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[ Schwerpunkt: Städtebau ]

Gesund wachsen

Ein einstiges Krankenhaus-Gelände in Hamburg wurde behutsam in ein gemischtes Stadtquartier verwandelt

Text: Claas Gefroi

Das Terrain mache „mehr den Eindruck einer freundlichen Gartenstadt als den einer Heilanstalt“, lobte vor genau hundert Jahren ein Zeitgenosse das neu entstandene Allgemeine Krankenhaus in im Hamburger Arbeiterstadtteil Barmbek. In Wahrheit waren wohl eher Schloss-Ensembles Vorbild für die Anlage mit ihren vielen Bäumen, mit Plätzen, Achsen und Pavillons, die an Herrenhäuser erinnerten. Jetzt hat das Gelände zum zweiten Mal eine städtebauliche Erfolgsgeschichte geschrieben: Teils in Baudenkmälern, teils in architektonisch anspruchsvollen Neubauten ist das Krankenhaus zum gemischten Quartier mutiert.

In den Jahren von 1911 bis 1914 hatte Baurat Friedrich Ruppel das Allgemeine Krankenhaus Barmbek in der damals modernen Pavillonbauweise errichten lassen: 2.400 Betten in 60 Häusern, mit ihren Backsteinfassaden, symmetrischen Baukörpern und Mansarddächern im Stil einer barockisierenden Reformarchitektur gestaltet. Zwar wurden sie – vor allem in den Nachkriegsjahrzehnten – verändert, ergänzt und teilweise abgerissen, doch blieb das ursprüngliche Bild weitgehend erhalten. 2005 entstand für das Krankenhaus ein Neubau am Rand des Geländes. Die Stadt verkaufte das übrige Areal an ein Investoren-Konsortium mit der Auflage, die 21 meist denkmalgeschützten Altbauten zu erhalten; ebenso die fast 14 Hektar große Gesamtanlage mit der zentralen Achse nebst Ehrenhof und ihren alten Bäumen. Auch die gesamte Außengestaltung steht als Ensemble unter Schutz. Allerdings sollte das von einer Backsteinmauer umgebene Gelände geöffnet werden. Umnutzungen dieser Art sind heutzutage nichts Ungewöhnliches, doch selten gehen die Restriktionen für den Umgang mit dem Bestand so weit wie in diesem Fall. In Hamburg jedenfalls war bei vorherigen Konversionen der Bestand viel drastischer ausgelichtet worden – oder waren gar nur Fassaden erhalten geblieben.

Anfangs schien es kaum möglich, die Planungs- und Investitionskosten für die extrem verbauten und heruntergekommenen Pavillons über Mieten und Kaufpreise wieder hereinzuholen – erst recht in Barmbek, das lange als Arme-Leute-Gegend galt und von Mittelschicht-Angehörigen verschmäht wurde. Doch durch die verschärfte Wohnungsknappheit sind jetzt auch Stadtteile attraktiv, die vor wenigen Jahren noch links liegen gelassen wurden. Hinzu kam die exzellente Lage des Grundstücks direkt an der wichtigsten Einkaufsstraße des Stadtteils sowie nahe dem Stadtpark. In einer Broschüre des Projektentwicklers Hamburg Team stand ganz unverblümt: „Das Quartier 21 hat alle Qualitäten exklusiver Wohnquartiere ohne einen Lage-Preisaufschlag. Eine Investition an dieser Stelle wird von der Wertentwicklung in Hamburgs innerstädtischen Wohnquartieren überdurchschnittlich profitieren.“

Den 2007 ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb gewannen Osterwold + Schmidt (Weimar), die auch den Masterplan entwickelten. Das ruhige und grüne Geländeinnere mit den alten Pavillons und Neubauten bleibt ganz dem Wohnen vorbehalten. In den Alt- und Neubauten an den Rändern finden eher publikumsbezogene Nutzungen, wie Büros, Einzelhandel, Gastronomie sowie Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, Raum. Sogenannte „Eckbausteine“ dienen dabei der städtebaulichen Fassung der weitläufigen Pavillonstruktur. Insgesamt sind in vier Jahren 350 Wohnungen in Neubauten, 40 in Stadthäusern und 160 in Altbauten entstanden. Alle waren rasch verkauft oder vermietet. In den Altbauten lockten auch die Denkmal-Abschreibungen Käufer an.

Die Kaufpreise betrugen rund 3.500 Euro pro Quadratmeter, die Kaltmieten liegen zwischen 11 und 13 Euro. Das ist für Hamburger Verhältnisse nicht extrem hoch. Das Angebot richtet sich zuvorderst an Familien der Mittelschicht. Sie profitieren von der zentralen, verkehrsgünstigen Lage und der Infrastruktur mit einem Kindergarten und Spielplätzen im Quartier sowie mehreren Schulen in der Umgebung. Und natürlich ist die ruhige, geschützte Lage ein weiterer Vorteil: Straßen dienen hier nur der Erschließung und nicht dem Durchgangsverkehr; geparkt wird in einer zentralen Tiefgarage unter dem Campus. Seine Kinder kann man also ohne Ängste nach draußen schicken. Aber auch ältere Menschen leben hier: So gibt es auf dem Gelände ein neues Seniorenpflegezentrum mit 150 Plätzen; Rintz Architekten entwickelten einen Altbau zum Gesundheitszentrum weiter.

Das Quartier 21 grenzt an die Fuhlsbüttler Straße, die zentrale Haupt-Einkaufsstraße des Stadtteils. Sie war in den letzten Jahren in die Krise geraten: Wichtige Geschäfte und Kaufhäuser wanderten ab und wurden durch Discount- und Ramschläden ersetzt; manches Ladenlokal steht leer. Das neue Quartier könnte hier für eine Belebung sorgen, denn direkt an der Straße entstanden in ihm zwei neue Komplexe, bestehend aus Wohnungen, Büros und Einzelhandel, nach den Plänen von Juul og Frost Arkitekter und Kleffel Papay Warncke. Zwischen den Komplexen wird, als Letzter der Bestandsbauten, das ehemalige Wirtschaftsgebäude mit seinem eindrucksvollen Wasserturm zum „Wasserturm-Palais“ umgebaut, in das ein 4.000 Quadratmeter großes Fitness- und Wellnesszentrum, ein Naturheilzentrum, eine ärztliche Gemeinschaftspraxis, aber auch ein Wirtshaus mit Biergarten und ein Kindergarten einziehen werden.

Im Quartiersinneren ist trotz einiger neuer Wohnbauten der alte Eindruck einer Gartenstadt im Grünen erhalten geblieben. Das Bild wird beherrscht von hundert Jahre alten prächtigen Kastanien und Eichen, dem zum „Campus“ umgestalteten Ehrenhof und dem eindrucksvollen Altbaubestand. Die Wohnungsneubauten wurden als überschaubare Einzelgebäude ins Grün eingefügt, orientieren sich an den wichtigen Achsen und ordnen sich der Gesamtanlage unter (Freiraumplanung: plandrei Landschaftsarchitekten).

Der konsistente Gesamtcharakter konnte nur durch die feine Abstimmung von Städtebau, Freiraumplanung und Architektur erreicht werden. Obwohl die Entwürfe von so unterschiedlichen Architekten wie Trojan Trojan Wendt +Partner, APB oder Kleffel Papay Warncke stammen, harmonieren die zumeist in Backstein ausgeführten Fassaden untereinander, aber ebenso mit dem Altbestand. Durch den Ensemble-Schutz konnte die Denkmalpflege ihren Einfluss auch auf der städtebaulichen Ebene geltend machen. Dies lässt sich sogar in den Miet- und Kaufverträgen für die Wohnungen wiederfinden, in denen unter anderem festgeschrieben wird, dass man seine Gärten nicht mittels blickdichter Hecken oder mittels Zäunen von der Umgebung abschirmen darf.

Äußerst delikat waren die Sanierung und der Umbau der Altbauten. Das Innere der Pavillons war zumeist so stark umgeformt, ja verbaut worden, dass kaum noch etwas von der originalen Bausubstanz vorhanden war – ein Fall für Entkernung. So baute Charles de Picciotto vier Bettenhäuser im nördlichen Teil des Geländes um. In sie wurden 68 Wohneinheiten ganz unterschiedlicher Typologie eingepasst: mehrgeschossige Townhouses in den Seitenflügeln, Etagenwohnungen im Mittelbau. Das Innere wurde entsprechend vollständig neu strukturiert – erhalten blieben jedoch die vier Meter hohen Decken. Zusammen mit den raumhohen Verglasungen und offenen Grundrissen wurde so eine beachtliche Großzügigkeit erreicht. Außen hingegen wurde mit Fingerspitzengefühl das Alte erhalten und fortentwickelt: Das Klinkermauerwerk und der Fassadenschmuck wurden sorgfältig gereinigt und ausgebessert, die neuen Fenster erhielten versprosste Oberlichter. Und wo neue Elemente, wie Dachgauben und angebaute Balkone, notwendig waren, wurden sie so dezent wie möglich ausgeführt.

Insgesamt ist die Konversion des alten Krankenhauses Barmbek ein Glücksfall. In Zeiten, in denen die staatliche Reglementierung des Baugeschehens als Investitionshemmnis gebrandmarkt wird, ist das Quartier 21 ein wegweisendes Beispiel dafür, dass selbst unter strengsten Auflagen des Denkmalschutzes auch im großen Maßstab Umnutzungen städtebaulich und architektonisch attraktiv, zugleich für Investoren wirtschaftlich sein und bezahlbaren Lebensraum für die Mittelschicht bieten können. Ein Wermutstropfen bleibt, dass der aufwendige Erhalt der Altbauten keinen Wohnraum mit niedrigen Mieten zuließ.

Claas Gefroi ist freier Autor und Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Hamburgischen Architektenkammer.

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