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[ Textile Bauten ]

Luftige Hüllen

Hightech-Gewebe beleben die experimentelle Architektur. Innovative Textilien lassen sich zudem beleuchten, mit Solarzellen ausstatten und später recyceln

Text: Iris Kopf

Wichtigste Materialien der erst etwa 25 Jahre jungen Membran- und Leichtbauweise sind technische Textilien und Folien mit Hightech-Qualitäten. Sie ermöglichen opake, reflexive wie auch transluzente und seit Neuestem sogar energieeffiziente Gebäudehüllen. In der Innenarchitektur haben Designer faszinierende Textil- und Membranelemente zur Gestaltung von Innenräumen entwickelt. Ökologische Bauprojekte setzen zunehmend auf textile Fassaden oder Dachkonstruktionen, die – mit Solarzellen ausgestattet – frei beweglich dem Sonnenverlauf folgend, energetische Gewinne einfahren.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Architektur mit ihren ebenen Gebäudekonturen ermöglicht das textile Bauen eine nahezu grenzenlose Vielfalt unterschiedlichster Formen. Für Architekten ist diese Bauweise deshalb ein ideales Experimentierfeld. Die Verbindung der biegeweichen und strapazierfähigen Gewebe mit Tragstrukturen – zumeist aus Stahl und Stahlseilen – erlaubt spektakuläre Konstruktionen und künstlerisches Design.

Über die architektonische Freiheit hinaus bietet textiles Bauen heute Vorteile, wie geringere Kosten als im Massivbau, kurze Bauzeiten, einen hohen Vorfertigungsgrad sowie eine schnelle und problemlose Erneuerbarkeit des Gebäudes oder einzelner Bauteile. Letzteres zahlt sich besonders bei Bauten aus, deren geplante Lebensdauer wesentlich niedriger ist als die Haltbarkeit massiver Baustoffe. In Bezug auf Wirtschaftlichkeit wird die Leichtbauweise zudem mit der zunehmenden Flexibilisierung der Gebäudenutzungen in relativ kurzen Zeiträumen immer attraktiver, da sie sich leicht anpassen lässt.

Nachhaltige Eigenschaften

Die verwendeten Materialien für die Tragkonstruktionen und die Architektur-Membranen unterliegen auch den Kriterien des nachhaltigen Bauens und müssen in der Lebenszyklusbetrachtung eines Gebäudes ihre Langlebigkeit und Recycelbarkeit nachweisen. Diesem Anspruch kommen viele Anbieter durch die Verwendung ressourcenschonender Materialien und durch innovative Herstellungstechniken nach. Die meisten Anbieter verzichten inzwischen beispielsweise bei der Folienproduktion auf Ammoniumperfluoroctanoat (PFOA) als Emulgator, das das Erbgut schädigen kann und im Verdacht steht, Krebs auszulösen. Trotzdem ist die Haltbarkeit der Materialien verblüffend: Die Folien des Millennium Towers in London beispielsweise haben eine Haltbarkeitsgarantie von mindestens 30 Jahren, was durchaus heutigem Standard entspricht. Die Architektur-Membranen sind am Ende ihrer Nutzungsdauer vollständig recycelbar, können in den Herstellungskreislauf zurückgeführt und für neue Nutzungen, auch gleicher Art, regeneriert werden. Beispiel­gebend ist hier das auf Initiative der Serge Ferrari Gruppe (einem globalen Akteur im Bereich der flexiblen Verbundmaterialien) entwickelte Texyloop-Verfahren – eine Recycling-Technologie mit europaweitem Sammelnetz für flexible Verbundmaterialien (Polyester/PVC). Weitere entscheidende Wirtschaftlichkeits- und Nachhaltigkeitskriterien textiler Architektur sind der ressourcenschonende Materialeinsatz und der Verzicht auf schwere Transport- und Montagegeräte beim Bau: Da jedes Gebäude ein Unikat ist, werden nur so viele Baustoffe vorgefertigt, transportiert und verbaut, wie notwendig sind.

Zweckorientierte Lösungen

Für das Bauen mit Folien oder Textilien kommen je nach Anwendungsfall kunststoffbeschichtetes Polyestergewebe, PTFE-(Polytetrafluorethylen-)beschichtetes Glasgewebe oder ETFE-(Ethylen-Tetrafluorethylen-)Folien zum Einsatz. Die jeweiligen projektspezifischen Anforderungen, das zur Verfügung stehende Budget sowie die ästhetischen und gestalterischen Wünsche des Bauherrn bestimmen letztlich die Auswahl des Materials.

Die extrem reißfesten Polyestergewebe gibt es in fünf Standardqualitäten, die sich durch Dicke, Gewicht und Reißfestigkeit unterscheiden. Sie werden beidseitig mit Kunststoff beschichtet und erhalten ergänzend eine schmutzabweisende Schutzlackierung aus Acryl oder PVDF (Polyvinylidenfluorid). Mit einer Lebensdauer von zehn bis 15 Jahren (Acrylfinish) und 15 bis 20 Jahren (PVDF-beschichtet) sind die Membranen aus PVC/Polyester sowohl für temporäre als auch für permanente Bauten einsetzbar und entsprechen qualitativ hohen Standards. Sie sind sehr flexibel und zeichnen sich durch gute UV- und Witterungsbeständigkeit aus. Die vor allem bei hellen Farben gegebene Lichtdurchlässigkeit ermöglicht interessante architektonische Anwendungen.

PTFE-beschichtetes Glasgewebe gibt es in einer vergleichbaren Bandbreite an Materialtypen. Glasgewebe kommt immer dann zur Ausführung, wenn eine weitgehende Selbstreinigung gewünscht wird oder von Baubehörden nicht brennbare Eigenschaften gefordert werden. Mit einer Lebensdauer von über 25 Jahren bietet sich dieses Material bevorzugt für permanente Bauten an.

Der Folienkunststoff Ethylen-Tetraflourethylen (ETFE) erlebt derzeit einen Boom, denn er eröffnet Architekten völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten. Mit dem glasklaren PTFE-Derivat, das sich durch geringes Eigengewicht, Robustheit und hohe Lichtdurchlässigkeit auszeichnet, lassen sich nicht nur futuristische Sportstadien realisieren, sondern auch Häuser dämmen und heizen, indem eintretende Wärme, Kühle und Licht exakt nach Bedarf reguliert werden. Die Folien müssen allerdings statisch vorgespannt werden. Zwei und mehrlagige ETFE-Folienkonstruktionen werden als Pneu oder Kissen ausgeführt, wobei der Kissendruck die Folienlagen stabilisiert. Einlagige ETFE-Konstruktionen sind in den Ausmaßen begrenzt und können in der Regel nur mit Seilunterstützung realisiert werden.

Innovative Kissen-Konstruktionen

Nicht nur nach Ansicht von Experten des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP in Holzkirchen ist textiles Bauen ein internationaler Zukunftsmarkt. Sechs Fraunhofer-Institute arbeiten im Projekt „Multifunktionale Membrankissen-Konstruktionen“ gemeinsam an deren Weiterentwicklung. Durch Beschichtung ist es gelungen, die Eigenschaften der ETFE-Folien zu verändern. Membrankissen beispielsweise, deren Innenseite mit Wolframtrioxid beschichtet ist, verfärben sich blau, wenn sie mit Wasserstoff in Berührung kommen. Lässt man Sauerstoff in die Kissen strömen, entfärben sie sich wieder. Damit kann der Lichteinfall reguliert werden. Projekt-Koordinator Andreas Kaufmann: „Mit einer solchen Folie könnte man eine ganze Hausfassade verkleiden und je nach Sonnenstrahlung Licht passieren lassen.“

Auch ein anderes Problem konnten die Forscher lösen: Bislang halten ETFE-Membranen Wärme kaum zurück. Ein Überzug aus hauchdünnen, durchsichtigen Aluminium- und Lackschichten reflektiert die Wärmestrahlung. Installiert man hinter einer ETFE-Folie Tausende Leuchtdioden, lassen sich zum Beispiel auch LED-Fassaden realisieren, so dass sich Hauswände auf einfache Art in riesige leuchtende Leinwände verwandeln. In Aluminium-Rahmenelementen sparen ETFE-Folien gegenüber herkömmlichen Glaskonstruktionen hohe Kosten bei Bau und Unterhalt des Objekts. Meist kann beim Bau auf teure Schwerlastkräne verzichtet werden, und kostspielige Befahranlagen sind durch die selbstreinigende Oberfläche überflüssig, denn Verschmutzungen werden in der Regel vom Regen abgewaschen. Darüber hinaus sind die Folien UV-stabil, sturm- und hagelsicher und halten fast unbegrenzt. Bei ihrer Verwendung als Folienkissen ist die Wärmedämmung exzellent. Und sollte doch mal ein Riss entstehen, lassen sich die Folien reparieren.

Imitiertes Eisbärfell

Das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) in Denkendorf forscht ebenfalls in Sachen Membranbau. Hier entstand in Zusammenarbeit mit Industriepartnern der „Eisbär-Pavillon“, bei dem der Nachweis gelang, dass die normalerweise geringe Wärmedämmung des Membranbaus steigerungsfähig ist.

Der Pavillon wird energieautark betrieben. Dazu übertrugen die Forscher das Prinzip des Eisbärfells auf die Membran-Konstruktion. Hier trifft das Sonnenlicht auf ein schwarz beschichtetes Textilgewebe und eine hochporöse Membran mit Wärmetransportschicht. Diese erwärmt die im Zwischenraum durchströmende Luft und bildet gewissermaßen einen flexiblen Sonnenkollektor, der als effizienter Energie-Wärmetauscher dient. Auf der Südseite gibt es fünf flexible Solarkollektoren. Die erzeugte Warmluft wird über das Dach einem Langzeit-Energiespeicher zugeführt – eine weitere Neuentwicklung im Rahmen dieses Projekts. Der Speicher wandelt Wärme in chemische Energie um und kann im Sommer ausreichend viel Wärme speichern, um den Pavillon im Winter zu beheizen.

Iris Kopf ist freie Baufachjournalistin in Berlin.

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