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[ Geschmack ]

Bauen am feinen Unterschied

Elitäre Ästhetik ist kein Selbstzweck – sondern dient dazu, sich von einer breiten Masse abzusetzen. Wie man damit Aufträge gewinnt, erklären die Soziologen Pierre Bourdieu und Werner Sewing

Text: Gerwin Zohlen

Berlin 2009. Auf der Bauhaus-Ausstellung anlässlich des 90. Geburtstags sind Angebote, Produkte und Stellwände der Baumarktkette „Bauhaus“ installiert. Gedacht ist das von den Ausstellungsmachern als Ironie. Aber drum herum stehen, in Hochregalen gestapelt, die Klassiker, die „echten Unikate“ von Gropius, Mies van der Rohe, Mart Stam, Marcel Breuer, Le Corbusier und all den weiteren, die zur Hochgarde des Bauhauses gehörten. Fast unkommentiert lagern sie dort wie im stillen Depot eines Museums, als Inspirationsquelle für die Kopisten oder als Abhollager für Antiquitätengeschäfte und Auktionshäuser. Davor flanieren die Vertreter der Generation, zu deren Jugend diese Stücke gehörten, 70- und 80-jährige Herren und Damen in feinem Zwirn oder Brechtscher Mao-Kluft und flüstern sich zu, welche der ausgestellten Stücke sie in ihrer Wohnung beherbergen und welche ihrer Sammlung noch fehlen. Elemente also eines Lebensstils, mit dem sie sich nur allzu gern und selbstgewiss von der vulgären Masse der Kleinbürger unterscheiden, die geschmacklos am üppigen Fauteuil und geschweiften Couchtisch festhält, weil sie so bequem und gemütlich sind.

Wie nun, wenn all das plötzlich im Internet und – horribile dictu – möglicherweise durch die neue Generation der 3-D-Drucker für alle mir nichts, dir nichts erwerbbar und herstellbar wäre? Dann würde sich für die selbst ernannte Interieur-Avantgarde zeigen, dass diese Ästhetik mittlerweile überholt ist. Wenn jeder x-Beliebige sie sich mit recht wenigen Euros zulegen kann, hat sie ihre Exklusivität und ihren Nimbus verloren. Eine Aura des Besonderen wird man dann nicht mehr um sie spüren: Massenware, leicht gepudert.

Ein Meister der Distinktionen, vielmehr ein Meister der Analyse von Distinktionen, war der große französische Kultursoziologe Pierre Bourdieu (1930 – 2002). Er registrierte, dass herrschende Klassen nicht nur über direkte und grobe Machtmittel wie Polizei, Militär, Kapital, Lohnarbeit in Unternehmen oder mit sonstigen Frondiensten ihre Herrschaft absichern, sondern auch über softe und unscheinbare Techniken wie Geschmack, Sprache, Redewendungen, Kleidung. Und vor allem über Vorlieben wie Kunst statt Fernsehen, klassische Konzerte statt Fußball, Staatsoper statt Lady Gaga oder feines Kochen für Freunde statt Fastfood. Bourdieu bezeichnete dieses Cluster von Verhaltensweisen und „Liebhabereien“ als Habitus einer Person und der sozialen Gruppe, der sie sich zugehörig fühlt oder aufgrund des Habitus schlichtweg angehört. Die habituellen Elemente des Lebensstils schaffen einen homogenen sozialen Raum um die Gruppe, zu dem Zutritt nur hat, wer sich solchen Elementen verpflichtet weiß. Zu habituellen Elementen in diesem Sinn lassen sich Produkte, Möbel und Häuser jedweder Ästhetik zählen, auch der des Bauhauses. Das Buch Bourdieus heißt im Deutschen „Die feinen Unterschiede“. Bourdieu spricht darin vom „symbolischen Kapital“, über das der Einzelne respektive die (Berufs)Gruppe verfüge, um sich eine Position im Machtgefüge der Gesellschaft zu sichern oder zu verschaffen.

Foto: TECNOLUMEN
Klares Signal: Auch Wilhelm Wagenfelds Leuchte auf dem Schreibtisch soll dem Besucher womöglich ein Licht über den Status des Bewohners aufgehen lassen. (Foto: TECNOLUMEN)

Vor zwanzig Jahren hatten Bourdieus Gedanken dann einen prominenten Auftritt in den deutschen Architektur-Diskursen: 1994 veröffentlichte der Stadt- und Architektursoziologe Werner Sewing in der Zeitschrift Arch+ mit dem zum Mythos gewordenen Titel „Von Berlin nach Neuteutonia“ einen Aufsatz mit dem schlichten Titel „Berlinische Architektur“. Sewing wurde ab diesem Aufsatz zu einer Speerspitze der Kritik an Berlins Städtebaupolitik, die unter dem Namen des damaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann stand.

Es ging Sewing nicht um eine bestimmte Architektur. Vielmehr steht im Zentrum seines Aufsatzes die Frage, ob es sich im Berlin der 1990er-Jahre um eine „Planungskultur oder politische Kultur“ gehandelt hat. Zur Analyse zog er die soziologisch-philosophische Denktradition von Pierre Bourdieu heran und legte sich mit dessen begrifflichem Besteck die Machtfrage vor. Es ging ihm darum, wie Berufsgruppen, die ihrerseits über keine oder nur geringe reale Machtmittel an Kapital und politischer Herrschaft verfügen (wie zum Beispiel das Militär), Einfluss auf die Macht nehmen und eigene Machtpositionen erringen können, die es ihnen erlauben, ihre Interessen durchzusetzen und ihren sozialen Status abzusichern oder zu verbessern.

Sewing benutzte Bourdieus Begriff des symbolischen Kapitals, um die architektonischen Akteure im Berlin der 1990er-Jahre zu analysieren: „In … der Stadt müssen außer den in der Regel ausschließlich wahrgenommenen politisch-administrativen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern vor allem die Professionen beobachtet werden, die letztlich die konkurrierenden Ideen städtischen Lebens ,ins Bild‘ setzen: die Architekten und Planer. Zwar verfügt diese Gruppe weder über politisches noch über ökonomisches Kapital. Da aber Politiker, Beamte und Investoren wiederum über ein konsensfähiges Bild von Stadt nicht verfügen, erweist sich … das symbolische Kapital der Architekten als strategische Basis ihres Einflusses, der partiell in Macht umgemünzt werden kann.“

Im Folgenden zeichnet er die Karriere der Berlinischen Architektur nach und präpariert das Berlinische in dieser Architektur als bloße Inszenierung und Simulation heraus. Künstlich werde damit eine Tradition gestiftet, die es nie gegeben habe. In der Planungs- und Verfahrenskultur mit Wettbewerben, Stadtforen, Werkstätten und öffentlichen Diskussionen diene das Berlinische lediglich als Bengalisches Feuer, in dessen Brandnebel sich gut munkeln und schunkeln lasse. Die genannten Architekten hätten all das als ihr symbolisches Kapital investiert, um Positionen im Machtgefüge der Stadt zu erobern und zu wahren.

Sewings Analyse drehte sich um die Frage, welche städtebaulichen Muster und entwurflichen Designs nach dem Ableben und Leerlaufen des Moderne-Paradigmas mit „autogerechter Stadtplanung“ und einer funktionsgetrennten Stadt gesellschaftlichen Konsens gewinnen können. Was er schrieb, kam aber einer Verschwörungstheorie gefährlich nahe: Er unterstellte, die Suche und Forschung nach dem städtisch-architektonischen Gehalt eines zeitgenössischen Städtebaus, der die Erblasten des 20. Jahrhunderts verarbeitet, sei lediglich pure Inszenierung und krude Simulation zum Machterhalt einer kleinen Gruppe von Architekten.

Aber Sewing ging es seinerzeit nicht um eine einzelne Architektur oder Architekturen im engeren Sinn – sondern eben darum, dass es sich bei Architektur um ein Machtmittel handelt. Oder etwas milder und versöhnlicher gesagt, dass Architekturästhetik und herrschende Macht eine innige Gemeinschaft pflegen. Zur Architektur ist Sewings Aufsatz allenfalls eine Vorliebe für den „Dirty Realism“ eines Rem Koolhaas zu entnehmen. Diesen bewunderte er auch später noch, obwohl Koolhaas schon als „Profi-Avantgardist“ in die Dienste von Großbau-Konzernen eingetreten war – also genau das tat, was Sewing den Berliner Architekten vorgeworfen hatte: sein symbolisches Architektur-Kapital mit dem Finanzkapital verband, so dass von beiden gewünschte Bauwerke entstanden.

Nach Sewings Muster lassen sich vielen, wenn nicht allen architektonischen Engagements fragwürdige Motive unterstellen: Wer immer an neuen architekturästhetischen Ausdrucksformen arbeitet, tut es gewiss nicht nur für die Sache, sondern auch zur eigenen Unterscheidung vom Gewohnten, Alltäglichen und von großen Bevölkerungsteilen Akzeptierten. Was Architekten dabei anders machen, dient demnach vor allem auch der Distinktion. Die alte Avantgarde-Bewegung und alle, die ihren Idealen nach wie vor anhängen, taten und tun es auch, um sich als ästhetische Elite zu definieren – und mit ihrer Ästhetik ein exklusives symbolisches Kapital zu pflegen. Mit dem wiederum lassen sich Entwürfe an Bauherren verkaufen, die damit ihrerseits Distinktionswillen bekunden – etwa zu Nachbarn mit konventionelleren Villen oder gewöhnlichen Fabrikhallen. Auch da verbünden sich Symbol- und Finanzkapital.

Aber eine Avantgarde, zu deutsch Vorhut, ist dadurch bestimmt, dass der Tross ihr nachfolgen soll. Doch was wäre, wenn alle das täten? Dann wäre die Ästhetik der Avantgarde nicht mehr exklusiv – und sie selbst wäre keine Vorhut mehr; die anderen hätten sie ja eingeholt. So gesehen, ist es ein Glück für die alte Bauhaus-Ästhetik, dass ihr über Jahrzehnte nicht wirklich viele Menschen gefolgt sind. Heute aber sind Ikea-Möbel und weiße Hauskisten mehrheitsfähig; man sieht sie immer häufiger in den Eigenheimgebieten. Wer Avantgarde bleiben will, sollte sich dringend etwas Neues ausdenken. Etwas, was ihn von den gewöhnlichen Massen absetzt. Röhrende Hirsche vielleicht? Gleichviel – Hauptsache, es ist anders.

Gerwin Zohlen ist Autor in Berlin.

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