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Geklebte Fenster schaffen neue konstruktive Freiheiten. Doch ihr Einbau verlangt umfassende Kenntnisse.

01.04.20096 Min. Kommentar schreiben
Holz-Glas-Verklebung: Beim System Walchfenster04 sind Holzrahmen und Isolierglas direkt miteinander verklebt.

Karin Lieb, Wolfgang Jehl

Konstruktive Klebeverbindungen werden schon lange im Automobil- und Flugzeugbau sowie bei Structural-Glazing-Fassaden erfolgreich angewendet. Jetzt setzt man sie auch im Fensterbau ein. Bei geklebten Fensterkonstruktionen wird das Isolierglas mit dem Fensterflügel verklebt und kann dadurch zur Aussteifung der Fensterkonstruktion genutzt werden. Diese Verbesserung der Flügelrahmensteifigkeit in der Glasebene bringt folgende Vorteile:

  • neue konstruktive Freiheiten,
  • schlankere Fensterprofile,
  • größere Fenstermaße bei gleichen Profildimensionen,
  • bessere Einbruchhemmung

Während in Standardkonstruktionen die Glasscheibe mithilfe von punktförmig gelagerten Glasklötzen im Flügelrahmen positioniert wird, werden die Lasten beim Verkleben linienförmig in das Glas abgeleitet. Spannungsspitzen werden dadurch vermieden, sodass höhere Lasten übertragbar sind. Da konstruktive Zwänge wie mechanische Verbindungsmittel oder die Klemmung der Verglasung im Glasfalz entfallen, bieten geklebte Systeme neue Designmöglichkeiten. Zum Beispiel kann die Glasscheibe den Flügelrahmen komplett überdecken (siehe Variantenübersicht unten, zweite Reihe).

Klotzung (oben) und Klebung (unten) zum Vergleich: statische Wirkung und Darstellung des Spannungs- verlaufs im Glas.

Regeln für den Nachweis

Geklebte Verglasungssysteme im Fensterflügel werden nicht durch vorhandene Normen beschrieben. Die Eigenschaften der Fenster können gemäß der europäischen Produktnorm für Fenster DIN EN 14351-1 nachgewiesen werden, wenn folgende Randbedingungen gegeben sind:

  • Der Flügel öffnet raumseitig oder ist fest eingebaut.
  • Der Einbau erfolgt in einer tragenden Wandkonstruktion.
  • Der Flügel übernimmt keine tragende, aussteifende oder absturzsichernde Funktion für das Gebäude.

Geklebte Konstruktionen, die davon abweichen, sind Sonderkonstruktionen, die wie eine Structural-Glazing-Konstruktion betrachtet werden müssen. Es kann ein Nachweis nach ETAG 002 erfolgen. Abhängig von der Konstruktionsart muss die Klebung unterschiedliche statische Lasten aufnehmen können: Windsog- und Druckkräfte, Schubkräfte durch die Aussteifung des Flügelrahmens auf Glasscheibenebene sowie die Lastabtragung des Eigengewichtes der Glasscheiben mit erhöhten Anforderungen an das Langzeitverhalten der Klebeverbindung (siehe Variantenübersicht unten, zweite Reihe).

Systemnachweis und Qualitätssicherung

Das geklebte Fenster kann als System definiert und die Leistungseigenschaften können im Rahmen eines ITT (Initial Type Test) nachgewiesen werden. Eine verlässliche Grundlage zum Nachweis der Gebrauchstauglichkeit einer Konstruktion bietet die ift-Richtlinie VE-08/1 „Beurteilungsgrundlage für geklebte Verglasungssysteme“.

Die nach dieser Richtlinie geprüften Fenstersysteme bieten dem Planer die Sicherheit, ein gebrauchstaugliches System einzusetzen. Gebrauchstauglichkeit bedeutet, dass die Funktion des Fensters über einen angemessenen Nutzungszeitraum sichergestellt wird (circa 20 Jahre). Hierfür ist es erforderlich die Fensterkonstruktionen und die einzelnen Funktionsträger ganzheitlich zu betrachten. Der Begriff „System“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nur ein abgestimmtes und geprüftes System verwendet werden sollte. Der Systembeschreibung kommt deshalb eine bedeutende Rolle zu. Sie sollte mindestens folgende Informationen enthalten:

  • Systemzeichnung mit Angabe der Profile, Klebstoffe, Beschläge, Verstärkungen, Dichtungen und Verglasungen,
  • Verbindungen und Öffnungsarten,
  • Hinweise zu den notwendigen definierten Fertigungsbedingungen,
  • Transport und Lagerung,
  • Einbauanleitung und Montagebeschreibungen,
  • Anleitung zur Pflege, Wartung und Reparaturhinweise,
  • Definition und Dokumentation von Systemänderungen.

Wärme- und Schallschutz

In geklebten Kunststofffenstern kann in der Regel auf die im Flügelrahmen eingesetzten Stahlaussteifungen verzichtet werden. Bei einem Fünfkammerprofil ohne Stahlaussteifung ergibt sich bei sonst gleichen Konstruktionsmerkmalen eine Verbesserung des Uw-Wertes in der Größenordnung von circa 0,2 W/(m²K). Beim Einsatz farbiger Profile ist ein Verzicht auf das Stahlprofil allerdings kritisch, denn unter Sonneneinstrahlung können bei dunklen Farben Temperaturen von bis zu 75 Grad Celsius und mehr auftreten, die zur Verformung des Profils führen können. Neben de­m ­Uw-Wert des Fensters sind zur Vermeidung von Tauwasser auch die raumseitigen Oberflächentemperaturen zu berücksichtigen.

Die Luftschalldämmung eines Fensters wird von folgenden Faktoren bestimmt, die bei der Entwicklung neuer Konstruktionen zu berücksichtigen sind:

  • Glasaufbau (Glasdicken, Glasart, Scheibenzwischenraum, Gasfüllung),
  • Anzahl und Position der Dichtungen zwischen Flügel und Blendrahmen,
  • Fensterprofil (Material, Geometrie, Ansichtsbreite, Bautiefe).

Für geklebte Fensterkonstruktionen existieren nur wenige repräsentative Untersuchungen. Ein Vergleich der Luftschalldämmung zwischen konventionellen und geklebten Fensterkonstruktionen zeigt, dass eine Verbesserung der Luftschalldämmung durch geklebte Fensterkonstruktionen nur in geringem Umfang zwischen ein und zwei Dezibel möglich ist.

Mögliche Klebetechnik: Die Innenansicht des Fensters zeigt die sogenannte „außenseitige Überschlagsverklebung“.

Klebetechnik

Da die tragende Verklebung die Konstruktion wesentlich beeinflusst, ist ein grundsätzliches Verständnis der Zusammenhänge für Konstrukteure und Planer wichtig. Besonderes Augenmerk ist auf die Kontaktfläche zwischen Klebstoff und Rahmenmaterialien (Holz, PVC, Aluminium) zu legen. Dabei sollten folgende Aspekte beachtet werden:

Bei Holz sollte die Klebung auf unbehandeltem Holz erfolgen und die Holzart und die mechanische Bearbeitung der Holzoberfläche (Feinhobeln, Schleifen, Finieren) vor dem Klebeprozess definiert werden. Bei Klebungen auf behandelten Hölzern muss die Prüfung mit dem jeweils verwendeten Holzschutz und der Oberflächenbeschichtung erfolgen. Bei Kunststofffenstern erfolgt die Klebung auf dem vom Profilhersteller definierten Untergrund. Der verwendete Kunststoff und die Art der Vorbehandlung der Oberfläche sind in der Systembeschreibung festzulegen. Bei Aluminiumfenstern kann auf anodisch oxidierter oder pulverbeschichteter Oberfläche geklebt werden. Auch hier muss jede verwendete Oberflächenbehandlung im Klebesystem überprüft werden. Bei Veränderung der Haftpartner muss die Prüfung erneut durchgeführt werden.

Gebrauchstauglichkeit der Klebung

Die Nachweise für die Funktionstauglichkeit der Klebung dienen der Charakterisierung des Klebesystems und sind die Grundlage für die Konstruktion des Fensters. Das Anforderungsprofil an ein Klebesystem ist aber auch abhängig von der Fensterkonstruktion und den einzelnen Komponenten. Je nach konstruktiver Ausbildung des Fensterflügels kommt im Randverbund des Mehrscheibenisolierglases (MIG) eine lastübertragende Klebung zum Einsatz. Bei der Ausführung des MIG ist auch auf die Lage der Klebefuge innerhalb der Fensterkonstruktion zu achten. So benötigt beispielsweise auch eine Klebung im Falzgrund eine gewisse UV-Beständigkeit aufgrund der Reflexion über die Oberflächen des Glases.

Deshalb muss der Isolierglaslieferant bereits bei der Bestellung wissen, wie sein Produkt im Anschluss weiterverarbeitet werden soll, denn der äußere Dichtstoff des Isolierglases muss für erhöhte Dauerlasten aus Eigengewicht, Temperaturlast, erhöhter UV-Strahlung und Umwelteinflüssen geeignet sein.

(Links) Klebung am äußeren Überschlag, Pos. 1 des MIG mit mech. Sicherung der Glashalteleiste. (2. v. links) Klebung am inneren Überschlag, Pos. 4 des MIG, z. B. Holz-Alu-Fenster. (2. v. rechts) Klebung im Glasfalzgrund mit mech. Sicherung der Glashalteleiste. (rechts) Klebung Pos. 4 des MIG zum Flügelrahmen, mech. Lastab­tragung des Glasgewichts durch Klotzung.

Außerdem wird die Frage der Materialverträglichkeit aufgrund zahlreicher Schadensfälle immer wichtiger. Materialien wie Dichtstoffe, Material und Beschichtung der Profile, der Randverbund des MIG sowie die Beschichtungen der Verglasungen dürfen nicht miteinander reagieren. Das ift Rosenheim hat deshalb geeignete Prüf- und Bewertungsmethoden erarbeitet, die in der ift-Richtlinie DI 01 „Verwendbarkeit von Dichtstoffen, Teil 1: Prüfung von Materialien in Kontakt mit dem Isolierglas-Randverbund“ beschrieben sind.

Geklebte Fenster: Varianten

(Tragende Klebungen rot, Abdichtungen grün)

(Links) Klebung im Glasfalzgrund und auf Pos. 4 ohne mech. Sicherung durch Glashalteleisten. (2. v. links) Klebung auf Pos. 2 des MIG mit ­Stufenglas zum ­Flügelrahmen. (2. v. rechts) Klebung Pos. 2, monolithisches Glasprodukt zu Flügelrahmen. (rechts) Klebung auf Pos. 4 des MIG zu Flügelrahmen mit tragender Isolierglasklebung nach EN 13022-1.

Hilfe für die Ausschreibung

Um Planern den Umgang mit der Produktnorm (EN 14351-1: Fenster und Außentüren) zu erleichtern, hat das ift Rosenheim eine Ausschreibungshilfe zur detaillierten und normkonformen Beschreibung von Fenstern und Außentüren entwickelt. Die kostenlose Software führt über ein Menü durch die gesamte Beschreibung. Hilfetexte zu allen Punkten ermöglichen eine schnelle und problemlose Einarbeitung und erleichtern technische Entscheidungen. Alle Angaben werden abschließend in einem PDF zusammengefasst. Die Onlineplattform wird Aktualisierungen im Normenwesen angepasst.

Dipl.-Ing. (FH) Karin Lieb und Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Jehl arbeiten im ift Rosenheim (Institut für Fenstertechnik).

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