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[ Schwerpunkt: Mischen ]

Banken, Butzen, Stilettos und Torten

Kein Stadtquartier in Deutschland zeigt so starke Stilmischungen und Kontraste wie das Zentrum Frankfurts. Ein Spaziergang zwischen Mittelalter, Moderne und architektonischem Mus

Mylius
Klassiker für Touristen: Ostzeile am Römerberg in Frankfurt am Main (Mylius)

Text: Rosa Grewe

Ein Spaziergang durch die Frankfurter Innenstadt ist wie ein holperndes Daumenkino: Überall springen die Bilder, setzt eine Geschichte an und wird gleich durch eine neue unterbrochen. Fassaden und Kubaturen, Bauhöhe und -dichte wechseln sich ab, dazwischen rauschen Autos und rennen Fußgänger, nur eine Ecke weiter ist es still. Weil sich all die Brüche im Stadtbild kaum ordnen lassen, frage ich den Stadtplanungsleiter Dieter von Lüpke nach einem Ort, an dem für ihn der Mix eine besondere Qualität hat. Sein Geheimtipp ist der Anfang eines Laufes durch das Frankfurter Stil-Mus: In der nördlichen Innenstadt starte ich in der Großen Friedberger Straße, die nicht groß ist, sondern mit unterschiedlichen Fassaden von Läden, Imbissbuden und Spielhöllen klein und abgewetzt wirkt – ein Brei von stilistischem Allerlei. Doch, und das ist von Lüpkes Tipp, im Hinterhof der Großen Friedberger Straße 29–31 überrascht ein Projekt von Dreissigacker Architekten mit einem gelungenen Mix und zeigt auf einen Blick, welche Stilepochen Frankfurt vor allem bietet: Die Architekten restaurierten das gründerzeitliche Vorderhaus Cassel und ergänzten es im Hof mit einer zeitgenössischen Pavillon­architektur mit monolithischer Basaltlavafassade und vorgesetzten Schaufenstern. Sie sanierten die Glaslagerhalle im Hof, ein Relikt aus industrieller Zeit und heute Kunstgalerie. Neue Oberlichter bringen ­Tageslicht in die Tiefe. Der Eingang der sogenannten Zeilhöfe liegt auf der Nordseite des Blocks in einem ebenfalls von den Architekten sanierten 50er-Jahre-Bau.

Werbeschriften und Abstandsgrün

Auf der fortgesetzten Suche nach weiterer Gemengelage quere ich die Einkaufsmeile Zeil mit ihren hastenden Menschen und mit Werbeschriften übersäten Fassaden. Die Zeil verschlingt ihre Architektur und belässt nur Erdgeschosse. Kein Ort, um über Stilbrüche zu reflektieren. Daher laufe ich weiter in die Fahrgasse mit ihrer fast vorstädtischen 50er-Jahre-Atmosphäre: Blumenkästen an winzigen Balkonen, einfache Lochfassaden, dahinter Läden und Wohnungen, im Hinterhof Abstandsgrün und Erdgeschosswohnen. Ich suche nach einem Beleg für von Lüpkes Antwort auf die Frage nach dem Stilmix in Frankfurt: „Ich empfinde den Gebäudebestand der Frankfurter Innenstadt als gar nicht so durchmischt. Sie ist eine Stadt der 50er-Jahre mit Spuren älterer Epochen und einer partiellen Überformung aus nachfolgenden Jahren“, sagt er. Auf Höhe der Töngesgasse erreiche ich den Teil Frankfurts, der baugeschichtlich bis ins Mittelalter reicht und dessen Geschichte seit dem Bombenhagel im März 1944 nicht mehr sichtbar ist. Und da ist die historische Spur: die Staufenmauer aus dem späten 12. Jahrhundert. Die Ironie der Geschichte: Die Bomben zerstörten die Altstadt fast vollständig und legten dabei einen Teil der Staufenmauer frei, die, hinter Wohnhäusern stehend, in Vergessenheit geraten war. Heute ist sie Kulisse für einen Biergarten, verloren zwischen gesichtslosen Hinterhoffassaden, als habe man sie erneut vergessen.

epizentrum
Fotomotiv: Das 400 Jahre alte Haus Wertheym wird gerne von Touristen abgelichtet (epizentrum)

360-Grad-Stilmix

Weiter südlich unterbricht die Berliner Straße, die wichtigste Ost-West-Autostraße in der Innenstadt, die Einheit der Fahrgasse. Nicht nur mit dem Gestank von Abgasen, sondern mit einem großen Holperer im Daumenkino, einem 360-Grad-Stilbruchpanorama: Im Hintergrund zu meiner Linken wellt sich mit großer Geste die Ziegelfassade der Stadtwerke in der Kurt-Schumacher-Straße von Ernst Gisel aus dem Jahr 1990. Davor duckt sich das nach dem Krieg wiederaufgebaute ehemalige Dominikanerkloster – unscheinbar bei all dem Lärm und Blinken auf der Kreuzung zur Berliner Straße. Nur der rote Sandstein lässt die schmalen Fensterfaschen und flachen Erker tiefer und das Gebäude gewichtiger erscheinen.

Gegenüber zeigt Frankfurt seine 50er-Jahre ganz anders, moderner, leichter, technoider, sanierungsbedürftiger: Hier steht das Neff-Hochhaus von Johannes Krahn aus dem Jahr 1955, das erste Frankfurter Wohnhochhaus in Stahl-Beton-Skelettbau – nur zehn Geschosse hoch, aber auf stilettodünnen Stützen und mit adretter Dachauskragung. Dahinter setzt sich die Fahrgasse fort, noch vorstädtischer als im oberen Teil. Dann der große Bruch zur Rechten: Auf der Verkehrsinsel zwischen Braubach- und Berliner Straße treppt sich das Museum für Moderne Kunst aufwärts – gebaut von Hans Hollein im Jahr 1991 – einer Torte gleich im Grundriss und auch tortenschwer im Vergleich zum Neff-Hochhaus. Eine selbstbewusste Massigkeit, postmoderne Stadtikone und Lärmpuffer für die Braubachstraße. Denn während die umliegenden 50er-Jahre-Bauten das Rasen auf der Berliner Straße lieblos erdulden oder, weiter westlich, mit einer Abfolge von einfachen Riegeln feiern, und während weiter hinten der Turm der Commerzbank die Berliner Straße nur als Lichtschnur sieht, verlangt die Braubachstraße nach Langsamkeit. Ihre Details erschließen sich nur dem Flaneur. Hier beginnt der sensible Bereich des Stadtkerns, die für viele Besucher und Frankfurter gefühlte Altstadt. Einige der Häuser in dieser Straße haben den Krieg zwar schwer beschädigt überlebt, aber sie standen, wo sonst alles zertrümmert lag. So findet man dort heute einen Stilmix historisierender Fassaden vom Anfang des letzten Jahrhunderts – neobarocke, neoklassizistische, moderne und expressionistische Elemente. Dazwischen ragte bis vor einigen Jahren noch das Technische Rathaus auf, ein ungeliebter Betonbau, ein Brecher im Stadtbild aus dem Jahr 1974, errichtet von Bartsch, Thürwächter + Weber. Spätestens seit dessen Abriss beschäftigt viele Frankfurter die Frage nach dem Umgang mit dem geliebten und ungeliebten Alten.

Der Umgang mit dem Alten

Ein paar Meter weiter in der Braubachstraße, neben Holleins Kunstmuseum, stoße ich auf drei zeitgenössische Projekte, die sich unterschiedlich mit dem Alten verbinden: Die Häuser des Börsenvereins des deutschen Buchhandels in der Braubachstraße 21 und 22 vereinen einen Mix moderner Architektur aus drei Jahrzehnten. Die zwei Vorderhäuser, eines frühmodern, das andere expressionistisch, stammen aus den 1920er-Jahren. Rückwärtig auf dem Grundstück, zur Berliner Straße gewandt, glänzt wie neu ein Stahlbeton-Glas-Gebäude Otto Apels von 1956. Dazwischen ergänzten die Architekten Scheffler + Partner 2012 einen schlichten, modernen Riegel. Dreimal Moderne, dreimal eine Architektur ihrer Zeit.

Gegenüber ein anderes Projekt: In der Domstraße/Ecke Braubachstraße zeigt sich das ehemalige Hauptzollamt heute als Haus am Dom saniert und mit baulichen Veränderungen des Altbaus. Unter der Leitung von Jourdan & Müller wurde 2007 der südliche Teil des Gebäudes durch einen Neubau ersetzt – mit einem herausgestellten Schaufenster, unterschiedlichen Fensterformaten und einer Glasfuge zwischen Alt und Neu. Ein Stilbruch, der sich zwar in Kubatur und Höhe an den Altbau anpasst, aber wegen der starken Eingriffe in Altbau und Baulinien Kritik hervorrief. Sie kam vor allem von den Bürgern, die das historische Stadtbild wieder anstreben.

Sie unterstützen direkt nebenan in der Domgasse auf dem Dom-Römer-Areal ein anderes Alt-Neu-Projekt: den Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt. Kaum ein Bauvorhaben ruft in Frankfurt derart viele Meinungen zum Baustil hervor, wie das auf dem Dom-Römer-Areal. Denn wo sich bis 1944 kleine Fachwerkhäuser eng an eng drückten, blieb nach dem Krieg eine Brache und lange die ungelöste Frage nach einem passenden Maßstab und Baustil. Die Diskussionen flammten vor etwa acht Jahren wieder auf, wie Dieter von Lüpke sagt: „Das Frankfurter Bürgertum hat sich lange relativ wenig an Architekturdebatten beteiligt. Erst mit den Planungen zum Areal des Technischen Rathauses entstand eine größere öffentliche Debatte um Architektur, die über das Projekt einer ‚neuen Altstadt‘ hinaus Bedeutung hatte.“ Eine Chance für den Wiederaufbau des historischen Stadtbildes oder für viel zeitgenössische Architektur? Dabei ging es zunächst nicht um Stil, wie von Lüpke erzählt: „Die Planungen für das Dom-Römer-Areal hatten von Anfang an das Ziel, eine angemessene Maßstäblichkeit und Nutzung für das Gebiet zu finden und die Wegeverbindungen zwischen Domplatz und Römer, aber auch in Nord-Süd-Richtung zu ergänzen und zu verbessern. Dazu gehörte essenziell auch eine Überbauung des archäologischen Gartens – aus stadträumlichen Gründen. Die Fassaden sollten erst später – jenseits des städtebaulichen Ideenwettbewerbs – entworfen werden.“ Der Kompromiss ist nun die Rekonstruktion der alten Stadtkubaturen mit einigen Hausrekonstruktionen und einigen Neubauten, die sich nach einer Gestaltungssatzung an historischen Fassadentypologien orientieren – ein Stilmix aus den unterschiedlichen Epochen von Mittelalter bis Gründerzeit, hier und da mit einem modernen Element.

Thomas Wolf
Gemütlichkeit und Geld: Hinter der Altstadt liegt die Skyline von Frankfurt am Main (Thomas Wolf)

Vergangene Stilmischungen

Das Areal um den Dom wäre im Daumenkino die Stelle, bei der man immer wieder den Finger zur Wiederholung ansetzt, um die Brüche und deren Geschichte zu begreifen. Ein solcher Bruch mit Geschichte ist der 1986 errichtete Neubau des Ausstellungsgebäudes Schirn von Bangert, Jansen, Scholz und Schultes. Das Gebäude gibt dem Dom-Römer-Areal im Süden eine abgrenzende Kante und definiert daran unterschiedliche Stadtplätze. Nur wenige Meter weiter in der Domgasse schiebt es sich in Sandstein zwischen Dom und das etwa 600 Jahre alte Leinwandhaus. Rückwärtig dazu, in der Saalgasse, stehen Stadthäuser, die verschiedene Architekten nach gemeinsamen Gestaltungsgrundlagen unterschiedlich bauten. So entstand ein Stadtbaustein, der urbaner anmutet als die gegenüberliegende Bebauung aus den 50er-Jahren und dennoch weniger altstädtisch, als von einigen Bürgern gewünscht. Dieser Stilmix von Moderne, Postmoderne und historischer Bebauung ist jedoch so einzigartig, dass sich Touristen in den Ecken verrenken, um Dom und Saalgasse oder Schirn auf ein Foto zu bekommen.

An ihrem westlichen Ende stößt die Saalgasse auf das Fahrtor, das wie eine Flaschenöffnung die Touristen vom Römerberg auf das Mainufer gießt – vorbei am Haus Wertheym, das die Bomben verschonten und das wegen seiner 400 Jahre alten Fachwerkpracht ebenfalls die Fotoapparate blitzen lässt. Nebenan knüpfen die 1950er nahtlos an. Gegenüber aber klafft ein Loch hinter einem Bauzaun, wo noch vor Kurzem ein Gebäude in Sichtbeton stand. Es war Teil des Historischen Museums, das hier am Fahrtor im sogenannten Saalhof liegt. Seit dem Mittelalter wurden die Gebäude des Saalhofes immer wieder um-, an- und wiederaufgebaut. Sie zeigen daher gotische, barocke, romanische und neoromanische Elemente – einen Stilmix quer durch die Jahrhunderte. Doch die letzte Erweiterung von 1972 in Sichtbeton erntete viel Kritik, zu brachial war die Vorgehensweise, zu brachial der Bruch im Mix. 2011 musste sie weichen und macht nun Platz für einen Neu- und einen Anbau von Lederer Ragnarsdóttir Oei, der das Bild mit Satteldach, Sandstein und langer Fensterreihung etwas harmonischer gestalten soll.

Am Rande des Stadtkerns

Ich entwische der Menschenmasse vom Römerberg und laufe, der Nachmittagssonne entgegen, mit dem Mainstrom in westliche Richtung. Mein Blick geht auf das Uferpanorama und trifft immer wieder Baukräne – typisch Frankfurt. Von Lüpke sagt: „Derzeit findet ein starker Austausch der Bausubstanz in der Innenstadt statt – bedingt durch die normalen Alterungsprozesse und verstärkt durch Frankfurt – spezifische, relativ kurze Abschreibungszeiträume. Der Lebenszyklus einer Immobilie in Frankfurt ist kürzer als in manchen anderen Städten.“ Und ich überlege, ob Baukräne und Stilmix sich in dieser Stadt bedingen. Zu meiner Rechten passiere ich die Sankt-Leonhard-Kirche, die wie das Haus Wertheym eines der wenigen historischen Originale in der Stadt ist. Dahinter lockt mich der Neubau der Caritas von GHP Architekten weg vom Ufer in den Schatten der Alten Mainzer Gasse. Auch hier sehe ich ein Satteldach, einen sandsteinfarbenen Sockel und eine lange Reihung vertikaler Fenster. Es sind scheinbar gern genutzte Elemente für Neues in dieser Altstadt, die es nur in der Erinnerung gibt: Umgeben von modernen Flachdachbauten, der romanisch-gotischen Kirche und einem frühneuzeitlichen Treppenturm erinnert hier nichts mehr an die einst spitzgieblige Nachbarschaft. Das Gebäude fügt sich in den Maßstab der Gasse ein und sorgt so für einen angepassten Mix. Eigenartig ruhig ist es hier, nur ein paar Meter vom Ufer entfernt. Einige Schritte weiter kann auch ein weiterer Stilmix die Stille der Gasse nicht stören: Der gestreifte Riegelbau des Archäologischen Museums von Josef Paul Kleihues aus dem Jahr 1988 begleitet die Straße und umschließt dabei das mittelalterliche Karmeliterkloster. Der Architekt griff die Materialien und die Farbigkeit des Klosters auf, wagte aber eine moderne Kubatur und Fassadengestalt.

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Verwaltungs- und Kulturort: Stadtwerke mit Museum Judengasse von Ernst Gisel (dontworry)

Am Ende der Gasse stehe ich vor einer Leere, weit wie ein Fußballfeld – eine Großbaustelle am Mainufer, auf der die Hochhäuser des neuen Büro- und Wohnquartiers Maintor in die Höhe wachsen. Die westliche Altstadt, die Alte Mainzer Gasse, das Karmeliterkloster – dörfliche Winzlinge neben dem Urbanen in Retrofassade. Maßstab und Stil wurden hier, anders als beim 300 Meter entfernten Römerberg, nicht öffentlich diskutiert. Von Lüpke sagt: „Das Gebiet war vielen Frankfurtern nicht präsent, denn es war nicht öffentlich zugänglich. Vielleicht waren die ‚Altstadt-orientierten‘ Bürger zur gleichen Zeit auch noch zu sehr beschäftigt mit den Planungen zum Dom-Römer-Areal.“ Andererseits: Der finale Holperer im Daumenkino musste kommen, denn hier bin ich am Rand des alten Stadtkerns angelangt. Dahinter beginnt das Frankfurt mit seinen Hochhäusern, seinem massigen Opern- und Schauspielhaus, seinen Hotels, Banken, Wohnquartieren – seinem Stil-Mus weit über die Altstadt hinaus.

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