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[ Berlins Freiflächen-IBA ]

Bloßer Brachenkult oder Planung mit Weitsicht?

Berlin plant für 2020 eine Internationale Bauausstellung, die die vielen Leerräume der Stadt pflegen will: für den Klimaschutz, für Spontan- und Zwischennutzungen. Berlins Senatsbaudirektorin will damit innerstädtische Freiräume restriktiv und klug bewirtschaften. Das Bauen selbst kommt nur am Rande vor. Wie Berlins Stadtbaudirektorin Regula Lüscher ihre Position begründet, und was DAB-Chefredakteur Roland Stimpel davon hält.

Das Kapital der Stadt nutzen

Ist diese IBA eine „Anti-Bau-Veranstaltung“? Nein. Bauen ist zwar nicht der Ausgangspunkt und doch das Ziel dieser IBA. So muss die Frage anders gestellt werden: Wie gehen wir in der Stadt der Zukunft mit den städtischen Ressourcen um und wie kommen wir dabei zu einer anderen Verfahrens- und Baukultur?

Erstmals wohnt die Mehrzahl der Menschen in Städten, sieht die Stadt als Heimat, will dort ihre Lebensplanung verwirklichen und will beteiligt sein an der Entwicklung ihrer Stadt. Stadt ist für alle attraktiv und sie wird dadurch wieder zur gesellschaftlichen Instanz, zum Ort der Entscheidungen. Die Stadt muss daher nachhaltig und demokratisch im umfassenden Sinne weiterentwickelt werden — und dies mit beschränkten öffentlichen Ressourcen. Sie muss im Extrem vom Energieverbraucher zum Energieproduzenten werden und allen Bürgern und Bürgerinnen die Teilhabe an der Stadt als Lebens- und Wirtschaftsraum ermöglichen.

Das bedeutet konzeptionell, die Phase vor dem Bauen scharf in den Blick zu nehmen: Für exzellente Architektur, städtebauliche Ensembles und lebendige Quartiere muss die Stadt nicht generisch, sondern aus den ihr innewohnenden „Begabungen“ heraus entwickelt werden. Das ist keine neue Idee. Über endogene Potenziale spricht man in der Stadtforschung seit Jahrzehnten, aber die Frage „Wie diese nutzen?“ war angesichts leerer Kassen und oft widerstreitender Begehrlichkeiten nie aktueller. „Wie“ kann in diesem Falle nur heißen: aus sich heraus und mit allen Partnern im Dialog in passgenauen Prozessen.

Das Vorkonzept für eine IBA 2020 in Berlin ist hierfür der Rahmen. Es geht von dem in jeder Stadt vorhandenen latenten „Stadtkapital“ aus, identifiziert es für Berlin und zeigt modellhaft den Weg, wie man durch anderes Hinsehen, anderes Rechnen und anderes Kooperieren zu anderem Bauen kommt. Das Konzept „Hauptstadt.Raumstadt.Sofortstadt“ ist die konzeptionelle Herangehensweise der IBA 2020 in Berlin, eine Identitätsstrategie mit einer städtebaulich-architektonischen Strategie und einer prozessorientierten Vorgehensweise zu verknüpfen. Alle drei münden im Gebauten.

Die Raumstadt wird für den weiter steigenden Bedarf an Wohnraum, für Industrie und Gewerbe, für die öffentlichen Orte — seien es Freiräume, Plätze, Parks — für die Klimaanpassung oder als öffentliche und soziale Infrastruktur gebraucht. Architektonische Prototypen, neue Finanzierungsmodelle, modellhafte Verfahren für eine nachhaltige Flächenbewirtschaftung und neue Formen der Raumaneignung müssen dafür entwickelt werden.

Berlin hat durch seine Raumreserven eine hervorragende Ausgangslage, den Raum ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig zu bewirtschaften. Es wäre stadtpolitisch wie ökonomisch völlig falsch, die großen, durch die besondere historische Entwicklung noch freien innerstädtischen Areale jetzt in einem Parforce-Ritt zu versiegeln. Es gilt vielmehr, diesen Raum restriktiv und klug zu bewirtschaften.

Raumstadt heißt daher nicht, in Zukunft nicht zu bauen. Raumstadt bedeutet auch, die Zukunft nicht zu verbauen.

Sofortstadt versteht Bauen als Prozess. Sie greift die oft unvermeidbar langen Zwischenzustände als Chance auf, Beteiligung und Kooperation im Entwurfsprozess von Stadt anders zu nutzen. Während dieses Experimentes auf Zeit eröffnen sich die Möglichkeiten, durch vorübergehende Setzungen oder provisorische Architekturen Zukunft auszuprobieren.

Eine IBA in Berlin ist eine Hauptstadt-IBA. Berlin ist das Schaufenster Deutschlands. Hauptstadt heißt deshalb nicht: höher, weiter, schneller. Hauptstadt heißt die Antwort auf die Frage: Welche (städtische) Gesellschaft wollen wir und wie sieht deren bauliche Repräsentation aus?

Rekapitulieren wir. Integration bewältigen: Selbstverständlich! Energiefrage sozialverträglich beantworten: Natürlich! Teilhabe ermöglichen: Ja! Und Bauen? Unmissverständlich: Ja! Bauen ist der Motor auch dieser IBA. Avantgarde in Städtebau und Architektur ist der unmissverständliche Anspruch.

Regula Lüscher, Stadtbaudirektorin in Berlin

Der neue Brachen-Kult

Den frühen internationalen Bauausstellungen ging es um Neubau, späteren mehr und mehr um Umbau, Erhaltung und sanfte Überformung. Berlins IBA 2020 will nun als erste Bauausstellung an vielen Stellen das Bauen verhindern. Als eine „Leitidee“ teilt sie mit: Die vielen Leerstellen der Stadt „können entweder als entwicklungsfähige offene Räume gesichert oder als klimawirksame Flächen genutzt werden. Und sie können für spätere, jetzt noch nicht bekannte Nutzungen offen gehalten, umgenutzt oder“ – als Letztes, Unwichtigstes – „sie können als potenzielle Bauflächen vorbereitet“ werden.

Ihre Bevorzugung des Nicht-Bauens begründet die IBA mit angeblichem Bürgerwillen. „Berliner genießen die Weiträumigkeit ihrer Stadt. Sie empfinden die Leerstellen als besondere Qualität.“ Wirklich? Wohnungsmarkt, Szene- und Kulturleben zeigen eine ganz andere Priorität: Der größte Andrang herrscht dort, wo es die wenigsten Leerstellen gibt. Auf sie verzichten die Leute gern, wenn sie nur die urbane Dichte der Gründerzeitquartiere am Prenzlauer Berg, in Kreuzberg oder Friedrichshain bekommen. Die kreativen Potenziale der Stadt ballen sich in städtischer Enge, nicht auf Brachen und Krautwiesen.

Solche Stadtlöcher meiden Urbanauten, Szenegänger, Makler und Touristen eher, egal wie zentral sie liegen. Sogar die Friedrichstraße musste in ihrem brachigen Südteil gerade zum Sanierungsgebiet erklärt werden, da kein bürgerschaftlicher Impuls sie beleben mag. Die wenigen attraktiven Brachen werden gern spontanprivatisiert wie das Osthafen-Ufer mit seinen Standkneipen-Zaunverhauen. Oder sie dienen dem luxuriösen Aasen mit Flächen, etwa auf den 380 Hektar in Tempelhof, wo sich an Sommertagen im Schnitt 7 000 Menschen verlieren und im Winter vielleicht noch 70 Unentwegte joggen.

Menschenleere in der Metropole rechtfertigt die IBA mit dem Klimawandel: Freiflächen halten die Stadt kühl. Doch seit 50 Jahren befeuert weltweit gerade der weitläufige, leerreiche Städtebau mit viel Autoverkehr und eher frei stehenden Häusern die Erderwärmung. Ausgerechnet die durchlöcherte Stadt will die IBA. Sie will lokale Folgen des Klimawandels abmildern; den städtischen Anteil an seiner globalen Ursache vergrößert sie.

Ästhetisch bedient der Brachenkult Nostalgiker, für die Wahn und Wirrnisse des 20. Jahrhunderts das Stadtbild auch weiterhin prägen sollen. Politisch bedient er linken Trotz – wieder einem Miethai das Grundstück blockiert! – und Kiezspießigkeit: Wir wohnen hier schon, und das reicht doch völlig. Schließlich bedient er die aktuelle Planermode der bekennenden Planlosigkeit: Festgelegt wird nur, dass nichts festliegen soll. Zwischennutzung bekommt Ewigkeitswert – „Sofortstadt“ heißt das bei der IBA. Tatsächlich verweigert es Stadt.

Dabei hat Berlin durchaus Probleme, zu deren Lösung eine IBA beitragen könnte. Gerade kippt der Wohnungsmarkt nach zehn fast neubaulosen Jahren um. Berlin muss dringend wieder bauen. Soll das klimafeindlich am Stadtrand geschehen, während drinnen die IBA wartet, ob sich für die Leerflächen in 30 Jahren Besseres findet? Für die noch größere wirtschaftliche Not Berlins interessiert sie sich schon gar nicht. Könnte Städtebau auch etwas für die Viertelmillion Arbeitslosen tun oder für die Steuerkassen der Pleitestadt Berlin? Kein Thema für die IBA.

Eine stadt- und klimafreundliche IBA könnte anstreben, dass Genossenschaften und Baugruppen, Investoren und Townhäusler auf Innenstadtbrachen mit eigenem Geld Wohnungen für 50  000 Menschen bauen. Das bräuchte etwa 100 Hektar Baufläche, nur einen Bruchteil der zentralen Leerräume. Es brächte Wohnraum, Geld und Arbeit; es zöge Randsiedler in die Innenstadt und brächte zum Klimaschutz eine Re-Konzentration der Stadt. (Gegen Überhitzung könnte man reichlich Fahrspuren und Parkplätze entsiegeln.) Doch die IBA scheint ihr Zieljahr 2020 missverstanden zu haben: Sie versteht die Doppelzahl offenbar als Verpflichtung, das triste Erbe des 20. Jahrhunderts zu pflegen.

Roland Stimpel, Chefredakteur des Deutschen Architektenblatts.

1 Gedanke zu „Bloßer Brachenkult oder Planung mit Weitsicht?

  1. Bravo!
    Das ist eine Antwort. Ein 28jähriger Berliner dankt Ihnen Herr Stimpel.
    Frau Lüscher möchte unbedingt den Anti-Stimmann geben, nur kein Basta, keine Festlegung. Was wir jetzt haben ist eine Art Bau-Merkel. Eine seltsame Kompromiss-Architektur-/Städtebau in der Stadt. Man sehe sich nur mal die durch Lüschers Wettbewerbe entstandenen Bauten an (Ramada-Hotel Karl-Liebknecht-Straße z. B.),
    oder wieder Stadthäuser in der neuen Europacity, obwohl doch dort mehrgeschossiger Wohnungsbau (evtl. auch über Traufhöhe) 500 Meter vom Hauptbahnhof entfernt sinnvoller wäre.
    Mit Stimmann musste man nicht einer Meinung sein. Aber der hatte einen Standpunkt.
    Jetzt ist alles vage, eventuelle, nur nicht festlegen.
    So sehr ich auf Frau Lüscher gesetzt habe, so enttäuscht bin ich jetzt. Die IBA-Planung kann nur als Witz verstanden werden.

    Jan Bechstein

    Antworten

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