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[ Streitgespräch ]

„Das sieht einfach gut aus“

Kunststoff hier, Naturstein dort: Arno Brandlhuber und Tobias Nöfer über ihre sehr gegensätzlichen Häuser in derselben Straße

Zeitgeist: Mit seinem Ateliergebäude gelang Arno Brandlhuber ein architektonischer Coup

Gespräch: Cornelia Dörries und Roland Stimpel

In der Berliner Brunnenstraße haben der 46-jährige Arno Brandlhuber und der 44-jährige Tobias Nöfer zwei extrem unterschiedliche Häuser entworfen: eins billig, eher roh und gestalterisch unkonventionell, das andere gediegen und am vorhandenen Stadtbild orientiert. Die Konfrontation ist zwar sehr berlinisch, aber weit über die Lokaldiskussion hinaus interessant – zumal ganz unterschiedliche Denkwelten der beiden Architekten dahinterstehen.

In Brandlhubers Galerie-, Büro- und Wohnhaus sind in ein Betonregal Fassadenplatten aus Polycarbonat gesetzt; das Innere prägt Unbearbeitet-Rohes aus Beton, Eisen und Sperrholz. Das schlichte Konzept ermöglicht ein für Neubauten sehr niedriges Mietniveau und bietet so Nutzern Raum, die sich sonst in der Berliner City immer schwerer halten können. Brandlhuber ist selbst Bauherr und mit seinem Architekturbüro dort eingezogen. Manche Betrachter halten das Haus für ein kurzlebiges Provisorium. Andere feiern es nicht nur als sozial-urbanes, sondern auch als ästhetisches Kontrast-Fanal zum gängigen Berliner Neubau mit Naturstein-verkleideten Fassaden. „Brutiful“ und „vertical teutonic favela“ hießen die Komplimente des Architekturblogs „Slab“ für Brandlhubers Bau.

Zeitlos: Der klassische Neubau von Tobias Nöfer in der gleichen Straße will von Dauer sein.

Einige Meter weiter entwarf Tobias Nöfer ein jetzt im Bau befindliches Ärztehaus mit zwei aufgesetzten Wohngeschossen, zu dessen Gestaltungselementen ein Eingangs-Rundbogen, eine Natursteinsäule an der Straßenecke und eine weiße Putzfassade gehören. Die Fassaden- und Baukörpergliederung wirkt eher klassisch-traditionell, kopiert aber keine Altberliner Vorbilder. Das Haus will den Kontext weiterentwickeln. Nöfer sieht Architekturqualität vor allem im Gestalterischen, Brandlhuber im Gesellschaftlich-Ökonomischen.

Brandlhuber: Wir hatten ja beide eine recht ähnliche, eher technisch orientierte Architektur-Ausbildung – Sie in Aachen, ich in Darmstadt. Trotzdem kommen wir zu Lösungen, die sich nicht nur formal ganz stark unterscheiden.

Nöfer: Ich strebe nicht nach Aha-Effekten; mein Haus soll sich dem Betrachter nicht gleich aufdrängen. Es soll nicht zeittypisch, sondern überzeitlich sein. Aber wo es guttut, bediene ich mich gern hemmungslos archaischer Elemente wie hier des Rundbogens, sozusagen als Metasymbol für Eingang und für Durchschreiten. Die Granitsäule an der Ecke und der Freiraum dahinter sollen es Fußgängern ersparen, im spitzen Winkel um das Haus laufen zu müssen. Und sie soll natürlich dafür sorgen, dass sich das Haus Betrachtern besser einprägt. So ein dickes Stück Naturstein gibt es nicht oft bei einem Bau mitten in der Stadt.

Brandlhuber: Aber was hat das mit unserem Leben und unseren Themen zu tun? Während die griechische Staatskrise auch uns erreicht, bauen Sie altgriechische Steinsäulen aus Vollmaterial im Jahr 2010. Soll Ihr Bau eigentlich in irgendeine Zukunft deuten?

Nöfer: Er soll und er kann doch nicht tagesaktuell sein. Dann hätte ein Haus vor zehn Jahren englische Säulen gehabt und eins von heute chinesische, weil China gerade so prosperiert. Es ging mir nicht um ein Statement zu Griechenland, sondern um etwas, was vor dem Hintergrund unserer Sehgewohnheiten wohltut.

Brandlhuber: So banal habe ich es auch nicht gemeint. Mich stört aber, dass ein Element wie die Vollsteinstütze für die Orientierung an einer ­bestimmten Art von Vergangenheit steht, an einer vermeintlich bes­-
seren Zeit.

Nöfer: Es geht nicht um Nostalgie, um das Zurücksehnen nach einer vergangenen Zeit. Aber umgekehrt will ich auf ein interessantes architektonisches Ausdrucksmittel nicht deshalb verzichten, weil es vielleicht aus einer Zeit mit fragwürdigen Praktiken stammt. Nicht alles, was jemand vor 100 oder 2 000 Jahren schon mal gebaut hat, ist allein deshalb für uns heute tabu. So oder so ist das Haus natürlich zeitgenössisch, für heutige Nutzer gebaut, mit konstruktiven Details von heute und nach den aktuellen Normen. Deshalb ist es etwas ganz anderes als die wirklich historischen Bauweisen. Aber das Ganze knüpft an unsere Gewohnheiten an, mit denen das Haus spielt und sie vielleicht ein wenig verändert. Da gibt es moderne Schaufenster-Elemente, und trotzdem steht davor so eine massive Säule.

Der Architekt Arno Brandlhuber, Jahrgang 1964, zog 2006 mit seinem Büro von Köln nach Berlin-Mitte, wo er auch lebt. Er lehrt außerdem Architektur und Stadtforschung an der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg.

Architektenblatt: Herr Brandlhuber, Ihr Haus stellt Gewohnheiten stark infrage. Welche Rolle spielen für Sie die Vergangenheit eines Ortes und der Kontext zur Nachbarschaft?

Brandlhuber: Der Kontext spielt eine tragende Rolle, und er kann nicht von sozialen Fragen und Belangen der Nutzer abgelöst werden. Auch wir haben die Traufhöhe und die Geschosshöhen der Nachbarn übernommen. In unserer Vorderfassade ist ein Sprung, um zwischen den beiden Nachbarhäusern zu vermitteln. Was man von vorn nicht sieht: Das Dach ist angeschrägt, damit der dahinterliegende Hofbau noch ausreichend Sonne bekommt. Und unser ganzes Konzept reagiert auf die ökonomische Entwicklung der Berliner Innenstadt. Während ringsum nur noch teuer gebaut oder saniert wird, haben wir uns um ein Gebäude bemüht, in dem die Quadratmetermieten unter zehn Euro liegen können, damit heutige Mieter auch künftig in dieser Gegend agieren können. Das ist eine soziale Kontextualität und Beziehung zur Nachbarschaft.

Nöfer: Ich finde es gut, auf den Preis zu achten und auch Projekte zu verfolgen, die die Gentrifizierung in so einer Gegend abschwächen und nicht verstärken. Ich kenne selbst jemanden in einem Hinterhaus dort, der sicher in fünf Jahren hinaus muss, weil er die Miete für seine 120 Quadratmeter nicht mehr aufbringen kann. Aber ich bekomme da auch einen Eindruck, der mir Unbehagen schafft: den, dass man den Mangel zum ästhetischen Konzept erklärt. Das begegnet mir oft, und es bereitet mir Unbehagen. Man will billiger bauen, lässt die Fußleiste weg und sagt: Das macht man doch in der Moderne so. Oder man hängt alles sichtbar von der Decke ab und erklärt das für cool, weil man das aus den Künstlerateliers kennt. Darüber vergisst man, dass das eigentlich unkultiviert ist. Würde man sagen: Wir mussten sparen, also sieht es leider billig aus, wäre das wenigstens ehrlich. Aber man sollte nicht das Billige mit einem angeblichen ästhetischen Konzept schönreden.

Brandlhuber: Nein, das sieht einfach gut aus. Eine nackte Betonwand hinter Polycarbonat, dieser Urzustand einer lichten Behausung, lässt sich auch ästhetisch erleben. Wir würden es hier genauso machen, auch wenn wir über mehr Kapital verfügen könnten. Es ist doch nur schlüssig, dass Immobilien bezahlbar bleiben. Dafür nehmen wir gern in Kauf, dass wir nicht das doppelte Budget verbauen und dafür fast das doppelte Architektenhonorar bekommen. Zudem sind diese Räume aneignungsoffen. Der Nutzer bestimmt, wie im Weiteren die Oberflächen aussehen, welche Wände er hinzufügt. Unsere Polycarbonatfassade stellt diffuses Licht zur Verfügung, das zum Beispiel Ateliers, Galerien, viele Arten von kulturellen Produzenten unterstützt. Wir arbeiten konstruktiv mit unverkleideten Hohlwänden, und natürlich gibt es keinen edlen Tadao-Ando-Beton, sondern den günstigsten, den wir bekommen konnten.

Tobias Nöfer, Jahrgang 1967, studierte in Aachen und gründete 1998 nach Stationen u. a. in Zürich und Köln sein eigenes Architekturbüro in Berlin. Für seine Villenbauten wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Nöfer: Aber man muss sich um die Oberflächen stärker kümmern. Schon weil man dem Bauunternehmen einen gewissen Standard und eine Mindestqualität definieren muss, weil er sonst bestenfalls das Technisch Nötigste tut – und das sieht man dann 50 Jahre lang. Da wende ich mich nicht explizit gegen Ihr Gebäude. Es ist wunderbar, wenn man bei Ihnen für unter zehn Euro pro Quadratmeter mieten kann. Aber bei vielen anderen sehe ich in der gewollten, oft dick aufgetragenen Reduzierung, ja geradezu Verrohung eine Masche, mit der man meint, das Bürgertum provozieren zu können. Das kommt mir vor wie spätpubertäres Gehabe – jemand will sich absetzen, will alles anders machen, will das Bauen neu erfinden, und das alles als Selbstzweck.

Brandlhuber: Ziemlich gewagte Unterstellungen, auch wenn Sie sagen, Sie meinen nicht mich. Und warum soll ein Haus nicht anders aussehen als die anderen?

Nöfer: Ein Haus in einer Straße sollte einen selbstverständlichen Eindruck machen und nicht auffallen wollen. Nur ein Haus von besonderer Bedeutung darf Besonderheiten zur Schau tragen. In einer bestehenden Stadt agieren wir doch immer an Orten, die andere längst geprägt haben. Also darf die Fassade nicht aus dem gestalterischen Rahmen ihrer Umgebung fallen. Es wäre doch für Sie eine sinnvolle komplexe Überlegung, wie Sie das, was das Gebäude für sich und seine Nutzer leisten soll, in die Konvention der Straße einbauen könnten.

Brandlhuber: Ich glaube, wenn in der Gründerzeit schon Polycarbonat zur Verfügung gestanden hätte, dann hätte man es genutzt. Und wenn wir es nun erst heute haben und es für ein bestimmtes Gebäude das beste Material ist: Warum sollten wir uns dann ans 19. Jahrhundert ankoppeln? Man kann auch in einem längst entstandenen Teil der Stadt zeitgenössisch operieren – auch mit zeitgenössischem Material, wenn es besser funktioniert als das von vor hundert Jahren.

Nöfer:  Aber im Vordergrund muss doch die Frage stehen: Wie wirkt dieses Haus auf mich, wie steht es in der Straße, hat es Schönheit, ist es selbstverständlich und dauerhaft? Das Billige zum gestalterischen Postulat zu erheben und damit die Stadt vollzustellen, ist mir einfach zu wenig.

Brandlhuber: Wenn ein Haus wie unseres jetzt solche Aufmerksamkeit bekommt, dann liegt das doch nicht an uns, sondern an der Wahrnehmung der Betrachter. Gerade hier in Berlin war doch das Bauen der letzten 20 Jahre von einer regressiven Haltung geprägt, in die Vergangenheit zu sogenannten klassischen Werten orientiert. Aber jetzt? Eine andere Generation, junge Berlin-Nutzer, die neuen Produzenten der Stadt fordern immer stärker ihre eigene Gegenwart ein. Architekturen, die mögliche Zukünfte suchen, sprechen diese neuen Nutzer an, ermöglichen den Austausch zu den Fragen, wie wir leben wollen.

Nöfer: Ich glaube, es gibt da ein Gefühl von eingebildeter neuer Freiheit. Da wird ein Klischee entwickelt, das nie der Wirklichkeit entsprach: als hätten in Berlin jahrelang irgendwelche Preußen-Diktatoren bei jedem Bauantrag nachträglich rechteckige Kästen in die Fassadenzeichnung gemalt. Das ist aus meiner Sicht totaler Nonsens. Bauten, die sich freigeschwommen haben, gab es in Berlin schon immer. Nehmen Sie etwa das Jüdische Museum von Libeskind – ein extremeres Zickzack gab es bis dahin in der ganzen Welt nicht. Überall am Prenzlauer Berg gibt es Fassaden mit irgendwelchen Blechen und versetzten Fenstern. Manche mögen sich ja wohl damit fühlen, hier ein Feindbild aufzubauen und sich daran abzuarbeiten – aber mit der Realität hat das nichts zu tun. Auch Sie hätten Ihre Polycarbonatfassade an dieser Stelle vor 15 Jahren so bauen dürfen, wie Sie es jetzt durften.

Brandlhuber: Aber wundern Sie sich nicht, wenn Fachblätter und Tageszeitungen das, was Sie als Masche sehen, so ausführlich und erfreut besprechen? Es gibt doch offenbar eine sehr intensive öffentliche Wahrnehmung, erleichtert und positiv angeregt ob der deutlich werdenden ­Perspektive.

Nöfer: Nein, das ist die Suche, dass ein Journalist immer mal was Neues finden muss, dass er sagen muss, ich habe einen Aufbruch entdeckt, und den muss er entsprechend extrem darstellen. Anwesende natürlich ausgenommen. Sie hätten dennoch ein Fassadenmaterial wählen können, das mit dem der Umgebung zu tun hat. Ich glaube nicht, dass eine Putzfassade wesentlich teurer geworden wäre.

Brandlhuber: Doch, das wäre sie. Zudem gibt es kein anderes Material, das bei der gegebenen Gebäudetiefe so viel diffuses Licht hineinbringt. Gerade für Ateliers ist das besser als die harten Kontraste hinter Lochfenstern. Für uns zählt nur die Schlüssigkeit einer Lösung für die jeweilige Aufgabe. Und die Aufgabe ist sehr komplex, weil wir auch den Mikrokosmos der Umgebung berücksichtigen – nicht im Sinne einer einheitlichen Ästhetik wie Sie, sondern politisch-ökonomisch.

Nöfer:  Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass wir beide mit gleicher Komplexität arbeiten, nur an unterschiedlichen Themen.

Brandlhuber: Darauf können wir uns gerne einigen und diese Einigung genießen. Es gibt ja leider mehr als genug Bauprojekte, bei denen das weder in Ihrer noch in meiner Richtung möglich ist.

Architektenblatt: Welche Qualität bieten für Sie innerstädtische Leerstellen?

Brandlhuber: Es wäre hervorragend, wenn künftige Generationen über einen zentralen Ort wie den Berliner Schlossplatz oder den Schinkelplatz  in 20 oder 50 Jahren nochmals nachdenken könnten. Wie kommen wir zu dem Glauben, wir könnten und müssten jetzt alles festschreiben?

Architektenblatt: Und zwischendurch?

Nöfer: Ich bin natürlich für eine dauerhafte, gute Lösung. Wir sollten in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen und wichtige Orte zu ­prägen, wenn die Gesellschaft es von uns verlangt. Und zwischendurch würde es mir großen Spaß machen, für einen solchen Ort ein Konzept für einige Jahre zu entwickeln. Was dann entstünde, sollte von den ­Bedingungen des Ortes abhängig sein. Gibt es Nutzungsdruck, gibt es da einen Mangel? Und vor allem: Was könnte am meisten Urbanität ­erzeugen?

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