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Pluspunkt für die Streuobstwiese

Kann man landschaftliche Schönheit objektiv messen? Frank Roser in Stuttgart hat es mit Erfolg versucht

Text: Roland Stimpel

Zahlen sind das Letzte, woran man am steilen Fels, am stillen See oder im blühenden Wiesental denken mag. Und romantische Landschaften scheinen das Letzte zu sein, das uns von der Welt der Zahlen und Berechnungen verschont. Jetzt aber hat der Landschaftsarchitekt Frank Roser Baden-Württembergs Naturschönheit in Zahlen bewertet – und das gleich an 3,5 Millionen Punkten.

Muss so was sein? Es muss, sagt Roser, der neben seiner Freiberufler-Praxis am Institut für Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart forscht. „Die Landschaftsplanung muss mit standardisierten Methoden arbeiten. Dabei ist die Ästhetik oft hinten heruntergefallen.“ Das darf sie aber nicht, denn das Bundes-Naturschutzgesetz erklärt gleich in Paragraf 1 die „Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie den Erholungswert von Natur und Landschaft“ für schutzwürdig. Aber was sind diese „Eigenart und Schönheit“? Im Studium lernt man das nicht, und nach Rosers Beobachtung agieren viele Planer nach dem Motto „Das kann man nicht objektivieren – also handelt man es einfach mit wenigen Sätzen verbal-argumentativ ab“.

Foto: Fotolia
Foto: Fotolia

Da setzte Frank Roser an: Er hat versucht, den Geschmack des Durchschnittsbetrachters empirisch zu ermitteln, und hat sich gefragt: „Wie kann man diese Werte objektivieren, ohne die subjektiven Aspekte zu vernachlässigen?“ Dazu hat er auf 300 Landschaftsfotos Berge und Bäche abgebildet, Lagerhallen und Waldränder, Stromleitungen und Streuobstwiesen. „Es sollten keine Postkartenansichten sein, sondern ehrliche, repräsentative Fotos der Landschaft, die uns umgibt.“ Diese Fotos hat er systematisch 400 Menschen an 14 Orten vorgeführt. Jeder gab jedem Landschaftsbild Punkte. Und die Betrachter waren sich meist einig. „Es ist immer wieder erstaunlich, wie nahe beieinander die Einzelbewertungen eines Bildes liegen“, freut sich Roser. Es gebe „offensichtlich ein ästhetisches Grundeinverständnis darüber, wann ein Landschaftsbild mehr oder weniger hochwertig ist. Aus den subjektiv geprägten Einzelbewertungen wird ein intersubjektiv gültiger Durchschnittswert.“

Auf dieser empirischen Basis konnte Roser Baden-Württemberg-typischen Landschaftselementen standardisiert Punkte geben – ausgehend von einem Null-Mittelwert. 0,12 Pluspunkte für Waldränder zum Beispiel oder 0,14 für Streuobstwiesen und 0,18 Pluspunkte für Gewässer. Minus 0,15 Punkte gibt es dagegen für Gewerbegebiete, minus 0,26 für Hauptstraßen und minus 0,30 für Freileitungen. „Das klingt abstrakt und technokratisch. Aber es bildet den gesunden Menschenverstand und den Erfahrungsschatz ab, mit dem jemand in die Landschaft guckt.“

Im nächsten Schritt zog Roser mit den Daten übers Land. Baden-Württembergs Geo-Informationssystem enthält alle von ihm untersuchten Elemente. Im 100-Meter-Raster unternahm Roser elektronische, mathematisch abstrahierte Rundum-Blicke. Ein Punkt, der zur Hälfte von Obstwiesen und zur Hälfte von Fabrikhallen umgeben ist, erscheint im Computer als das, was er ist: landschaftlicher Durchschnitt.

Rosers fein gegliederte Schönheitskarte sieht im Groben so aus, wie ein leidlicher Kenner des Landes es vermutet: blau-grün im Hochschwarzwald und am Steilhang der Schwäbischen Alb. Neutral-gelb im gewöhnlichen Agrarland, hässlich-tiefrot in den Ballungsräumen. „Das System bewertet natürlich keine urbane Schönheit, sondern beschränkt sich auf Offenlandschaften“, erläutert Roser.

„Nach dem Naturschutzrecht müssen wir bei allen Planungen in der Landschaft zunächst die bestehende Landschaft bewerten. Dafür gibt es jetzt eine Grundlage, die im regionalplanerischen Maßstab angewendet werden kann. Auf der kommunalen Ebene erlaubt sie eine Ersteinschätzung, muss aber vor Ort überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Sie erlaubt eine effektivere Bearbeitung und minimiert den Einfluss des Bearbeiters.“

Das gilt auch für die Energieplanung, deren Eingriffe ins Landschaftsbild momentan als die massivsten empfunden werden. Mit seinem Kartenwerk will Roser aber keine tumbe Ableitung von Windpark-Projekten begründen, die das ästhetisch Umstrittene zwischen das bereits vorhandene Hässliche stellt und schöne Gegenden grundsätzlich verschont. „Es geht ausdrücklich nicht darum, die einen Flächen für tabu zu erklären und die anderen unkritisch zu verplanen.“ Sondern um ein weiteres Kriterium, das jetzt wie andere gemessen und gewichtet wird. „Das schwächt die Belange der Ästhetik nicht, sondern stärkt sie, weil sie objektiv einfließen können.“ Doch letztlich gehe es immer noch um Wertentscheidungen: „Es bleibt dabei, dass am Ende wir Planer unser Hirn einschalten und abwägen müssen.“

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