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Perspektivwechsel

Architekturpreise werden meist von Fachleuten vergeben. Wenn Laien abstimmen dürfen, kann etwas ganz anderes herauskommen

Text: Cornelia Dörries

Es gehört zu den Seltsamkeiten des demokratischen Kulturbetriebs, dass ausgerechnet der Architektur als wohl öffentlichster Kunst kaum etwas gleichgültiger ist als Popularität. Wie sonst ließe sich erklären, dass von den mehr als 300 Architekturpreisen, die hierzulande auf Länder- oder Bundesebene verliehen werden, nur wenige Wert auf die Mitwirkung oder Meinung der Öffentlichkeit legen? Stattdessen entscheiden allein Fachjurys; und über das Zustandekommen ihres Votums dringt höchst selten etwas nach draußen, schon gar nicht, welche Kriterien für die Entscheidung ausschlaggebend waren. Nun könnte man einwenden, dass auch Preise für Filme, Literatur oder bildende Kunst hauptsächlich von den jeweils zuständigen Experten vergeben werden. Doch anders als bei Bauwerken ist niemand gezwungen, sich mit den prämierten Hervorbringungen dieser Gattungen tatsächlich auseinanderzusetzen. Dennoch gibt es nur wenige Architekturpreise und -umfragen, die sich dezidiert an ein breites Publikum wenden.

Foto: Klaus Frahm/Hamburg
Metropolis Haus (Foto: Klaus Frahm/Hamburg)

Große Städte, große Streitlust

Gerade in den großen Städten mit vitalem Baugeschehen, wie Hamburg, München und Berlin, gibt es eine wache und sensible Bürgerschaft, die die Entwicklungen vor Ort sehr aufmerksam und mit sprungbereiter Streitlust verfolgt. Es ist eine interessierte Öffentlichkeit, die sich eigentlich jede Stadtplanungsbehörde und jeder Architekt wünschen müsste, der es mit der Baukultur ernst meint. Und es ist zugleich eine ­Öffentlichkeit, die auch ernst genommen werden möchte mit dem, was sie an Meinungen und Argumenten vorzubringen hat – und zwar ohne den Nachweis eines ordentlichen Architekturdiploms.

Dass die Meinung der Öffentlichkeit auch im undurchsichtigen Architekturpreis-Wesen berücksichtigt werden sollte, setzt sich nur langsam durch und ist möglicherweise die Folge einer Begriffserweiterung: weg vom Expertendiskurs über Architektur, hin zur weiter gefassten Baukultur-Debatte. Dass diese Öffnung überfällig war, zeigte sich spätestens bei umstrittenen Großprojekten wie Stuttgart 21 oder der Hamburger Elbphilharmonie: Die zähen Konflikte um Gestaltung oder Kosten dieser Projekte offenbarten eine tiefe Kluft zwischen Planer-Zunft und Öffentlichkeit.

Ausgerechnet der elitär angehauchte Bund Deutscher Architekten BDA wagt es nun seit einer Weile, die breite Öffentlichkeit zum Votum über Gegenwartsarchitektur einzuladen. So lobten bislang die Landesverbände von Bayern, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, des Saarlandes und von Schleswig-Holstein schon eigene Publikumspreise aus, parallel zur Ermittlung des alle drei oder vier Jahre zu vergebenden regionalen BDA-Preises. Das breite Publikum kann sich dabei zwischen den Kandidaten einer von Experten kuratierten Auswahl entscheiden. Großen Zuspruch erleben diese Publikumsbewertungen vor allem dann, wenn sich eine Medienpartnerschaft, wie beispielsweise die zwischen dem BDA-Landesverband Bayern und der auflagenstarken Süddeutschen Zeitung, ergibt; ohne derartige publizistische Unterstützung erreichen solche Umfragen nur selten die Aufmerksamkeit des sogenannten Laienpublikums.

Die Ergebnisse belegen die Unterschiede im Abstimmverhalten zwischen Experten und Allgemeinheit mitunter recht deutlich. Sehr augenfällig war zum Beispiel die Differenz 2007 in Schleswig-Holstein: Die interessierten Bürger kürten den Umbau eines historischen Kanzleigebäudes in der Lübecker Innenstadt zum Sieger; die Architektenschaft votierte unter anderem für die Mühlenbergklinik in Bad Malente (Petersen Pörksen und Partner) und ein Filtrations-Klärwerk in Flensburg (Hochbauamt Stadt Flensburg) – beides Architekturen von kühler Funktionalität.

Auch der im letzten Jahr verliehene BDA-Preis von Hamburg offenbart diesen Unterschied. So wurden von der Fachwelt mit den neuen Hamburger Terrassen (Hauschild + Siegel Architekten), dem Erweiterungsbau der Gorch-Fock-Schule (BRT Architekten) und dem Marco Polo Tower (Behnisch Architekten) die dezidiert modernen Bauten ausgezeichnet. Das Publikum hingegen dachte seinen Preis dem Metropolis-Haus (Florian Fischötter) zu – einem modernen Bürogebäude, das sich in seiner dunklen Ziegeloptik gut in die gewachsene Umgebung am Gänsemarkt einfügt und in seiner Zurückhaltung sicher hanseatischer daherkommt als die von den Experten gelobten Stahl-Glas-Bauten.

Die Grenzen der Fachwelt überschritt auch der Architekturpreis Berlin, den ein privater Verein seit 1992 vergibt. In diesem Jahr wurde in seinem Rahmen erstmals ein mit 5.000 Euro dotierter Publikumspreis ausgelobt. Die Berliner Bürger waren aufgerufen, auf der Online-Plattform der Zeitung „Tagesspiegel“ aus insgesamt 160 Projekten das ihrer Meinung nach gelungenste Bauwerk auszuwählen.

Foto: archimage.M.Hansen/Hamburg
Publikumsliebling und Expertenfavorit: Das Metropolis Haus (oben) gefällt dem Publikum besser als die Hamburger Terrassen (Foto: archimage.M.Hansen/Hamburg)

Kita schlägt Stararchitekten

Angesichts des interaktiven Stadtplans, auf dem die zur Auswahl stehenden Projekte verzeichnet waren, hätte es wohl niemanden überrascht, wenn die Wahl der interessierten Öffentlichkeit auf einen der so zahlreichen wie ambitionierten Neubauten im Berliner Zentrum gefallen wäre – dort ballen sich jüngere Bauwerke bekannter Büros wie Daniel Libeskind, gmp, Jürgen Mayer H. oder Sergej Tchoban.

Stattdessen votierten die Teilnehmer für eine kleine, farbenfrohe Kindertagesstätte in Lichterfelde am südwestlichen Stadtrand. Dort entstand in einem denkmalgeschützten Fabrikgebäude aus dem Jahr 1903 etwas, das man als fröhlichen, sonnigen Ort bezeichnen könnte – ein Raum für 30 Kinder und ihre Erzieherinnen. Das Berliner Büro baukind, spezialisiert auf die Planung von Kindertagesstätten (siehe auch DAB 10/12), hat die knapp 240 Quadratmeter große Fläche eines ehemaligen Getränkemarktes, gelegen im ersten Obergeschoss, in eine Abenteuer-, Spiel- und Entdeckerlandschaft verwandelt.

Und so setzten sich runde Gucklöcher, fruchtig-bunte Einbauelemente und angemalter Beton im langweiligen Lichterfelde gegen zackige Auskragungen, spektakuläre Enfiladen und gewagte Dachaufbauten im Hochspannungsbezirk Berlin-Mitte durch. Man könnte auch sagen: ein Punktsieg der nahbaren, lebendigen, gleichwohl durchdachten und klugen Architektur, deren Qualitäten der interessierte Nicht-Architekt erkennt und die zugleich kein Experte in Abrede stellen wird. Der Preis der Fachjury ging dann an das Baugruppenprojekt BIGyard des Berliner Büros zanderroth in der Zelterstraße im Bezirk Prenzlauer Berg, ein mehr als 100 Meter langes Ensemble mit 45 Wohnungen und Townhouses. Die inneren Qualitäten fallen Experten nach Besichtigung und Studium der Grundrisse sofort ins Auge. Sie dürften den neugierigen Laien indes verborgen bleiben: Was sie sehen, ist nur eine Hausfassade mit großen Fenstern: unbelebtes Gleichmaß und strenge Ordnung. Und damit genau das, was bei Publikumsabstimmungen vermutlich öfter durchfällt.

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