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[ Naturstein ]

Steinhart gebogen

Prestigeobjekte glänzen gern mit Marmorfassaden. Wer rechnet schon damit, dass sich die Platten wie Pappe verformen können?

Böse Überraschung: Dass sich Marmorplatten derart verbiegen können, liegt auch an den extremen physikalischen Eigenschaften des Kristallgitters. Es kann sich deutlich ausdehnen und dadurch Materialspannungen erzeugen.

Prof. Dr. Siegfried Siegesmund
Die Fassadenelemente aus Carraramarmor an der Finlandia-Halle in Helsinki bogen sich nur sechs Monate nach der Montage extrem konkav durch. Bei den Carraramarmorfassaden des Triumphbogens Arche de la Défense in Paris oder dem Amoco-Gebäude in Chicago passierte das Gleiche. Zwar traten diese Schäden bislang überwiegend nur bei Marmor und seltener bei anderen Natursteinen auf. Allein die exorbitanten Sanierungskosten – jeweils rund vier Millionen Euro – gaben den Anlass, derartige Schadensfälle im Rahmen eines von der Europäischen Union geförderten Projektes zu untersuchen.

In den Jahren von 2000 bis 2005 wurden 194 Gebäude in ganz Europa begutachtet und dabei von den derzeit rund 200 auf dem Markt befindlichen Marmorsorten 100 untersucht. Danach lässt sich abschätzen, dass allein in Europa mit einer Schadenssumme von mehr als 500 Millionen Euro zu rechnen ist.

Klima zerstört Gefüge

Der Grund liegt im besonderen Verwitterungsverhalten, das in der totalen Zerstörung des Gefüges münden kann. Das Spektrum reicht bei einigen Arten von einem körnigen Zerfall bis zur Verformung der Platten. Dieser Prozess verläuft einerseits sehr langsam, andererseits aber schnell genug, um innerhalb weniger Jahre sichtbare Schäden an Gebäuden zu hinterlassen.

Ein Politurverlust tritt bei Flächen an exponierten Lagen, die häufig dem Regen ausgesetzt sind, schon nach relativ kurzer Zeit ein. Weitere Einflussfaktoren sind Temperaturschwankungen, Luftschadstoffe oder auch aufsteigende Feuchtigkeit. Bei frisch verlegten Marmoren bewirken derartige Korrosionsvorgänge vor allem, dass die Oberfläche schon nach relativ kurzer Zeit aufgeraut ist.

Langzeitprognose: Zeigt eine Fassade erste Schäden, kann die Standsicherheit bewertet und der Schadensverlauf abgeschätzt werden.

Die Ursache liegt in den außergewöhnlichen physikalischen Eigenschaften des Calcitkristalls, dem wichtigsten Grundbaustein des Marmors. Sein Kristallgitter kann sich in verschiedene Richtungen ausdehnen, wodurch Spannungen im Gefüge entstehen, die zu Mikrorissen führen. Die­se irreversible Restdehnung als Maß für die akkumulierte Mikrorissweitung schreitet bei kontinuierlichen Temperaturwechseln allerdings nur unter feuchten Bedingungen weiter fort.

Neuste Untersuchungen bestätigen, dass auch das mitteleuropäische Klima Gefügezerstörungen bewirken kann. Vergrößert sich das Porenvolumen weiter, bilden sich ganze Netzwerke von Mikrorissen. Sind diese ungleichmäßig über die Marmorplatte verteilt, wird sie sich aufgrund der festen Verankerung der Platten bei hinterlüfteten Fassaden voraussichtlich verbiegen. Die Verbiegung ist eine Funktion der Plattenstärke. Bei dickeren Platten fällt sie in der Regel deutlich geringer aus als bei dünneren Platten. Nicht zuletzt aufgrund der Untersuchungsergebnisse planen einige Architekten, die nicht auf Marmor verzichten möchten, massivere Platten bis hin zu einer Stärke von zehn Zentimetern einzusetzen.

Lücke im Regelwerk

Keine der derzeitigen Normen berücksichtigt diesen Alterungsprozess und die Prüfungen reichen nicht aus, um den Werkstoff Marmor in seiner Komplexität zu erfassen. Aktuell gelten für hinterlüftete Fassadenbekleidungen folgende Normen: EN 1469 (petrografische Beschreibung), EN 12407 (Sichtprüfung), EN 12371 oder EN 13161 (Biegefestigkeit), EN 13364 (Ausbruchlast am Ankerdorn), EN 1936 (Rohdichte und offene Porosität) sowie EN 12371 (Frostbeständigkeit).

Um möglichst im Vorfeld einen Schaden auszuschließen, werden Voruntersuchungen der thermischen und thermohygrischen Eigenschaften empfohlen, um zu prüfen, inwieweit der gewünschte Marmor als Fassadenbekleidung eingesetzt werden kann. Die Materialanalyse erlaubt eine Prognose des Verbiegungspotenzials. Dafür wurden im Rahmen des EU-Forschungsprojektes Versuchsapparaturen entwickelt, deren Einsatz derzeit in den europäischen Normenausschüssen diskutiert wird.

In Bewegung: Das Besondere am Calcitkristall ist sein thermisches Ausdehnungsverhalten. Dabei bleibt eine -irreversible Restdehnung zurück, die Materialspannungen verursacht und in der totalen Zerstörung des Marmorgefüges münden kann.

Messen und beobachten

Die Analyse der Verbiegungspotenziale hat sich auch bei der Bewertung der Standsicherheit bereits geschädigter Fassaden bewährt. Das ist besonders für Immobilienbesitzer wichtig. Sie möchten zuerst wissen, wie lange die Platten noch halten, ohne dass sie zum Sicherheitsrisiko für Passanten werden. Langzeitprognosen zum Verwitterungsverhalten sind daher eine wertvolle Information. Um den Schadensverlauf zu dokumentieren, ist zunächst eine Gebäudekartierung erforderlich.

Jede Fassadenplatte wird mit einem Biegemeter vermessen und der Grad der Durchbiegung bestimmt. Anschließend wird visuell die Schadenshäufigkeit bestimmt.Gesteinstechnische Untersuchungen an nicht, schwach und stark verformten demontierten Fassadenplatten ergaben zum Beispiel, dass die Biegezugfestigkeit und auch die Ausbruchslast am Ankerdorn mit fortschreitender Verbiegung deutlich abnimmt. Messungen an der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zeigten, dass die Biegefestigkeit bei schwach oder gar nicht verformten Platten von circa 12 MPa auf unter 4 MPa bei stärker verformten Platten sinkt. An jeder vierten Platte (26 Prozent) mit einer Durchbiegung >11mm/m wurden Risse oder Ausbrüche festgestellt.

Zur Zeit der Untersuchung im Jahr 2003 war das allerdings noch nicht dramatisch, da zu dieser höchsten Biegeklasse nur 3,1 Prozent der Platten gehörten. Daher wurden in Kombination mit statischen Berechnungen zur Windlast Grenzparameter exemplarisch für das am häufigsten auftretende Plattenformat von 104 x 74 x 4 cm berechnet. Für den in die Berechnung einfließenden Staudruck wurde nach DIN 1055 eine Gebäudehöhe von 8 bis 20 Metern angesetzt.

Danach beträgt die zu erwartende Biegebeanspruchung 0,8 MPa und die kritische Ankerausbruchslast 0,31 kN. Zum Vergleich: An der Finlandia-Halle wurde 1970 an bruchfrischen Referenzproben eine Biegefestigkeit von 50 MPa gemessen, 1984 26 MPa und eine Verbiegung von 6 mm/m. Letzteres betrug 1991 ungefähr 10 mm/m bei einer Biegefestigkeit von weniger als 10 MPa. 1998 wurden die Fassadenplatten ersetzt. Inzwischen sind die neuen Platten auch wieder verbogen.

Fazit

Zwar stellen Marmorfassaden nicht zwangsläufig ein Sicherheitsrisiko dar. Dennoch ist festzustellen, dass allein die Auswahl nach Farbe und Dekor durchaus kritisch zu bewerten ist. Entscheidend ist die qualifizierte Analyse und richtige Bewertung des Materials.

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