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[ Nanomaterialien im Bauwesen ]

Was Zwerge leisten

Sylvia Leydecker über Nanomaterialien in der Architektur

Interview: Marion Goldmann

Sie verfolgen jetzt seit sieben Jahren die nanotechnologischen Entwicklungen bei Baustoffen. Was hat sich seitdem verändert?

Im Architekturbereich war Nano damals ein Fremdwort. Man kannte allenfalls den Lotuseffekt, den viele zudem für einen Marketinggag hielten, hinter dem sie aber keine ernsthafte Technologie vermuteten. Heute hat jeder Architekt von Nanomaterialien schon mal etwas gehört, aber die Informationstiefe ist meist gering. Dabei hat sich die Produktpalette mittlerweile erheblich erweitert. Zuerst waren die selbstreinigenden Oberflächen auf Dachziegeln, Gläsern oder Sanitärkeramik auf dem Markt. Inzwischen steckt Nanotechnologie in sehr vielen Baustoffen. In Farben und Lacken zum Beispiel, oder auch im Beton, in Dämmstoffen oder Fotovoltaikelementen.

Prinzipiell funktioniert das. Aber man muss die Qualität der Produkte unterscheiden und seine Erwartungshaltung definieren können. Selbstreinigend heißt ja nicht, dass man die Oberfläche nie reinigen muss. Jedoch der Reinigungszyklus vergrößert sich, was den Pflegeaufwand während der Nutzung minimiert. Wie viele Reinigungszyklen sich sparen lassen, hängt wiederum von der Dauerhaftigkeit der Beschichtung ab. Die richtige Pflege ist ebenfalls entscheidend.

Worauf sollten Architekten demnach bei der ­Produktauswahl achten?

Es ist im Grunde einfach. Eine eingebrannte Beschichtung hält länger als eine aufgesprühte. Das ist aber meist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Also die technischen Datenblätter genau lesen und bei den Firmen nachfragen: wie wurde das Produkt hergestellt, wie lange ist es auf dem Markt, wie haltbar ist die Oberfläche und so weiter. Wichtig ist dabei, möglichst mit den Anwendungstechnikern der Unternehmen zu sprechen und nicht nur den Verkaufsargumenten des Vertriebes zu vertrauen. Das ist oft ein mühevoller Weg, doch sind einige Anbieter auch als Trittbrettfahrer mit minderwertigen Produkten auf dem Markt. Die gilt es herauszufiltern, denn es gibt viele etablierte sowie neue, innovative Produkte in guter Qualität.

Wegen der hohen Luftverschmutzung in Tokio wurden die Membranen der textilen Überdachungen des Flughafens Narita mit einer fotokatalytisch selbstrenigenden Oberfläche ausgestattet.

Haben Sie mit einem Material auch schlechte Erfahrungen ­gemacht?

Mir ist das noch nicht passiert, aber Kollegen haben mir schon von Beschichtungen berichtet, die nicht lange halten. Im Nachhinein hat sich dann herausgestellt, dass aufgrund der Herstellungsart auch nichts anderes zu erwarten war. Das eigentliche Problem jedoch ist, dass die meisten das einmal Erlebte nach dem Motto „einmal schlecht, immer schlecht“ pauschalisieren. Und das ist schade.

Neben verbesserten funktionalen Eigenschaften können Nanomaterialien auch die gestalterischen Möglichkeiten erweitern. Welches Material gefällt Ihnen am besten?

Von einer Innenarchitektin würde man jetzt wahrscheinlich so etwas wie thermochrome Oberflächen erwarten, die bei Temperaturänderung ihre Farbe verändern. Das ist zwar optisch interessant; ich schätze aber Materialien mehr, die uns wirtschaftliche Vorteile wie Energieeinsparung bringen. ­Aerogel ist mein Favorit. Es besteht zu 99 Prozent aus Luft und ist trotzdem ein fester Stoff. Das ist technisch einfach unglaublich. Aerogel wurde für die Raumfahrt entwickelt; gestalterisch fasziniert mich die milchig-transluzente Optik - zum Beispiel wenn man Aerogel in Isolierverglasungen einsetzt. Dadurch werden nicht nur die wärmedämmenden und akustischen Eigenschaften verbessert, auch die Art der Lichtstreuung beeindruckt. Selbst bei bewölktem Himmel wirkt es drinnen heller als draußen.

Der Wandbelag ist nicht nur wasserabweisend, sondern auch diffusionsoffen, schwer entflammbar und stoßfest.

Bei aller Begeisterung: Kritiker sind wegen noch un­erforschter Risiken der Nanopartikel für Mensch und Umwelt gegen die Technologie.

Da Nanopartikel in Bauprodukten fest eingebunden sind, müssen wir uns nach meinen Erkenntnissen keine großen Gedanken machen. Auch während der Verarbeitung wie Schleifen, Sägen oder Bohren nicht. Selbst wenn Nanopartikel herausgelöst würden, bleiben sie einzeln nicht lange erhalten. Sie tendieren stark dazu, sich zusammenzulagern und Agglomerate zu bilden. Risiken gibt es eher in der Produktion. Aber die Industrie handelt hier nach dem Vorsorgeprinzip. So arbeiten viele Firmen mit Flüssigkeiten statt mit Stäuben. Dass hier bereits in einem frühen Entwicklungsstadium gehandelt wurde, ist das Ergebnis der parallel zur nanotechnischen Entwicklung betriebenen Risikoforschung. Neu ist auch, dass dieser Prozess sehr früh begann und sich diverse Forschungsgruppen diesem Thema widmen. Und europaweit betrachtet, investiert Deutschland den prozentual größten Teil der Fördergelder in die Risikoforschung.

Außerirdisch: Die besonderen physikalischen Eigenschaften sowie die gute Wärmedämmung des Isolierglases Okagel von Okalux, dessen Scheibenzwischenraum mit dem transluzenten Silika Aerogel gefüllt ist, ermöglichen sogar den Einsatz in extremen Klimaregionen. Hier die Forschungsstation des British Antarctic Survey, Antarktis Halley VI.

Welche Entwicklungen sind in ­Zukunft zu erwarten?

Das größte Potenzial steckt meiner Meinung nach derzeit in der Dämmung. Neu ist zum Beispiel jetzt ein Mineralwolledämmstoff auf dem Markt, dessen Wärmeleitfähigkeit durch die Kombination mit Aerogel gesenkt werden konnte. Die Vakuumdämmung hat ebenfalls gute Zukunftschancen. Zwar gibt es seit Längerem verschiedene Produkte, doch bislang werden sie nur in Ausnahmefällen verwendet. Das liegt zum einen am hohen Preis, aber auch die Verarbeitung ist unter Baustellenverhältnissen noch zu kompliziert. Längerfristig betrachtet, werden nach den LEDs auch die OLEDs eine große Bedeutung bekommen. Auf der Nanoebene werden hier leitfähige Schichten hergestellt, die flächiges Licht in Form von Folien generieren und kaum Strom verbrauchen. Irgendwann wird es keine andere Beleuchtung mehr geben. Und nicht zu vergessen: der Beton. Hier bewirken nanooptimierte Rezepturen, dass die Konstruktionen leichter und schlanker werden, was den Materialverbrauch reduziert.

Werden auch Architekten in diesen ­Prozess miteingebunden?

Diese Entwicklung hat jetzt gerade erst begonnen. Das liegt vor allem an der langen Wertschöpfungskette im Bauwesen. Von der Produktentwicklung über die Markteinführung bis zur breitenwirksamen Anwendung dauert es oft Jahre. Arbeiteten bei Nanomaterialien bisher hauptsächlich die Wissenschaft und die Baustoffindustrie zusammen, so wollen diese nun Architekten und Designer verstärkt in die Entwicklungen miteinbeziehen. Erst vor Kurzem gab es unter dem Titel „Material formt Produkt“ eine Auftaktkonferenz, organisiert von Hessen Nanotech, einer Einrichtung des hessischen Wirtschaftsministeriums.

Nanotechnik und Bionik auf der BAU 2011

Auf der Veranstaltung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie werden zahlreiche Beispiele aus Forschung und Baupraxis vorgestellt, die das Innovationspotenzial widerspiegeln, aber in der Baubranche noch nicht genügend wahrgenommen werden.
Kongress am 18. Januar
Fachforen am 18. und 19. Januar
Die Teilnahme ist für Messebesucher kostenlos.
Programm und Anmeldung: www.bmwi-veranstaltungen.de/bau2011,
www.rkw-kompetenzzentrum.de/nanotechnik


Weiterführende Informationen

Die vom hessischen Wirtschaftsministerium unterstütze Plattform für Nanotechnologie bietet unter anderem auf ihrer Website eine Schriftenreihe zum Download, die über Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie der verschiedenen Branchen informiert. Darunter auch die Broschüre „Einsatz von Nanotechnologie in Architektur und Bauwesen“ www.hessen-nanotech.de

Auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gibt es mehrere Broschüren zum Download. Unter anderem „Nanopartikel – kleine Dinge, große Wirkung“ und „NanoCare“ – Gesundheitliche Aspekte synthetischer Nanomaterialien“ www.bmbf.de (Suche unter Forschung/Neue Technologien/Nanotechnologien)

Das BMBF fördert zusammen mit der Industrie auch mehrere Projekte, die die Auswirkungen der Nanopartikel auf Mensch und Umwelt untersuchen. Ziel dieser Forschungen ist es, frühzeitig Risiken zu erkennen und zu minimieren. Die Ergebnisse werden im Internet in leicht verständlicher Form publiziert. www.nanopartikel.info

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