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[ Büro-Psychologie ]

„Auch mal im Garten arbeiten“

Die Architekturpsychologinnen Rotraut Walden und Astrid Gerhardt empfehlen flexible Arbeitsumwelten – für wechselnde Projekte und wechselnde Wünsche der Beschäftigten

Interview: Roland Stimpel

Was interessiert Architekturpsychologen an ­Bürobauten?

Walden: Vor allem ihre Wirkung auf die Nutzer. Wie erleben sie das Gebäude, wie verhalten sie sich darin? Wie wirkt es auf ihr Wohlbefinden und ihre Arbeitsleistungen? Auf sie hat die Architektur großen Einfluss. Nach einer einschlägigen Studie steigt die Produktivität durch architektonische Verbesserungen um 15 bis 17 Prozent. Umweltpsychologen halten sogar Steigerungen von bis zu 50 Prozent für möglich. Und zwar ohne Nachteil für die Beschäftigten, denn sie leisten mehr, weil sie sich wohler fühlen.

Gerhardt: Es geht aber nicht darum, dass Unternehmen alle Kräfte ihrer Mitarbeiter ausschöpfen. Umgekehrt handelt es sich nicht um ein Wohlfühlprogramm, sondern es geht um die Vereinbarung von Effizienz und Wohlbefinden.

Wo liegen die größten Potenziale, die Bürowelt zu verbessern?

Walden: Sie liegen in vielen Bereichen: bei der Eliminierung von Störungen durch soziale Konflikte, bei der Förderung von Kommunikation, nicht zuletzt aber bei der Möglichkeit für den Einzelnen, seine Umwelt zu kontrollieren. Das reicht vom Unterbinden von Störungen über die Regulierung des Raumklimas bis hin zur Gestaltung der Arbeitsumgebung mit persönlichen Dingen.

Gerhardt: Das fängt mit scheinbaren Kleinigkeiten an. Jüngere oder Männer wollen es eher kühl, Ältere oder Frauen eher warm. Wenn allen zentral die Temperatur verordnet wird, dann schwitzen die einen oder frieren die anderen. Woher soll dann eine starke Leistung kommen?

Und fürs seelische Wohl den Gummibaum und das Dackelfoto auf dem Schreibtisch?

Walden: Die Mitarbeiter verbringen unter der Woche die Hälfte ihrer wachen Zeit dort. Es ist ihre Umwelt in mehrfacher Hinsicht, und das sollte sich im Raum widerspiegeln – auch wenn das nicht immer nach jedermanns Geschmack ist.

Gerhardt: Das ist natürlich in Räumen schwierig, in die dauernd Kunden kommen. Und das Wohlbefinden steht und fällt auch nicht mit dem Bild auf dem Schreibtisch. Aber es wächst mit der Autonomie, sich so einzurichten, dass man sich wohlfühlt.

Dr. phil. habil. Rotraut Walden studierte Psychologie in Gießen und Architektur, ist Privatdozentin an der Universität in Koblenz und forscht über die Wirkung von zukunftsfähigen Gebäuden auf Menschen.

Es dürfte weder Architekten begeistern, die den Raum nach einem bestimmten Konzept gestaltet ­haben, noch Unternehmen, die hier ihre Corporate Identity wiederfinden wollen.

Walden: Der Architekt und der Vorstandsvorsitzende gestalten ihre Umgebung ebenfalls, wenn auch nicht unbedingt mit Gummibäumen. Und wenn das Unternehmen will, dass sich Beschäftigte mit ihm identifizieren, dann sollte es ihnen Raum geben, sich mit ihrem Arbeitsplatz zu identifizieren. Mit einer Gruppe von Studenten habe ich zum Beispiel den Bonner Post-Tower untersucht, in dem der Architekt Helmut Jahn ebenso wie die Unternehmensleitung stolz ist auf die coole, transparente und einheitliche Gestaltung. Aber vielen Nutzern ist gerade das Coole zu unpersönlich, und allzu viel Transparenz in Form von Glaswänden zwischen den Büros stört sie, da sie die Kontrolle durch Vorgesetzte und Kollegen fördert.

Viele Architekten streben nach Transparenz wegen der Offenheit und spannender Perspektiven, viele Chefs wegen der leichteren Kontrolle. Und beide ­verkaufen es als zeitgemäß. Pech für Beschäftigte, die nicht immer auf dem Präsentierteller sitzen wollen?

Gerhardt: Jeder möchte sich manchmal exponieren, will sich aber auch manchmal vor anderen zurückziehen. Wo nur Transparenz ist, drohen genauso Produktivitätseinbußen wie in abgeschotteten Strukturen. Das ist dann auch schädlich für die Unternehmen. Auf längere Sicht bleibt auch das Architekturkonzept nicht erhalten, weil Nutzer es eigenmächtig ändern.

Dann lieber zurück zum Zellenbüro?

Walden: Nein, das ist von gestern. Kombibüros mit abgetrennten Räumen für konzentriertes Arbeiten und Gespräche und dafür offene Zonen sind deutlich günstiger für viele Arbeitsprozesse – und sie gefallen auch vielen Beschäftigten besser, weil sie die Möglichkeit zur Kommunikation mit der Möglichkeit zum Rückzug verbinden.

Gerhardt: Es ist doch eine Qualität für sich, wenn man die Arbeitsumgebung ab und zu wechseln kann – mal die Zelle zur Konzentration, dann der kommunikative Raum, und warum nicht mal im Garten arbeiten? Es entspricht auch den heutigen Aufgaben, die ja nicht im Abarbeiten von Papierstapeln bestehen, sondern im Wechsel und in der Kombination von konzentrierten, kommunikativen, kreativen und kontemplativen Tätigkeiten.

Aber wie können sich Beschäftigte mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren, wenn sie dauernd einen neuen einnehmen – vor allem im Extremfall Desk-Sharing, wo das täglich gefordert ist?

Walden: Dauerhaft im Büro Tätige können sich dann in der Tat nur schwer mit dem Unternehmen identifizieren. Sie brauchen eine gewisse Stabilität, was aber nicht heißen muss: 20 Jahre derselbe Stuhl, sondern unkomplizierte Möglichkeiten, es sich an seinem jeweiligen Platz heimisch zu machen. Aber für Tätigkeiten mit viel Außendienst, zum Beispiel Versicherungsvertreter, ist es gut und richtig, wenn sie an ihrem wöchentlichen Bürotag nicht einen vier Tage leer gewesenen Schreibtisch ansteuern, sondern sich mit Rollschrank und Laptop den gerade freien Platz nehmen. Sogenannte non-territoriale Büros gibt es sogar bei Unternehmen, die extremen Wert auf hohe Arbeitsplatz-Kultur legen. Zum Beispiel beim Möbelhersteller Vitra, wo ein Drittel der Angestellten keinen festen Arbeitsplatz hat. Bei Vitra wird Schutz und Geborgenheit am Arbeitsplatz anders hergestellt: mit sogenannten Net ’n’ Nest-Sitzen, die den Körper von hinten umschließen und gegen manche unerwünschten Außenwirkungen abschirmen – sei es unerwünschter Lichteinfall, Lärm oder das Gefühl, Geschehnissen hinter dem eigenen Rücken ausgeliefert zu sein.

Gerhardt: Falsch wäre es immer, alle Leute und alle Arbeiten auf eine Büroform festzulegen. Es muss so unterschiedliche Räume geben wie in einem Hotel. Da haben Dauerbeschäftigte immer denselben Arbeitsplatz – zum Beispiel am Empfang. Als gelegentlicher Büroarbeiter verhalte ich mich dagegen eher wie der Gast eines Hotels: Ich suche meinen Einzelraum für Konzentration und Ruhe auf, treffe andere in der Bar oder im Restaurant, präsentiere im Tagungsraum und gehe zwischendurch ins Fitness-Studio. Solche Vielfalt und Auswahlmöglichkeiten braucht auch die Arbeitswelt.

Geht es nicht beim Desk-Sharing dem Unternehmen letztlich nur um die Kosten – nach dem Motto: Es sind nie mehr als drei Viertel der Leute zugleich im Büro, also sparen wir ein Viertel der Flächen, Möbel und Computer?

Walden: Das geht auf, wenn ein Großteil der Beschäftigten Außendienstler mit geringer Büropräsenz sind. Aber bei dauerhaft im Büro Tätigen wäre es sinnlos. Der Spareffekt macht dann womöglich nur ein paar Promille der gesamten Personal- und Raumkosten aus, aber die Reibungs- und Produktivitätsverluste können weit höher sein.

Wie viel Platz brauchen Büromenschen? In Deutschland haben sie weit mehr als in den USA oder Japan.

Walden: Wichtiger als viel Fläche ist eine angenehme Arbeitsumgebung mit den oben beschriebenen Merkmalen: Stabilität, Identifizierbarkeit, Selbstbestimmung und Freiheit von Störungen. Die Mitarbeiter nehmen eine gewisse Flächenreduktion durchaus in Kauf, wenn sie nicht den Eindruck haben, dass sich dabei ihr Status verschlechtert.

Dipl.-Ing. Astrid Gerhardt M. Sc. ­studierte Architektur und Design und ist Executive Master of Business ­Innovation. Sie forscht über die Wechsel­wirkung von Mensch und ­Gebäude.

Gerhardt: Ja, der Status ist oft ein großes Problem. Er steckt in den Köpfen von Firmenleitungen wie von Beschäftigten: Wenn jemand aufsteigt, bekommt er als Belohnung und fürs Prestige statt eines zweiachsigen Büros einen Dreiachser. Dann wird umgebaut und umgezogen, auch wenn funktionell überhaupt kein Bedarf besteht – eine unglaubliche Verschwendung! Aber Unternehmen müssen andere Wege der Anerkennung von Leistungen finden. Der Arbeitsplatz muss nicht dem Rang seines Nutzers angemessen, sondern muss optimiert für die jeweilige Arbeit sein. Büros müssen räumlich flexibel sein, Wände sollten sogar leichter verschoben werden können als bisher und Möbel sollte man für neue Projektgruppen alle zwei Monate anders zusammenstellen können. Flexible Arbeitswelten funktionieren nur, wenn das alte räumliche Anspruchsdenken aufgegeben wird. Erfreulicherweise ist es vor allem jüngeren Leuten inzwischen egal. Die wollen nicht ins Chefzimmer, sondern sie wollen sich bewegen, wollen kommunizieren, aber auch mal ihren Kram zusammenraffen und für sich sein.

Was halten Sie von Freizeitelementen im Büro – von der Lounge bis zum Tischfußballgerät?

Gerhardt: Das macht Spaß und man tauscht sich aus. Im Ergebnis ist es oft produktiver und viel effizienter als ein steifes Meeting.

Walden: Bei Vitra gibt es zum Beispiel Billardtische und Mittagsschlafräume. Das Schläfchen gehört zur bezahlten Arbeitszeit, denn man weiß, dass es die Leistung am Nachmittag steigert.

Außen ist das Vitra-Gebäude von Nicholas Grimshaw schlicht und reduziert. Mögen Beschäftigte das?

Walden: Bei einem Unternehmen wie Vitra mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Und wo es nicht um Produkte geht, die selbst moderne Ästhetik verkörpern?

Walden: Da kann es gern wärmer, kleinteiliger sein. Eines der außergewöhnlichsten Bürogebäude und für mich eines der gelungensten ist die Zentrale der ING-Bank aus den 1980er-Jahren von den Architekten Ton Alberts und van ­Huut. Es ist in organischen Formen gestaltet und im Inneren äußerst sorgfältig und nutzerfreundlich durchdacht. Das gilt von den Farben über die Lichtführung bis zur Unterteilung in unterscheidbare Hausbereiche. Es gibt Gärten, in denen man Konferenzen abhalten oder mit dem Laptop arbeiten kann. Für Top-Manager gibt es sogar kleine Apartments im Haus.

Und in den 25 Jahren danach ist nichts Besseres entstanden?

Walden: Fest steht, dass sich dieses Gebäude über die lange Zeit seitdem bewährt hat. Es ist nach wie vor hoch attraktiv, in den Niederlanden bekannt und für die Bank ein Lockmittel, um qualifizierte Beschäftigte zu gewinnen. Die Planung mag damals aufwendiger und der Bau teurer gewesen sein als andere. Aber es war eine Investition, die sich für alle Beteiligten nachhaltig rentiert hat.

Haben Sie auch Tipps zur Gestaltung von Architekturbüros?

Gerhardt: Es gibt eine Minderheit, die sich als perfektionistische Designer versteht und sagt, auch das Büro muss so aussehen. Da ist in Extremfällen nicht mal ein Kissen auf dem Stuhl erlaubt und es gibt sogar eine Kleiderordnung. Das habe ich alles schon erlebt. Aber in vielen Büros haben die Beschäftigten gute Chancen zur Kommunikation, und sie können auch gedanklich mal rausgehen – zur Tischtennisplatte oder zum Sofa in der Ecke. Den meisten Architekten scheint es bewusst zu sein, dass auch in der Arbeitsumgebung nicht alles nach Arbeit aussehen darf. Und sie haben mehr Mut zur Umsetzung als die meisten ihrer Bauherren.

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