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[ Technik ]

Leichte Lösung

Auf deutschen Dächern könnten viele Wohnungen entstehen. Dafür eignet sich besonders die Stahl-Leichtbauweise, doch diese Möglichkeit wird bisher wenig genutzt.

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Text: Karsten Ulrich Tichelmann

In Deutschland fehlen derzeit geschätzt 2,5 Millionen Wohnungen. Diese müssen in prosperierenden Städten und Kommunen mit Zuzugswachstum entstehen und für das Gros der Bevölkerung bezahlbar bleiben. Eine zentrale Frage dabei ist, wie der Wohnungsbestand wirtschaftlich weiterentwickelt und wie neuer Wohnraum entstehen kann. Eine Möglichkeit bietet die Nachverdichtung durch Aufstockung. Das Potenzial, das auf diese Weise erschlossen werden kann, ist beachtlich. Etwa 260 bis 290 Millionen Quadratmeter innerstädtischer Dachflächen sind dafür geeignet. Circa 72 Prozent davon befinden sich in wachsenden Regionen und ungesättigten Wohnungsmärkten. Die Angaben basieren auf der Monitoring-Studie der Versuchsanstalt für Holz- und Trockenbau (VHT) in Darmstadt aus dem Jahr 2012. Wie viel Dachfläche sich am Ende nutzen lässt, hängt ab von den technischen Qualitäten des Gebäudebestandes, den Bebauungsplänen sowie dem vertretbaren Maß und Dichte der Nachverdichtung für das Umfeld. Eine Auswertung der technischen Eigenschaften und bauordnungsrechtlichen Gegebenheiten von sogenannten Schwarmstädten ergibt dabei einen mittleren „Verdichtungsschlüssel“ von 1,34. Demnach kann der Gebäudebestand überwiegend mindestens eingeschossig, teilweise sogar mehrgeschossig aufgestockt werden. Das entspricht rund 200 Millionen Quadratmetern Wohnfläche beziehungsweise 2,5 Millionen Wohnungen. Damit wäre rechnerisch das Wohnungsproblem gelöst.

Vorteile durch Optimierung

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Wohnraum-Gewinn: Bei dieser dreigeschossigen Wohnanlage aus den 1960er-Jahren bot sich die Nutzung der Flachdächer für eine Aufstockung geradezu an. Diese erfolgte aufgrund der statischen und der brandschutztechnischen Anforderungen in Stahl-Leichtbauweise.Objekt: Aufstockung Frankfurt
Bauherr: Industria Bau- und Vermietungsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main
Generalplanung: TSB Ingenieurgesellschaft mbH, ­Darmstadt
Gesamtbauausführung: Gebr. Bommhardt ­Bauunternehmen GmbH & Co KG, Bischhausen
Bauausführung Stahl-Leichtbau: O. Lux GmbH & Co, ­Georgensgmünd

Aufstockungen sollten mit leistungsfähigen und effizienten Leicht- und Hybridbauweisen errichtet werden, die die Prinzipien des vorgefertigten und modularen Bauens nutzen. Denn bereits werkseitig hergestellte Außenwände, Decken und Dachkonstruktionen bis hin zu kompletten Sanitärzellen oder Raummodulen garantieren eine schnelle Montage. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Arbeiten im bewohnten Zustand erfolgen sollen. In diesem Fall ist eine kurze Bauzeit mit möglichst geringer Lärmbelästigung wichtig. Doch die verfügbaren Holz-, Beton- und Stahl-Leichtbauweisen werden im Wohnungsbau längst nicht in dem Umfang eingesetzt, wie es den technologischen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen entspricht. Gerade bei Aufstockungen lassen sich durch die Optimierung des Tragwerkes und die Trennung von tragenden Primär- und leichten Sekundär-Konstruktionen vor allem hinsichtlich Geometrie und Gewicht beträchtliche Einsparungen erzielen. Dadurch sinken die Material- und Stoffkosten und die Transporteinheiten werden besser ausgenutzt, wodurch auch der Primärenergieverbrauch insgesamt sinkt. Weitere Vorteile derart funktionsoptimierter Konstruktionen im Vergleich zum Massivbau sind ein Flächengewinn sowie eine höhere Grundriss-Flexibilität. Letztere ermöglicht, dass sich bei veränderten Anforderungen an die Nutzung der Bestand unkompliziert anpassen lässt.

Aufstockung in Frankfurt

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Leicht und flexibel: Tragende Trockenbauweise mit kalt geformten Dünnblech-Stahlprofilen mit Blechdicken von nur 1,5 bis 2 Millimetern.

Ein Beispiel bietet eine Gruppe von Wohngebäuden in dreigeschossiger Zeilenbauweise im Frankfurter Stadtteil Praunheim. Es handelt sich um eine typische Anlage der 1960er-Jahre, die später nur geringfügig modernisiert wurde. Doch aufgrund ihrer guten infrastrukturellen Anbindung und des großzügigen Baumbestands erschien die Wohnanlage für eine Nachverdichtung attraktiv. Um den gewachsenen und teilweise sehr wertvollen Baumbestand zu erhalten und die Belichtung der Bestandswohnungen nicht zu beeinträchtigen, nutzte man für den Bau neuer Wohnungen die weitläufigen Flachdächer von zunächst drei Gebäuden. Das Finanzierungskonzept sah vor, aus den Verkaufserlösen der neuen Wohnungen auf dem Dach den Bestand energetisch und technisch zu modernisieren und die Häuser gestalterisch aufzuwerten.

 

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…ermöglicht in Verbindung mit den tragenden Außenwänden flexible Grundrisse.
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Das Tragwerk der Weitspannträger aus diesen Dünnblech-Profilen…

Nach einer Untersuchung des Gebäudebestandes stellte sich heraus, dass die Tragfähigkeit der tragenden Wände keine Aufstockung in konventioneller Massivbauweise erlaubte. Daraufhin wurde ein Konzept entwickelt, das die Resttragfähigkeiten der tragenden Wände ausnutzt und auch die nicht tragenden Wände einbezieht. Aufgrund der statischen Einschränkungen und der brandschutztechnischen Anforderungen – durch die Aufstockung veränderte sich die Gebäudeklasse des Gebäudes und die Feuerwiderstandsdauer der Konstruktion wechselte zu F30A oder F60BA – wurde für die Aufstockung die Stahlleichtbauweise gewählt. Es handelt sich dabei um eine tragende Trockenbauweise mit kalt geformten Dünnblech-Stahlprofilen. Die Blechdicken der C- und U-Profile der Ständer- und Deckenelemente betragen hier nur 1,5 bis 2,0 Millimeter – ein maßgeblicher Faktor für das geringe Gewicht der Gesamtkonstruktion. Gleichzeitig ermöglicht das Tragwerk der Weitspannträger aus diesen Dünnblech-Profilen in Verbindung mit den tragenden Außenwänden in Stahl-Leichtbauweise eine flexible Grundrissgestaltung. Sowohl loftartige Penthousewohnungen als auch Einheiten mit vollständig freier Aufteilung mit in sich abgeschlossenen Räumen ließen sich so realisieren.

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Reduziert die Bauzeit maßgeblich: Werkseitig hergestellte Wände, Decken und Dachkonstruktionen bis hin zu kompletten Sanitär- und Raummodulen garantieren eine schnelle Montage.

Die Wand- und Deckentafeln wurden werkseitig vorgefertigt, was einen schnellen Baufortschritt ermöglichte. Da die Montage der Elemente direkt über der bestehenden Dachabdichtung erfolgte, entfiel die sonst im Rahmen einer Sanierung notwendige Dämmung und Neuabdichtung der Flachdächer. Die hier eingesparten Kosten sind bei der Ermittlung der Herstellungskosten für die Aufstockung gegenzurechnen. Dadurch ist die Flachdach-Sanierung praktisch kostenneutral. Die zügige und direkt auf den bestehenden Dächern erfolgte Montage minimierte darüber hinaus die Belästigung der Mieter. Alle Arbeiten mussten im bewohnten Zustand durchgeführt werden.

Je nach Installationsgrad der Haustechnik wurden die Wand- und Deckenelemente im Werk ein- oder beidseitig beplankt. Zur wirtschaftlicheren Fügung der Plattenwerkstoffe auf dem Metallständerrahmenwerk dienten ballistische Nägel, die eine analoge Verarbeitung zum Holzbau ermöglichen. Durch die in das Ständerwerk integrierte Dämmung sowie eine zusätzliche Außendämmung konnten U-Werte von 0,15 bis 0,20 W/m² K erreicht werden. Da die Stahl-Leichtbauweise grundsätzlich diese zwei Dämmebenen erfordert, ergibt sich, wie auch dieses Beispiel zeigt, zwangsläufig ein über den Anforderungen der Energieeinsparverordnung liegendes energetisches Niveau. Außerdem werden durch die zwei Dämmebenen Wärmebrücken nahezu vollständig eliminiert. Neben dem guten Wärmeschutz bietet die Konstruktion auch einen erhöhten Schallschutz: Stahl-Leichtkonstruktionen verhalten sich wie zweischalige Bauteile und sind massiven Konstruktionen in ihrem bauakustischen Leistungsvermögen und ihrer Schalldämmung überlegen.

Eine begleitende Mieterbetreuung stellte fest, dass die Bewohner die neue und anfangs kritisch beurteilte Bauweise am Ende auf breiter Basis akzeptierten und die Störungen als sehr gering beschrieben.

Professor Dr.-Ing. Karsten Ulrich Tichelmann ist Leiter des Fachbereichs Architektur, ­Tragwerksentwicklung und Bauphysik an der Technischen Universität Darmstadt.

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