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[ Altstadt Weißenfels ]

Carports, Container und neue Courage

Abrisse, Verfall und öde Neubauten – aber auch engagierte Bürger und Denkmalpfleger: Weißenfels zeigt das typische Bild vieler ostdeutscher Altstädte.

Günter Kowa

Wenn es ein Beispiel für die Sumpfblüten der deutschen Kleinstaaterei gibt, dann ist es Weißenfels. Gerade einmal 90 Jahre währte die Herrlichkeit von Sachsen-Weißenfels – ein Kleinstfürstentum nach dem Dreißigjährigen Krieg. Was die Regenten nicht davon abhielt, großen Vorbildern nachzueifern. Das Schloss von Weißenfels hoch über der Saale jedenfalls sparte ebenso wenig an Fensterachsen wie an Komfort. Selbst Versailles kannte noch keine Klosetts mit eingemauerten Fallrohren.

Und dass sich der winzige Hofstaat nicht nur eine grandios mit Stuck befrachtete Schlosskapelle gönnte, sondern symmetrisch dazu ein Theater nebst Ballsaal, ist nach etlichen Umbauten zwar nicht mehr zu erkennen. Aber auch das was von dem Prachtbau übrig ist, ist eine immense Last für die 30 000 Einwohner zählende Stadt.

Schreitet man nur über den Innenhof, ahnt man schon, wie schwer sie daran trägt. Das Dach ist gedeckt, aber außer für den Uhrturm blieb bisher kaum Geld für die Fassaden – und sichtlich auch nicht für das Museum im Haus. Da war man schon froh, wenigstens den reizvollen Fußweg vom Tal und die Zufahrt dank Fördermitteln wieder ansehnlich gestalten zu können. Der Uhrturm glänzt seit Längerem – als Hoffnungssymbol – mit frischer Farbe. Derzeit ist auch einer der Flügel im Umbau, doch das Gros des Gebäudes steht leer. Man pflegt die vage Hoffnung auf eine medizinische Fachhochschule, die in der Stadt neu eröffnet hat – mit derzeit einem Dutzend Studenten.

Potenzielles Kleinod: Altstadt mit Marien­kirche, Schloss auf dem Hügel und Saale

Doch niemand zweifelt, dass das Schloss überlebt. Dasselbe kann man für die Altstadt nicht uneingeschränkt sagen. Erkennbar ein bürgerliches Spiegelbild der Residenzzeit, sind ihre Verluste doch so groß, dass sie selbst dem Ortsfremden ohne Weiteres auffallen. Am stärksten in der Marienstraße, die im Schatten des Rathauses einst eine dichte Reihe von Bürgerhäusern des Barock aufwies.

Doch grassierender Leerstand führte zur Preisgabe fast des ganzen, zuletzt jammervoll heruntergekommenen Quartiers. Die Brache ist zum Teil wieder bebaut, aber das Pflegeheim des Roten Kreuzes und eine Gruppe von Reihenhäusern, die wenigstens eine Seite der Straße schließen, hinterlassen beim Betrachter den faden Geschmack von Suburbia.

Die Häuserzeile in der Marien­straße (links) steht an der Stelle abgerissener Barockbauten.

Man braucht nur durch die angrenzenden Straßen zu gehen, und man ahnt, warum Weißenfels so lange unter schlechter Presse litt. Die Abbrüche in der Klosterstraße im vergangenen Jahr sorgten überregional für Aufsehen. Da fiel einer der großen Namen auf die Stadt zurück, die sonst ­wenig genug damit anzufangen weiß: der des Romantikers und „Berginspektors“ Novalis.

Gegenüber seinem einstigen Wohnhaus wurde eine weitere Häuserzeile abgeräumt, und just dort sollten die Carports für die Reihenhausanlage der Marienstraße entstehen. Dass das „Novalis-Quartier“, das freilich weder dem Namen noch dem Geist nach existiert, auf diese Weise verunstaltet werden sollte, beschwor den Protest der west- und ostdeutschen Dichterfürsten Günter Grass und Hermann Kant herauf.

28 Denkmalabrisse

Nun erzählt gerade dieser Vorgang viel von den Manövern und Scharmützeln der Weißenfelser Planungspolitik. Die Großschriftsteller hatten auf Brandbriefe des Altstadt-„Aktionsbündnisses“ reagiert. Dessen unermüdliche Lobbyarbeit hält das Thema des Altstadtverfalls seit Jahren am Kochen, zugleich aber auch auf einer emotional aufgeladenen Ebene.

Die Interventionen einzelner Mitglieder im Stadtrat sind für ihre anklagende Pose berüchtigt. Die Vorwürfe sind im Kern nicht falsch, aber angebotene Lösungen bleiben oft realitätsfern. Wenn ein konstruktiver Beitrag gefordert ist, verlegt sich das Bündnis auf die Klage über Vergangenes – so in der Arbeitsgruppe Altstadt, die der inzwischen abgewählte Oberbürgermeister Manfred Rauner spät genug aus der Bandbreite städtischer Akteure berief.

Rauner war während seiner siebenjährigen Amtszeit ein Lieblingsgegner des Aktionsbündnisses. Tatsächlich hinterlässt er eine zwiespältige Bilanz. Noch im letzten Wahlkampf hielt er mit Vorliebe eine Statistik hoch, die die Verteilung von Fördermitteln auf die verschiedenen Stadtteile seit der Wende auf einer Balkengrafik verdeutlichte: Die Altstadt überragte dabei mit gut 71 Millionen Euro alle anderen bei Weitem, auch die (gründerzeitliche) Neustadt fiel an zweiter Stelle mit neun Millionen kaum noch ins Gewicht.

Freilich wirft gerade diese Statistik die Frage auf, warum dann in der Altstadt seit der Wende noch 28 denkmalgeschützte Häuser abgerissen wurden, darunter Juwele wie die Klosterstraße 21, die dem Baumeister des Rathauses und des im Krieg zerstörten Zerbster Schlosses zugeschrieben werden konnte.

Stets wurde der Niedergang der einstigen Schuhstadt zur Begründung bemüht, um die mangelnde Nachfrage nach Wohnungen und Geschäften in einer Stadt, die seit dem Mauerfall fast 20 Prozent ihrer Einwohner verlor und kaum nennenswert Kaufkraft zu bieten hat, zu erreichen. Doch den meisten Abrissen gingen auch zeitige Warnungen voraus, auf die allenfalls fatalistisch reagiert wurde – und es gibt Beobachter, die in den Planeretagen eine Stimmung gegen den „alten Plunder“ wahrnahmen.

Ein Blick auf die gigantischen Tunnelbauten der nicht minder massiv ausgebauten Altstadttangente zeigt, dass Infrastruktur im Zweifel vor Barockhäusern rangierte. In den Jahren nach 2000 wurden die Verluste immer größer, ausgerechnet vor dem Hintergrund des „Stadtumbaus“, der doch theoretisch die Aufwertung der Innenstädte zum Ziel erhob. Doch in Weißenfels wurde der Abriss von zehn denkmalgeschützten Gebäuden mit fast 250 000 Euro aus dem Fördertopf des Stadtumbaus unterstützt. Eine derartige Praxis wurde inzwischen unter anderem wegen dieses Beispiels unterbunden.

Altstadtränder wie das Umfeld des Busbahnhofs sind verwahrlost. Doch hier soll bald saniert werden.

Doch inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. Das ist am Beispiel der seit anderthalb Jahren tätigen Arbeitsgruppe Innenstadt zu beobachten. Rauner besaß Weitblick genug, um darin alle gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen an der Vorbereitung des Entwicklungskonzepts zu beteiligen.

Mit der Ausführung wurde das angesehene Leipziger Planungsbüro Iris Reuter beauftragt. Darin mit eingeflossen ist nun auch die Prioritätenliste des Landesamts für Denkmalpflege, in der erstmals Problemfälle nach Dringlichkeit sortiert sind. Das ist durchaus ein Paradigmenwechsel auf dieser Seite. Zugunsten der Sanierung bedrohter Häuser wurden auch die Planungen für eine Neugestaltung des Marktplatzes zurückgestellt. Und immerhin wurden seit der Wende an die 100 Gebäude in der Altstadt saniert, freilich die Notsicherungen aus den ersten Jahren eingeschlossen.

Rettung durch Kleinunternehmer

Welchen Signalwert punktuelle Sanierungen haben, beweist der Fall des „Fürstenhauses“ unweit vom Marktplatz. Dem vielleicht kostbarsten aller höfischen Stadthäuser drohte trotz jahrelanger Warnungen der Untergang. Nunmehr schmückt sich die Stadt mit einem Standesamt in stuck- und freskoverzierten Räumen und sucht einen Pächter für das Restaurant im Erdgeschoss. Dafür musste zwar im Hof ein Küchenflügel eingebaut werden, dessen Anspruch auf modernen Kontrast unter pfennigfuchsender Sparpolitik leidet, aber der Anstoß ist da: Die einsturzgefährdeten Häuser in der Nachbarschaft werden nun unter Wahrung der Fassaden renoviert.

Sanierungserfolg: Das stark verfallene Fürstenhaus wurde im letzten Moment gerettet. Das hat auch die Nachbarn motiviert.

Allenthalben ist ein Denken in solchen Anstößen zu beobachten. Geduldige Überzeugungsarbeit des städtischen Denkmalpflegers Stephan Kujas hat einzelne Kleinunternehmer bewogen, denkmalgeschützte Häuser für ihre Geschäfte, Läden und Restaurants unter ihre Fittiche zu nehmen.

Rauners Nachfolger Robby Risch, der vom Altstadtbündnis unterstützt wurde, will nun die Leitbilddiskussion wieder aufgreifen, die so lange vernachlässigt wurde. Darin gibt die „Grüne Barockstadt“ ihrem Erbe den klaren Vorrang. Allenthalben werden gefährdete Quartiere neu betrachtet. So gibt es Überlegungen, das leer stehende, gründerzeitlich überformte „Kloster“ mitsamt weiträumigem Areal für das benachbarte Gymnasium nutzbar zu machen. Ein Quartier im Rücken der „Alten Sparkasse“, einem Prachtexemplar des „Neuen Bauens“, ist schon seit Längerem durch eine Bank in der Planung.

An der prominenten, weil vom Markt sichtbaren Straßenecke der Großen Burgstraße und der Klosterstraße will die Stadt ihr Bürgeramt im leer stehenden „Haus der drei Schwäne“ einrichten – und schon haben auch die Nachbarn Interesse bekundet, bei ihren Immobilien mitzuziehen.

Doch in der Marienstraße ist und bleibt der dramatischste Missgriff Weißenfelser Stadtplanung ein Menetekel, das nicht mehr beseitigt, allenfalls mit viel Einfühlungsvermögen noch abgemildert werden kann. Die pastellgetönten Reihenhäuser mit Garagen und daneben das mühsam auf Maßstab getrimmte Altenheim mit seinem überkragenden Flachdach machen schmerzlich bewusst, dass auf den brachialen Abriss nicht wenigstens ein städtebaulicher Wettbewerb folgte. Auch war die Stadt wahrlich nicht gut beraten, als sie für die „Internationale Bauausstellung Stadtumbau“ des Landes nicht die Altstadt als Projekt vorschlug, sondern die Industriebrachen der Neustadt.

Lagerräume im Schiffscontainer

Der Aufschrei über die Abrisse im „Novalis-Quartier“ hat immerhin verhindert, dass die Verspießerung des Quartiers auf die Spitze getrieben wurde. Was auf den verbliebenen Brachflächen weiter passiert, steht allerdings in den Sternen. Vor einem Jahr zu Hilfe gerufen, initiierte die Expertenkommission Städtebaulicher Denkmalschutz des Bundesbauministeriums zwar noch einen kleinen Wettbewerb, bei dem das Haller Büro Dietzsch und Weber eine Häuserzeile für das verlorene Vis-à-vis des Novalis-Hauses in abstrahierten altstädtischen Bauformen vorschlug, aber mangels Bauherren ist eine Verwirklichung vorerst nicht in Sicht.

So greift erst einmal ein Provisorium, das auch aus dem Wettbewerb hervorging und schon als Idee hohe Wellen schlug. Zur Straße hin werden zwischen Zäunen Schiffscontainer aufgestellt, die den Hausbewohnern und dem Altenheim als zusätzlicher Lagerraum dienen. Der Anblick dürfte ein Schock sein. Aber auch das versteht so mancher als möglichen „Anstoß“ zu einer besseren Entwicklung: eben weil er so abstoßend ist.

Günter Kowa ist freier Journalist in Berlin.

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