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Kaffee auf Schloss Wertheim

Es ist haeufig immer das Gleiche: Jemand stellt ein neu-gebautes Bauwerk vor und beschreibt es als im Ganzen architektonisch gelungen; z.B. im DAB 02.2019 mehrere ambitionierte Bauten „im Kontext“. Prompt trudeln anschliessend kritische bis empoerte Reaktionen in die Redaktion („ … anspruchslos … lieblos … fassungslos-machend“ seien die vorgestellten Bauten). Jedoch um welche und wessen „Ansprueche“ geht es? Muss ein Fachbericht oder eine Fachdiskussion die „Liebe zum Bau“ darstellen? (Welche Formen / Ausformungen der Liebe sind gemeint?) Ist die persoenliche „Verfasstheit“ ein architektonisches Kriterium? Ist eine Architekturzeitschrift ein Markt widerstreitender Geschmacksurteile und individueller Vorlieben, auf dem man lobpreist, was einem gefaellt oder bei was man „ausrastet“? – Selbstverstaendlich habe auch ich meine Vorlieben und Dinge, die ich „mag“ oder nicht – aber interessieren diese jemand von Ihnen? Wen interessiert‘s, was ich bevorzuge bei einem Entwurf? (Darueber koennten wir uns ja ‘mal austauschen, falls wir persoenlich aneinander interessiert sind...)

Viel weiter, als das kennenzulernen, was jede/r jeweils mag, kaemen wir sicherlich nicht dabei: ich hier mit meinen Behnisch Sr., Sep Ruf, Theodor Fischer und vielen weiteren, Sie vielleicht mit Ihrem Gehry, vielleicht dem Schmidthenner (Politisches lassen wir ‘mal aussen vor…) oder Muthesius. Gewiss werden Sie mir meine Auswahl zugestehen, so wie ich Ihre Lieblingsarchitekten Ihnen nicht madig machen moechte. Vielleicht sind wir uns auch einig, dass wir alle Stefan Behnisch Jr.’s Bauten weniger moegen… Und dann wie weiter?: … nichts weiter!!!

Begeben wir uns doch (lieber) zu dem eigentlichen Problem und dem Vorgang der nuechternen Beschreibung und fachlich-nachvollziehbaren Beurteilung von Architektur. Eines der ersten Dinge, was einem im Studium gewahr wurde – aus der Baugeschichte bis hin zu den ersten eigenen Entwurfsschritten – war doch die Fuelle der vielen (Entwurfs- und Bau-) Moeglichkeiten. Welch‘ Breite an Herangehensweisen, Entwurfsthemen, Schwerpunkten, Loesungen! (Lassen wir jetzt ‘mal den muehseligen Weg im und nach dem Studieren, wie man selbst entwerfen und bauen wuerde, beiseite. Das ist ein anderes Thema.) – Was fangen wir mit den erlernten Kenntnissen der vielfaeltigen architektonischen Gestaltungs- und Bauweisen von Aalto bis Zumthor, von Robert Adams bis Vitruvius an? Was geschieht mit dem erlernten Wissen um …:

Die rauhen Betonscheiben in La Tourette – die in Machu Picchu und in Vals faszinierenden Natursteinwaende; Böhm‘s Metallfassade am Bürgerhaus in Bergisch-Gladbach; Lehmbauten von Hassan Fathy; Pei’s kuenstliche Glaspyramide im Louvre und die weiss-gefassten Holzfassaden von Emil Steffann bei seinem Atelierhaus in Lübeck; Ziegelgefache im Stahlfachwerk in Essens Zollverein (Schupp + Kremmer / Böll); spiegelnde Wasser- und Glasflaechen in Behnisch’s hypertropher Nord/LB in Hannover, Oscar Niemeyer’s Parlamentsschalen in Brasília usw.. An all diesen grossen und kleinen Objekten und ihren Details lern(t)en wir hinzusehen …, ihre Materialitaet zu beschreiben (Carlo Scarpa), die Fuegungs- und Konstruktionsweise zu erkennen (Renzo Piano), ihre Farbigkeit nachzuvollziehen (Rietveld). Traditionelle Techniken und Raumkonstellationen (Semper’s Galeriegebaeude in Dresden) erschlossen sich ebenso wie „experimentelle“ Herangehensweisen [anfangs: Coop Himmelb(l)au Wiener Dachbuero von 1983 – 88]. Ausgefeilte Details (Klaus Mai, Lübeck) und Peter Hübner‘s mitwirkungs-einladende Selbstbau-Basteleien waren kennenzulernen. Alle diese Wahrnehmungsweisen, Gebrauchsraeume, Wirkungen und Eindruecke fussen auf dem Handwerk, architektonischem Wissen und technischen Erfahrungen und gedanklichen Ueberlegungen (u.a. Architekturtheorie), die erlernt worden sind: die Mittel, Wege, Strategien, Techniken und Methoden, um verschiedenartige Architekturkonzepte lesen und verstehen zu koennen.

Hat man dies erlernt, dabei vielleicht auch die eigenen Vorlieben erkannt – aber auch zu kontrollieren gelernt (was z.B. Ungers nicht immer gelang), dann kann Architektur gelesen, erkannt, erklaert und verstanden werden. Verstehen und Einfuehlen ist ein Denkvorgang, man ist – moeglichst – „frei“ von emotionalen Einschraenkungen, Subjektivitaet und Schwaermerei. (Natuerlich ist mir die eine Bauweise „naeher“ als eine andere…)

Nicht das irgendjemand die im DAB vorgestellten Bauwerke moegen muss: das Titelfoto des Schlosses Wertheim macht dies auch schwer, stellt es doch einen kleinen, nachrangigen Teil der Burg-Baugruppe – siehe das Gesamtfoto auf DABonline – zu sehr in den Fokus und verzerrt die vorhandenen architektonischen Bezuege des Burg-Ensembles. Und auch die beschreibenden Textzeilen von „Samthandschuhen“ passt eigentlich nicht bei diesem baulichen Eingriff; warum nicht rechtschaffen und bewusst „brachial“ sein in einer Ruine? Aber sehen, erkennen und verstehen, was gedacht, entworfen und gemacht wurde, ist eigentlich unschwer nachvollziehbar. Keiner der Leserbriefeschreiber_innen muss dort Kaffee trinken (koennen); das wird jede/r – je nach Not, Bedarf, Lust und Laune, Neugierde – individuell entscheiden. Aber die Gedankengaenge der planenden Architekten und Denkmalpfleger sowie die Muehen und Ueberlegungen beim Entwurf sind offenbar fuer diejenigen, die schauen koennen (wollen) und derjenigen, die sich darueber ihre Gedanken machen, und das Gesehene einordnen koennen an diesen Ort und in die Geschichte der Architektur.

Dafuer ist es notwendig zu explizieren, auf welchem Boden man steht. Und von wo aus (und wohin fuehrend) man etwas bewertet. Offensichtlich hat der Fachjournalist bei diesen Beschreibungstexten andere Kriterien im Hinterkopf als die Kritiker; er nennt hauptsaechlich die Lesbarkeit von alt und neu (weitere Kriterien gaebe es zu finden). Den Leserbriefschreiber_innen wiederum geht es um traditionelle Anforderungen an Materialien, um Sehnsucht nach bestimmten Schoenheiten, fuer die sie offensichtlich ausschliesslich ihre eigenen Vorlieben als Masstab anlegen. Jedoch: auch solch brueskes Aufeinandertreffen von Beton, Holz und Naturstein kann „schoen“ sein, sofern man nicht ueber eine Materialwertigkeitsskala Bestimmtes ausschliesst. (Welcher „Schoenheitsbegriff“ ist gemeint?) Dies alles haben wir eigentlich im Studium gelernt und erfahren (siehe im Text zuvor…)

Ganz „schulmeisterlich“ formuliert – in Verantwortung gegenueber der Baukultur, der Bauherrschaft und den Architektur-Laien: Als Architekt/in muss fachlich und sachlich argumentiert werden, das schliesst Geschmacksvorlieben aus. – Nicht jedoch einen persoenlichen, privaten und kollegialen Austausch bei einer Tasse Kaffee – meinetwegen nicht in Wertheim.

Klaus Brendle ist Architekt und Stadtplaner in Lübeck

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