Gong einer der beiden aufsteht, zum nächsten Tisch weiterzieht und mit dem neuen Gesicht vis-à-vis abermals drauflos flirtet, als ob es kein Morgen gäbe. Am Ende der gesamten Runde – meist geht das Speed-Dating mit bis zu zehn Tischkonstellationen über die Bühne – kann man mit denjenigen, bei denen die Chemie gestimmt hat, Kontakte austauschen und ist zumindest um eine Lebenserfahrung reicher.

Erfunden wurde das Speed-Dating, wenig überraschend, in den USA. Das soziokulturelle Milieu jedoch, in dem das Kreisel-Rendezvous erstmals stattfand, hat durchaus Aha-Potenzial. Zurückzuführen nämlich ist die Idee auf Rabbi Yaacov Deyo, Mitglied der jüdisch-orthodoxen Organisation Aish HaTorah in Los Angeles, der auf diese Art und Weise eine unkomplizierte Kontakt- und Hochzeitsplattform für alleinstehende Juden und Jüdinnen schaffen wollte. Heute, knapp zwei Jahrzehnte nach der Diaspora-Premiere, ist Speed-Dating aus dem Liebesgeschäft nicht mehr wegzudenken. In den meisten Großstädten finden die Tempo-Treffen in regelmäßigen Abständen statt. Oft blättern die Singles, um sich im Kreise durchzuflirten, bis zu 30 Euro hin.

„Ja, bei drei Leuten hat es heute durchaus gefunkt“, meint Petra Z. „Ich werde noch mal drüber schlafen, denke aber, dass ich mit den paar Damen und Herren, die infrage kommen, in den kommenden Tagen Kontakt aufnehmen werde.“ Die Wiener Unternehmerin ist keineswegs auf der Suche nach einem wie auch immer getakteten Partner, sondern sieht sich derzeit nach einem passenden Architekten für ihr Bauprojekt um – mittels Speed-Dating, versteht sich. „Ich bin Besitzerin eines gründerzeitlichen Zinshauses, das ich demnächst sanieren möchte. Das Speed-Dating ist für mich eine gute Gelegenheit, um in knapper und komprimierter Form möglichst viele Architektinnen und Architekten kennenzulernen. Das ist mir lieber, als Dutzende Termine auszumachen und ebenso viele Büros abzuklappern.“

Speed-Dating für potenzielle Bauherren wird in Österreich bereits seit 2006 angeboten. Fand das ungewöhnliche Kennenlernen anfangs noch im Rahmen Architekturtage alle zwei Jahre statt, so ist es mittlerweile ein Fixum der alljährlichen Fachmesse „Bau-en & Energie“ auf dem Wiener Messegelände. Interessenten reisen aus ganz Österreich an, um für sieben mal sieben Minuten mit dem Wunschplaner in spe zu flirten.

„Leider kennen wir privat keinen einzigen Architekten“, sagen Daniela Gröller und Martin Karner. Das junge Paar kommt aus Mattersburg im Burgenland. Die Schwiegermutter haben sie als dritte, objektive Stimme mit ins Auto gepackt. „Wir haben ein Hanggrundstück gekauft und möchten darauf ein modernes Haus mit circa 180 Quadratmetern errichten. Das Speed-Dating ist eine gute Möglichkeit, um abzutasten, was geht und was nicht.“ Und? War jemand Passendes dabei? „Ja, ein Architekt hat uns ziemlich gut gefallen. Den werden wir auf jeden Fall mit einem Konzept beauftragen.“

Aus der Wissenschaft ist die Kritik zu hören, dass die inneren Werte beim Speed-Dating zur Nebensache degradiert und dass sich die Kandidatinnen und Kandidaten bloß auf die augenscheinliche Optik konzentrieren würden. Zahlreiche Studien belegen, dass der tatsächliche Output dieser modernen Kontaktbörse mitunter ein frustrierender ist. Beim Architekten-Speed-Dating punktet zwar nicht der mit dem feschesten Körperbau, sehr wohl aber jener, der es am besten versteht, sein Mundwerk einzusetzen. Rhetorik ist neben der Chemie das wichtigste Kapital der hier antretenden Akquisiteure. Die Qualität der dargebotenen Arbeit tritt in den Hintergrund.

„Und? Haben Sie sich schon überlegt, in welcher Preisklasse Sie bauen möchten?“, fragt einer der Protagonisten auf der „Bauen & Energie“ einen eher ratlos dreinblickenden Interessenten, der aus seiner Aktentasche Bebauungspläne und bereits bekritzelte Google-Earth-Ausdrucke hervorzieht. „Ich meine, wie sind denn Ihre Wohn- und Budgetvorstellungen?“ Schweigen. „Also gut, dann erzähle ich Ihnen einmal, welche Planungsleistungen ich Ihnen anbieten kann. Als Erstes ist es wichtig, dass …“ Das Gespräch hat noch nicht begonnen, schon geht die Anbahnung den Bach runter.

„Mit ein paar Leuten hat es ganz gut funktioniert, bei anderen habe ich mich heute wahnsinnig schwer getan“, sagt der sichtlich betroffene Architekt, der an dieser Stelle die Gunst der Anonymität genießen soll. „Ich habe ehrlich gesagt keine Hoffnung, dass mich irgendeiner der Bauherren kontaktieren wird.“ Entsprechend nüchtern fällt auch das Feedback der Messebesucher aus. „Ach, der! Nein, da hat es nicht so richtig gefunkt. Nach ein paar Sätzen wussten wir schon nicht mehr, was wir reden sollen.“ Sieben Minuten können eine kleine Ewigkeit sein.

Weit erfolgreicher sind an diesem Tage jene Architektinnen und Architekten, die gleich ein kleines Mäppchen mit Projekten aus der Tasche ziehen, die farbgedruckte Broschüren austeilen und die persönliche Anekdoten aus bereits abgewickelten Projekten erzählen. Was zählt, ist der persönliche Touch. Der zieht immer. Und die Beobachtung zeigt, dass die Qualität des Dialogs mit jener der präsentierten Einfamilienhaus-Projekte nicht zwangsweise korreliert. Da hätten die Speed-Dating-Wissenschaftler einiges auszuwerten.

„Ach, einen Keller wollen Sie bauen?“, fragt eine Architektin ihr Gegenüber in der ersten der ihr zur Verfügung stehenden sieben Minuten. Eva und Roman K. nehmen einander an der Hand und nicken im Akkord. „Sie wissen aber schon, dass ein Keller eine ziemlich teure Angelegenheit ist? 30 Prozent der Rohbaukosten fließen da rein. Wenn Sie also nicht unbedingt einen Keller brauchen, lässt sich das Geld auch sinnvoller investieren.“ Dem frisch verheirateten Paar aus Niederösterreich gefriert das Grinsen. Fassungslosigkeit wandert übers Gesicht. Ironie des Schicksals: Mit jedem Gong wechseln die Architektinnen und Architekten den Sitzplatz, und ein neues Gegenüber tritt in Erscheinung, und mit jedem Gong bekommen die beiden die immer gleichen Zweifel zu hören.

„Wir sind jetzt völlig verunsichert“, erzählt Roman K. später. „Wir haben den Entwurf selbst gezeichnet, wir wussten bereits genau, wie das Haus ausschauen soll, eigentlich wollten wir uns bloß ein paar Tipps und Tricks abholen, und jetzt haben wir sieben Mal gehört, dass es ein Blödsinn ist, einen Keller zu bauen.“ Doch immerhin, fügt Eva K. hinzu, könne man sich jetzt vorstellen, statt mit einem eher handwerklich orientierten Baumeister mit einem Architekten zu bauen. „Da wird schon was dran sein, wenn alle das Gleiche sagen. Vielleicht ist es keine schlechte Idee, sich mal mit einem Architekten zusammenzusetzen. Vielleicht wird das Ding dann sogar ein bisschen billiger.“ Und nach einer kurzen Pause: „Lustig, denn meist hört man das Gegenteil. Sie wissen schon, Architekten, schwarz gekleidet und doppelt so teuer!“

Architekten-Speed-Dating sei ein gutes Format, um gewisse Vorurteile abzubauen, meint Martin Ertl von ertl und henzl architektur. Er ist sein Erfinder und nutzt seit 2006 jede Möglichkeit, um mit neuen Bauherren in Kontakt zu kommen. „Natürlich ist es schön, wenn am Ende des Tages ein Auftrag rausschaut, aber in erster Linie sehe ich Speed-Dating als Aufklärung und Ehrensache für die Branche.“ Und der Wiener Architekt Andreas Aichberger, einer der Bauherrenlieblinge auf der Messe, so viel ist klar, erklärt: „Dieses Gespräch auf Augenhöhe ist sehr wichtig, um als Architekt nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, um nicht abzuheben. Die Menschen haben bestimmte Wünsche, Vorstellungen und Ängste, und wenn es uns gelingt, sie dort abzuholen, dann haben wir bereits einen großen Beitrag geleistet. Mir macht das Daten Spaß!“

Seit Kurzem gibt es am Markt ein Format, das in gewisser Weise eine Fortsetzung des bereits Bestehenden ist. Die beiden Architektinnen Astghik Der Sakarian und Heide Schicht vom Wiener Büro Beluga & Toechter laden seit einigen Monaten zum sogenannten Wohn- und Baucafé – nichts anderes als Speed-Dating on tour. Sie ziehen durch die Bundesländer und bieten das Format nun in Kaffeehäusern, Kinos und leer stehenden Gassenlokalen an. Beworben wird das Wohn- und Baucafé in einschlägigen Foren, Zeitschriften und Tageszeitungen.

„Beim Speed-Dating versuchen wir, den Menschen nahezubringen, warum es sich auszahlt, einen Architekten ins Projekt zu holen“, erklärt Heide Schicht. „Das Wohn- und Baucafé ist in gewisser Weise eine Weiterentwicklung dieser Idee.“ Der Unterschied zur Plattform des Rabbiners Yaacov Deyo: Es gibt kein Zeitlimit, es gibt kein Sesselrücken und kein Tischetauschen, es gibt keine ach so strengen Spielregeln. „Speed-Dating ist eine schöne Sache, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass in einem etwas informelleren Rahmen ein intensiverer Austausch möglich ist“, so Schicht.

Fazit: Die Nachfrage ist ungebrochen. Die Wohn- und Baucafés, die in coolen Locations in diversen Groß- und Kleinstädten über die Bühne gehen, sind meist schon Wochen im Voraus ausgebucht. Das Speed-Dating ist erwachsen geworden.

Wojciech Czaja ist freier Architekturjournalist in Wien

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