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[ Schwerpunkt: Geballt ]

Eine nutzlose Verordnung?

Die Baunutzungsverordnung versucht Gebrauch und Baudichte von Flächen zu regulieren. Steht sie für das veraltete Ideal der funktionsgetrennten Stadt oder brauchen wir sie weiterhin? Eine Kontroverse.

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Professor Dipl.-Ing. Jörn Walter ist studierter Raumplaner und seit 1999 Oberbau­direktor der Freien und Hansestadt Hamburg.

Text: Jörn Walter

Die Baunutzungsverordnung ist 1962 erlassen und seitdem in manchen Details verändert, aber nicht in ihren Grundzügen reformiert worden. Sie atmet noch immer den Geist der Charta von Athen mit den Idealen der Funktionstrennung und der durchgrünten, eher locker bebauten Stadt. Heute streben wir nach Lebendigkeit, Dichte und Mischung. Auf dem Weg hilft uns die Baunutzungsverordnung nicht, sondern legt uns immer wieder Steine in den Weg. Zwar finden wir meist eine Lösung über komplizierte Ausnahmeregelungen – aber das ist arbeitsaufwendig, manchmal ein rechtlicher Balaceakt und Bürgern oft schwer zu vermitteln. Es ist Zeit für eine gründliche Reform, die die Baunutzungsverordnung vom Hindernis wieder zum Hilfsinstrument für gesellschaftlich gewünschte und von den Städten demokratisch beschlossene Ziele macht.

Beginnen wir mit der Dichte. Beispielsweise für Wohngebiete sieht die Baunutzungsverordnung eine maximale GRZ von 0,4 und eine höchstmögliche GFZ von 1,2 vor. Diese Maße entsprechen dem Ideal der gegliederten, aufgelockerten Stadt und erzwingen aus heutiger Sicht Flächenfraß und suburbane Zersiedlung. In Hamburger Gründerzeitgebieten haben wir meist eine GRZ von 0,8 und eine GFZ von 2,0 bis 3,0. Und dies sind keine Slums, sondern die begehrtesten Quartiere der Stadt. Auch die Hafencity entwickeln wir mit einer Dichte von 2,3 bis 3,0, in Kernbereichen bis zu 3,5. Dafür sind aufwendige Begründungen notwendig. Das bindet Ressourcen, bringt Verluste an Zeit und Transparenz und dient nur Juristen als Instrument zur Arbeitsbeschaffung.

Absurd ist auch die Tatsache, dass GRZ und GFZ für einzelne Grundstücke berechnet und öffentliche Flächen nicht berücksichtigt werden dürfen. Das führt dazu, dass Freiflächen um Gebäude am besten privat sind, damit niedrigere GFZ-Werte eingehalten werden können. Ausgerechnet Planung zugunsten großzügiger öffentlicher Räume führt zu rechtlich schwierigen, hohen Dichtewerten. In der Hafencity differiert zum Beispiel die GFZ je nach Einberechnung der öffentlichen Flächen um etwa 0,5. Im Minimum brauchen wir deshalb die Möglichkeit zur Festsetzung einer Quartiersdichte.

Noch besser wäre, den § 17 der BauNVO ersatzlos aufzuheben. Wir brauchen keine gesetzlichen Höchstwerte, die vom Potsdamer Platz bis zum Dorfkern von Posemuckel alles über einen Kamm scheren. Die Abwägungsgrundsätze des §1 Abs. 5+6 des Baugesetzbuchs (BauGB) reichen aus und die kommunale Planungshoheit würde gestärkt.

Lästig sind auch viele Nutzungskataloge für die verschiedenen Gebietstypen der BauNVO. In Kerngebieten ist Wohnen nur ausnahmsweise zulässig. In reinen Wohngebieten darf es erst nach einer aktuellen Gesetzesänderung Kindergärten geben – aber nur so viele, wie von den Gebietsbewohnern selbst gebraucht werden. Plätze für Kinder aus der Nachbarschaft sind nicht zulässig. In Mischgebieten müssen Wohnen und gewerbliche Nutzung gleichwertig (quantitativ) sein, weshalb sie wegen anderer Realitäten vor Ort kaum mehr festgesetzt werden. In Gewerbegebieten dürfen nur Betriebsinhaber oder -leiter wohnen. Dabei ist ein immer größerer Teil des Gewerbes weitgehend frei von Emissionen und Schwerverkehr. Außerdem gibt es Orte, die gerade wegen ihres Gewerbes für das Wohnen attraktiv sind. Ein Beispiel aus unserer Stadt ist die Schlossinsel im Harburger Binnenhafen.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Baunutzungsverordnung ist noch immer von der veralteten Grundannahme geprägt, dass unterschiedliche Nutzungen und hohe Dichten vor allem störend seien. Das mag in Einzelfällen stimmen. Aber der Andrang auf zentrale und gemischte Gebiete zeigt, dass eine Mehrheit der Bewohner und Interessenten inzwischen anders denkt und ein städtisches Leben mit starker Durchmischung, kurzen Wegen und hoher Dichte sucht. Gesetze sollten das ermöglichen und begleiten, aber nicht dem Bürgerwillen im Weg stehen.

Deshalb muss parallel auch das eng mit dem Bauplanungsrecht verknüpfte Immissionsschutzrecht an die heutigen technischen Möglichkeiten und städtebaulichen Ziele angepasst werden. Der strikte Trennungsgrundsatz § 50 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verhindert in vielen Fällen die Mischung von Wohnen und Arbeiten im Rahmen der Innenentwicklung. Die Regelung der TA Lärm zur Immissionsortfestlegung von 0,5 Metern vor dem geöffneten Fenster lässt die Berücksichtigung passiver Schallschutzmaßnahmen nur in wenigen Ausnahmefällen zu – eine völlig antiquierte Vorschrift in Anbetracht der Schalldämmmaße, die mit heutigen Fenstern erreicht werden. Richtig wäre, mit Ausnahme besonders schutzwürdiger Außenraumnutzungen, heutzutage auf Innenpegel abzustellen. Nicht der Immissionsschutz ist überholt, aber die Verfahren, mit denen er sichergestellt werden soll. Hier könnte eine Berücksichtigung des heutigen „Standes der Technik“ eine kleine Revolution zugunsten der gemischten und Arbeitsplätze schaffenden Stadt auslösen.

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Professor Dipl.-Ing. ­Martin zur Nedden ist Wissenschaft­licher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) sowie Präsident der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL).

Wirkungsvolles Instrument

Text: Martin zur Nedden

Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) ist ein eingeführtes und auch dank gesicherter Rechtsprechung für alle Beteiligten relativ gut handhabbares Instrument zur zielgerichteten Steuerung einer nachhaltigen Stadtentwicklung sowohl in wachsenden als auch in „schrumpfenden“ Städten. Auch der Realisierung einer verträglichen Nutzungsmischung und angemessenen baulichen Dichte in den Städten stehen die Inhalte der Verordnung nicht grundsätzlich entgegen. Die Gebietstypen in der Verordnung, gegebenenfalls unter Anwendung der weiteren Gliederungsmöglichkeiten gemäß § 1 BauNVO, lassen viele Formen der Nutzungsmischung zu.

Die insgesamt positiven Erfahrungen mit der Baunutzungsverordnung sind nicht nur durch zahlreiche Äußerungen von Praktikern belegt, sondern auch durch systematische Studien. So hat das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) vor kurzem sechs Alternativkonzepte im Hinblick auf die mit Ihnen verbundenen Konsequenzen geprüft, etwa den völligen Verzicht auf die Verordnung, eine Neufassung der Gebietstypologie, die Freistellung vom Gebietstypenzwang bei Beibehaltung der BauNVO und die Relativierung immissionsschutzrechtlicher Differenzierungen zwischen den Baugebieten. Diese wurden dann anhand von Fallstudien für sechs Groß- und Mittelstädte unterschiedlicher Struktur überprüft: Frankfurt/Main, Leipzig, Potsdam, Regensburg, Castrop-Rauxel und Stade.

Die Autoren resümieren: „Die Fallstudien haben deutlich gemacht, dass die BauNVO und die darin festgelegte Baugebietstypologie in den allermeisten Fallkonstellationen eine geeignete Grundlage zur Umsetzung der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung darstellen … Von Sonderfällen abgesehen, stellt sich der Nutzungskanon nicht als Hindernis für die Nutzungsmischung dar.“ Die Studie stellt fest, dass einer stärkeren Mischung zwei andere Faktoren viel stärker im Weg stehen: erstens der Bodenmarkt, der die jeweils rentabelste Nutzung bevorzugt und weniger rentable Nutzungen unterdrückt – momentan in vielen Innenstadtgebieten zugunsten des hochwertigen Wohnens und zulasten des Gewerbes. Ein zweiter Faktor sind die Lärmschutz-Anforderungen bei bereits vorhandenen Lärmbelastungen, wenn neue, lärmsensible Nutzungen hinzukommen, etwa Wohnen neben Gewerbe. Hier wünschten sich die beteiligten Städte „bei grundsätzlicher Anerkennung des Ziels, Lärmbelastungen für die Bevölkerung so weit wie möglich zu vermeiden“, dass sie Wohngebiete mit einer Lärmbelastung auf dem Niveau des Mischgebietes festsetzen können und nicht in jedem Fall teure Lärmschutzvorkehrungen treffen müssen. Im Ergebnis wird unter anderem empfohlen, Möglichkeiten der Harmonisierung von Baurecht und Immissionsschutzrecht zu prüfen. Neben der Gewährleistung des Schutzes der Bevölkerung vor gesundheitsschädlichen Emissionen gilt es auch, bei der Diskussion weitere Themen, wie zum Beispiel soziale Belange, zu beachten.

Ein weiteres Forschungsvorhaben des difu zur Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum zeigt, dass Stadtentwicklung auch unter diesem Aspekt der wirkungsvollen Steuerung bedarf. Nachteile einer Abschaffung der Baunutzungsverordnung oder einer starken „Vergröberung“ der Gebietstypen wären ferner die erhöhte Rechtsunsicherheit bzw. ein erhöhter Prüfungsaufwand bei Behörden und Bauherren, insbesondere bei der Beurteilung von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 Baugesetzbuch. Eine steigende Zahl von Prozessen wäre zu erwarten. Wenn die Gemeinden steuernd eingreifen wollten, müssten sie häufiger mit großem Aufwand Bebauungspläne aufstellen, um die Zulässigkeit von Vorhaben auf ein städtebaulich vertretbares Maß zu begrenzen; dies ist ebenfalls ein Ergebnis der Untersuchung.

Auch zur Regelung der baulichen Dichte ist die Verordnung ein im Wesentlichen sinnvolles Instrument und normalerweise kein Hindernis. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Flächensituation in der Mehrzahl der deutschen Kommunen nicht von Engpässen geprägt ist. Damit soll nicht verkannt werden, dass zum einen in einigen Städten Flächenengpässe bestehen und es zum anderen durchaus Situationen gibt, in denen eine Überschreitung der Obergrenzen des § 17 BauNVO vertretbar oder sogar wünschenswert ist. Früher waren diese Werte zu starr – ein Mangel, der mit ihrer Novelle von 2013 behoben sein sollte. Der Verordnungsgeber hat nunmehr geregelt, dass eine Überschreitung der Obergrenzen aus städtebaulichen Gründen unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Diese Gründe sollten sich dort, wo eine Überschreitung sachlich sinnvoll ist, finden lassen. Einzuräumen ist, dass praktische Erfahrungen mit der Novelle noch kaum vorliegen, insbesondere noch keine Rechtsprechung, und dass auch die Kommentierung uneinheitlich ist.

Nachhaltige Stadtentwicklung bedarf trotz Konsens-orientierung einer wirkungsvollen Steuerung. Die Baunutzungsverordnung leistet hierzu grundsätzlich einen wichtigen Beitrag. Dies gilt es in der Diskussion zu bedenken.

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